Arriva-Deal: DB will Tochter verkaufen – britische Gewerkschafter fordern Wiederverstaatlichung

Züge von Arriva im Bahnhof Haggerston in London: Das             Unternehmen betreibt eine der Linien der S-Bahn in der             britischen Hauptstadt.
Züge von Arriva im Bahnhof Haggerston in London: Das Unternehmen betreibt eine der Linien der S-Bahn in der britischen Hauptstadt. Foto: Deutsche Bahn AG/DB Arriva

In der vergangenen Woche hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn (DB) den Vorstand aufgefordert, bis September verschiedene Verkaufsoptionen für das Tochterunternehmen Arriva zu prüfen und eine Beschlussvorlage auszuarbeiten. Infrage kommt dabei ein teilweiser oder vollständiger Verkauf an einen oder mehrere Bieter, ebenso wie ein Börsengang. Insider hoffen auf einen Verkaufserlös von bis zu vier Milliarden Euro. Damit sollen die Eigenkapitaldecke des DB-Konzerns gestärkt und dringend benötigte Gelder für die Sanierung der Infrastruktur und neue Fahrzeuge beschafft werden.

Die an den Tag gelegte Eile dürfte vor allem von finanziellen Sachzwängen diktiert sein. 1994 war die aus den Staatsbahnen Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) hervorgegangene Deutsche Bahn AG schuldenfrei gestartet. Inzwischen hat der DB-Konzern einen Schuldenberg von über 19,5 Milliarden Euro angehäuft. Dazu trug die weltweite Expansionsstrategie der Konzernspitze wesentlich bei. Seit der Jahrtausendwende setzte der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn darauf, durch ehrgeizige Aufkäufe das Staatsunternehmen zum weltumspannenden Global Player der Logistik- und Verkehrsbranche umzukrempeln. Damit einher gingen eine Vernachlässigung der traditionellen Hausaufgaben der DB in ihrem Stammland und insbesondere ein Rückzug des Schienengüterverkehrs aus der Fläche. Ähnlich setzten auch andere Staatsbahnen in Europa auf internationale Expansion.

2010 erwarb die Deutsche Bahn unter Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube die britische Arriva-Gruppe für einen Kaufpreis von 2,7 Milliarden Euro. Grube erhoffte sich davon eine »Stärkung der Marktposition in Europa«. Arriva war mit der Privatisierung des britischen Bahn- und Busverkehrs seit den 1990er Jahren richtig groß geworden und betreibt nach jahrelangen Aufkäufen heute mit rund 45 000 Beschäftigten in 14 Ländern Europas Bahn- und Busgesellschaften. Aus kartellrechtlichen Gründen musste die DB die deutschen Arriva-Töchter bei der Übernahme an ein Konsortium aus der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato und dem französisch-luxemburgischen Infrastrukturfonds Cube Infrastructure verkaufen; sie firmieren seither unter der Bezeichnung Netinera.

Ein Nutznießer der Arriva-Übernahme war der Investmentbanker Alexander Doll, der damals zum engsten Beraterkreis der DB gehörte und die Transaktion mit arrangierte. Er wechselte Ende 2017 von der Barclays Bank in den DB-Vorstand und ist dort seither für Finanzen, Güterverkehr und Logistik zuständig. Damit ist Doll auch beim anstehenden Arriva-Verkauf wieder maßgeblicher Akteur.

Während Bundesrechnungshof, Politiker unterschiedlicher Couleur und auch die deutsche Lokführergewerkschaft GDL einen Arriva-Verkauf an wen auch immer unterstützen, schlägt die britische Bahn- und Verkehrsgewerkschaft RMT Alarm. Sie hat mit Arriva-Bahntöchtern wie Northern, Cross Country, Chiltern, London Overground oder Grand Central große Konflikte ausgefochten, kritisiert die Unternehmenspolitik der DB scharf und lehnt gleichzeitig einen Verkauf an einen privaten Konzern oder Finanzinvestor ab. »Es darf nicht sein, dass Tausende Arbeitsplätze bei britischen Bahnen in der Schwebe hängen, weil alle Welt auf einen Vorstandsbeschluss aus der Berliner DB-Zentrale wartet«, bringt es RMT-Generalsekretär Mick Cash auf den Punkt. Der Gewerkschafter fordert die Überführung sämtlicher britischer Unternehmensteile von Arriva in öffentliches Eigentum und sieht darin die einzig sinnvolle Alternative zu einer »schmutzigen Spekulation, bei der unsere Zukunft hinter verschlossenen Türen im Interesse des Finanzkapitals und nicht der britischen Bahnpassagiere zerstückelt wird«.

Cash und seine Mitstreiter vertreten damit die Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung, die nach leidvollen Erfahrungen im Mutterland der Bahnprivatisierung eine Wiederverstaatlichung des fragmentierten Eisenbahnwesens auf der Insel unterstützt. Spannend könnte es werden, falls nach möglichen Neuwahlen Labour-Chef Jeremy Corbyn in London an die Regierung käme und unter starkem Druck stünde, die in seinem Programm geforderte Wiederverstaatlichung der Bahnen tatsächlich anzupacken.

Die Position der RMT stößt auch bei deutschen Aktivisten auf Zustimmung. »Im Einklang mit britischen Gewerkschaften muss ein Verkauf an private Investoren verhindert werden«, erklärt Bernhard Knierim vom privatisierungskritischen Bündnis »Bahn für Alle« gegenüber »nd«. Die Zukunft von Arriva und eine bessere europaweite Zusammenarbeit gegen die Bahnprivatisierung waren Thema beim jüngsten Treffen des Bündnisses am vergangenen Wochenende in Göttingen. »Das Engagement für eine gemeinnützige Bahn in öffentlicher Hand ist international«, so Knierim.   Autor: Hans-Gerd Öfinger

Lexikon

Die DB-Tochter Arriva mit Sitz im nordenglischen Sunderland hat rund 62.000 Beschäftigte und führt jährlich 2,4 Milliarden Passagierfahrten durch.

Aktuell besteht sie aus drei Sparten: Arriva UK Bus ist in weiten Teilen Großbritanniens aktiv und gehört zu den größten Betreibern von Buslinien im Fern- und Nahverkehr im Land. Arriva UK Trains ist vor allem in Wales, Nordengland und im Großraum London im Regional- und Nahverkehr auf der Schiene aktiv. Die größte Sparte ist Arriva Mainland Europe. Sie umfasst alle anderen DB-Aktivitäten im Bereich Personenverkehr auf Schiene und Straße in Europa. Betrieben werden Strecken in 13 Ländern von Schweden bis Portugal sowie von den Niederlanden bis Serbien. nd

Quelle: Tageszeitung neues deutschlandwww.neues-deutschland.de/artikel/1116005.arriva-deutsche-bahn-verkauft-tochter.html

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Besuch in Frankreich: „Drei Tage Generalstreik und die Gesetze wären weg“

Weil wir es satt waren, dass die Vorstände deutscher Gewerkschaften keinerlei Solidarität mit der aktuellen französischen Streikbewegung gegen arbeiterfeindliche Gesetze zeigen, entschlossen wir uns zum Besuch bei streikenden KollegInnen der französischen Eisenbahn SNCF. Paris ist für einen Tagesbesuch zu weit entfernt. Daher entschieden wir uns für Ostfrankreich. KollegInnen der linken Basisgewerkschaft SUD Rail in Paris vermittelten uns Kontakt zu den Streikenden in Nancy (Lothringen). Das liegt etwa drei Autostunden von Stuttgart oder Frankfurt entfernt. Auto war in diesem Fall in der Tat sicherer, weil die Bahn SNCF ja bestreikt wird und wir keine eventuellen Streikbrecherzüge benutzen wollten.

Bei der Fahrt durch Ostfrankreich am frühen Morgen deutete zunächst nichts auf die Streikbewegung hin. Viele Tagespendler aus dem Elsass in Richtung Karlsruhe kamen uns entgegen. In französischen Radiosendern wurde derweil kräftig Stimmung gegen die Streiks bei der Bahn, in Häfen, bei Kraftwerken, Raffinerien und anderswo gemacht. Regierungsmitglieder riefen zum Abbruch der Streiks auf, weil im Rahmen der Flutkatastrophe im Raum Paris die Seine und andere Flüsse über die Ufer getreten waren. Ein Sprecher des Bauernverbandes antwortete prompt: Nicht die Streikenden sind schuld an den Überschwemmungen, sondern die zunehmende Versiegelung der Landschaft.

In Nancy angekommen fanden wir nach der Wegbeschreibung schließlich die streikenden EisenbahnerInnen. Sie hatten sich unter einem großen Viadukt unweit des Hauptbahnhofs versammelt und waren sehr erfreut darüber, dass wir zu dritt aus Deutschland angereist waren, um uns zu solidarisieren. Brennende Autoreifen, Nebelkerzen und Böller – sie gehören zu jedem ordentlichen Streik in Frankreich – waren unübersehbar und unüberhörbar. Sofort waren wir in viele Gespräche verwickelt.

Wenig später gingen wir zusammen mit den KollegInnen in die Kantine, wo die Streikversammlung stattfand. Wie jeden Werktag seit Streikbeginn versammelten sich die Streikenden, hörten von den Vertretern der drei am Streik beteiligten Gewerkschaften CGT, SUD Rail und FO aktuelle Informationen und stimmten einmütig ab, der Streik für weitere 24 Stunden fortzusetzen. Ein Beispiel gelebter Demokratie. Unsere Grußworte wurden mit Interesse und Beifall aufgenommen.

Zurück unter dem Viadukt setzten wir die Gespräche beim Imbiss aus dem Streikgrill fort. Eindrucksvoll war für uns, dass die Mitglieder der drei konkurrierenden linken Richtungsgewerkschaften, die die Mehrheit der SNCF-Belegschaft hinter sich haben, Schulter an Schulter kämpfen. Die gemäßigte, sozialdemokratische und immer weiter nach rechts tendierende Gewerkschaft CFDT unterstützt den Streik nicht. Die französische Lokführergewerkschaft FGAAC hat sich mit der CFDT vereinigt und ist ebenfalls gegen den Streik. Zwei der vier Mitglieder von FGAAC in Lothringen seien aber aktiv am Streik beteiligt, berichteten uns die KollegInnen.

Anders als bei offiziellen Streiks in Deutschland gibt es für die Streikenden in Frankreich keine Streikgelder. Das bedeutet: Streiken ist kein Zuckerschlecken, sondern ein großes Opfer. „Ich verliere hier vielleicht 80 Euro am Tag. Aber wenn sich die Regierung durchsetzt, dann verliere ich für den Rest meines Arbeitslebens 200 Euro im Monat“, bringt es ein Kollege auf den Punkt. Viele Streikende sind in keiner Gewerkschaft organisiert, stehen aber genau so solidarisch bei den Streikposten wie die Organisierten und die ehrenamtlichen Funktionäre der örtlichen Gewerkschaftsgliederungen. Im Hauptbahnhof Nancy springt die gähnende Leere ins Auge. 80 Prozent der Züge in Lothringen fallen streikbedingt aus. Aus Strasbourg wurden Streikbrecher herangekarrt, um einige Verbindungen aufrecht zu erhalten.

Ein Problem, das uns auffällt: Die Streikenden sind hochmotiviert. Viele junge KollegInnen machen engagiert mit. Aber Solidarität von außen ist zumindest an diesem Tag zu gering. Außer uns kommt in diesen vier Stunden augenscheinlich niemand sonst zu Besuch. In anderen Branchen wird weiter gearbeitet. Offensichtlich setzt die Regierung auf Aushungern und Ermattung. In anderen Branchen warten die KollegInnen ab. Alles setzt auf den Aktionstag – wenige Tage später – am 14. Juni, der mit einer Beteiligung in Millionenhöhe auch zum Erfolg wurde. Aber das reicht nicht aus. „Drei Tage landesweiter Generalstreik und die Gesetze wären weg“, sagt uns eine Kollegin in Nancy.

Wir bleiben dran. Solidarität tut not! Französisch lernen! Hoch die internationale Solidarität!

Text: Hans-Gerd Öfinger
Fotos: Malte Mäckelburg

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Unser Flugblatt für den 8. Juni 2016

Keine Schrumpfbahn, kein Rückzug der DB Cargo aus der Fläche! Kein Börsengang durch die Hintertür! Nein zu Privatisierung, Liberalisierung und Zerschlagung!

Der Vorstand der Deutschen Bahn AG (DB) will den Weg in Richtung Privatisierung und Zerschlagung mit Riesenschritten fortsetzen. Der DB-Aufsichtsrat soll über Rotstiftpläne für DB Cargo zur Schließung von Güterverkehrsstellen und Frachtbahnhöfen beraten. Gleichzeitig möchte der DB-Vorstand Anteile der international operierenden Konzerntöchter DB Arriva und DB Schenker per Börsengang an private Investoren verscherbeln. Bald sollen die DB-Nachtzüge endgültig auf das Abstellgleis geschoben werden.

Diese Vorhaben sind Ausdruck ein und derselben Misere und müssen gemeinsam bekämpft und gestoppt werden. Der geplante Börsengang von DB Arriva und DB Schenker würde die hohen Renditeerwartungen privater Kapitaleigner im DB-Konzern zur Geltung bringen. Die Folgen wären bald in allen Geschäftsbereichen spürbar – zu Lasten von Beschäftigten, Kunden und Umwelt. Der Trend zum Rückzug von DB Cargo aus der Fläche und zur Verlagerung der Transporte auf die Straße über Gigaliner von DB Schenker würde ebenso gestärkt wie das DB-Fernbusgeschäft. Damit macht sich die Bahn selbst Konkurrenz und schwächt die Schiene. Die Streichung der Nachtzüge zwingt Reisende in den Flieger oder das Auto. Statt Schrumpfbahn brauchen wir aber einen Ausbau des Güter-, Personen- und Nachtzugverkehrs. [...]

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Bahnmanager wieder auf Börsenkurs

Konzern plant Teilprivatisierung von Tochterunternehmen. Offenbar will sich die Deutsche Bahn von Teilen einiger Gesellschaften trennen und sie an die Börse bringen. Die Arbeitnehmervertreter sollen zugestimmt haben.

Einen neuen Anlauf zur Teilprivatisierung will der Vorstand der bundeseigenen Deutschen Bahn AG (DB) am Mittwoch vom Aufsichtsrat absegnen lassen. Nach Medienberichten soll das Aufsichtsgremium in einer Sondersitzung über den von DB-Chef Rüdiger Grube vorgelegten Antrag abstimmen. Bis Herbst 2016 soll ein »detailliertes Umsetzungskonzept« für einen Börsengang der international operierenden Tochterfirmen DB Arriva und DB Schenker in drei Tranchen von 2017 bis 2019 vorgelegt werden.

Als Rechtfertigung dient die hohe Verschuldung der Bahn, die bis 2020 auf 22,2 Milliarden Euro ansteigen könnte. 1994 war der aus Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) gebildete Konzern schuldenfrei. Der Börsengang sei unvermeidlich, um Verbindlichkeiten abzubauen und eine in den letzten Monaten angekündigte »Qualitätsoffensive« im inländischen Schienenverkehr finanziell abzusichern, so die Manager. Sie erwarten Einnahmen von rund 4,5 Milliarden Euro. Beim Einstieg Dritter in Arriva und Schenker handele es sich um eine »Minderheitsbeteiligung« bis zu 45 Prozent, heißt es in einer vertraulichen Beschlussvorlage.

Damit setzt der Vorstand nach achtjähriger Pause wieder auf die Börse. Der letzte Ansatz zur Teilprivatisierung der für einen Börsengang gegründeten Tochterholding DB Mobility&Logistics AG war im Mai 2008 vom Bundestag abgesegnet worden. Den für Oktober 2008 geplanten Börsengang blies der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) angesichts der hereinbrechenden Wirtschaftskrise kurzfristig ab. Nun soll die Holding per Aufsichtsratsbeschluss aufgelöst werden. [...]

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Hintergründe des Eisenbahnerstreiks in Frankreich

10 Tage Eisenbahnerstreik

Wenn die französische Nationalversammlung an diesem Dienstag in Paris ein Gesetz zur „Bahnreform“ debattiert und verabschiedet, dann steht eine Mehrheit der betroffenen Eisenbahner dem Projekt nach wie vor ablehnend gegenüber. Sichtbarer Ausdruck dieser Distanz war ein gut zehntägiger landesweiter Streik bei der Eisenbahn SNCF (Société Nationale des Chemins de fer Français), der Mitte vorletzter Woche begann und am Wochenende in den Streikzentren überwiegend beendet wurde. Dieser Arbeitskampf wurde in den allermeisten bundesdeutschen Medien ausgeblendet und war auch für die Gewerkschaften EVG und GDL kein Thema. Was sind die Hintergründe?

Die „Reform“ des Eisenbahnwesens soll nach Angaben ihrer Urheber die Netzbetreibergesellschaft RFF (Réseau ferré de France) nach bundesdeutschem Modell wieder unter dem Dach der noch in Staatsbesitz befindlichen Konzernholding SNCF ansiedeln. RFF war 1997 unter einer „rot-rot-grünen“-Regierung durch Ausgliederung gebildet worden. Nun soll die künftige SNCF-Gruppe, die in die Bereiche SNCF (Konzernholding), SNCF Mobilité (Transportgesellschaften) und SNCF Réseau (Netz) unterteilt wird, vollständig für den „Wettbewerb“ geöffnet werden. Was auf den ersten Blick wie eine Zusammenführung von Fahrweg und Transportgesellschaften aussieht und aus der Sicht vieler ganzheitlich denkender Eisenbahner die schädliche Zerfledderung des Organismus Eisenbahn in einzelne Unternehmenssparten überwinden soll, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Vorbereitung einer künftigen Filetierung und Privatisierung des Eisenbahnsektors nach britischem Vorbild. Die „Reform“ soll die 44 Milliarden Euro Schulden, die sich über Jahrzehnte im Eisenbahnsektor angehäuft haben, nicht streichen, sondern dadurch „stabilisieren“, dass Neubauprojekte künftig nicht von SNCF Réseau, sondern von den öffentlichen Auftraggebern in Paris oder den Regionen finanziert werden.

Französische Eisenbahner haben eine lange kämpferische Tradition und sind gleichzeitig in separaten, konkurrierenden Richtungsgewerkschaften organisiert. Als sie Ende 1995 der konservativen Regierung Juppé den Kampf ansagten und in einer spontanen Streikbewegung wochenlang das Land lahm legten, wurden „französische Verhältnisse“ legendär. Weil sich Nicole Notat, Chefin der damals starken, sozialdemokratisch orientierten CFDT (Confédération française démocratique du travail) , vom Streik distanzierte, bildete sich ab 1996 aus einer Abspaltung der CFDT die neue klassenkämpferische Basisgewerkschaft SUD Rail, in der sich seither eine politisch radikalisierte Minderheit der Eisenbahner organisiert.

Ein Hauch von 1995 wehte auch am 22. Mai 2014 wieder über Paris, als viele tausend Mitglieder verschiedener Bahngewerkschaften durch die Hauptstadt zogen und anlässlich der anstehenden „Bahnreform“ ihre Forderungen unterstrichen. Sie verlangten die Überwindung der Trennung von SNCF und RFF und Wiederherstellung eines einheitlichen öffentlichen und nicht profitorientierten Eisenbahnunternehmens sowie die Streichung aller Schulden. Eine Zerschlagung des Konzerns SNCF, der ähnlich wie die Deutsche Bahn immer mehr Tochtergesellschaften bildet, Ausgründungen vornimmt und prekären Beschäftigungsbedingungen Vorschub leistet, müsse gestoppt werden. Allen im Eisenbahnwesen Tätigen müssten Einkommen, Arbeitsbedingungen und sichere Beschäftigungsperspektiven wie im gesamten Öffentlichen Dienst angeboten werden, so eine weitere zentrale Forderung.

Regierung und Bahnmanagement sagten zur Beruhigung der Gemüter einzelne „Nachbesserungen“ am Gesetz zu und holten damit einen Teil der Gewerkschaftsapparate, allen voran die Spitzen von CFDT und UNSA (Union nationale des syndicats autonomes), ins Boot. Weil diese Zugeständnisse jedoch bei weitem nicht den zentralen Forderungen entsprachen, begann nach dem Pfingstwochenende mit Vollversammlungen an großen Bahnhöfen die Streikbewegung, bei der die Aktivisten von SUD Rail von Anfang an als treibende Kraft wirkten. Neu und entscheidend an dieser Bewegung war allerdings die aktive Mitwirkung der nach wie vor größten, traditionell kommunistisch orientierten Bahngewerkschaft CGT Cheminots. Zwar strebte auch ihr Chef Gilbert Garrel zunächst einen Pakt mit Regierung und Bahnmanagement an und sprach sich gegen den Arbeitskampf aus. Nachdem jedoch seine Basis streiken wollte und gemeinsam mit den Aktivisten von SUD Rail vollendete Tatsachen schuf, musste er den Tatsachen Rechnung tragen und den Streik unterstützen.

Aus der Sicht von SUD Rail war schon allein dieser Sachverhalt ein gewaltiger Durchbruch. Schließlich standen ihre Aktivisten bei früheren Bewegungen etwa gegen die „Rentenreform“ des konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy oftmals alleine da, weil Mitglieder und Anhänger anderer Gewerkschaften den Kampf aufgaben oder nicht führen wollten. Immer wieder zeigte das von Regierung, Management und Gewerkschaftsapparaten betriebene „Teile und Herrsche“ Wirkung. Diesmal kam es in täglichen Streikversammlungen und vielfältigen öffentlichen Aktionen zum Schulterschluss der Aktivisten von CGT und SUD Rail. Beide Gewerkschaften errangen bei den jüngsten Wahlen zu den Personalvertretungen insgesamt rund 53 Prozent der Mandate und haben zusammen die Mehrheit der SNCF-Belegschaft hinter sich.

An der Einheitsfront von CGT und SUD Rail konnten auch eine von den Streikenden beklagte verzerrende Berichterstattung in den allermeisten Medien und wiederholte Appelle des sozialdemokratischen Regierungschefs Manuel Valls zu Beendigung eines „sinnlosen“ Streiks nichts ändern. Schließlich waren und sind die Gewerkschaftsaktivisten davon überzeugt, dass sie nicht nur für ihre eigene Zukunft, sondern gegen Privatisierung und Liberalisierung und für ein sicheres. Soziales, ökologisches und zuverlässiges öffentliches Verkehrsangebot im Interesse der Allgemeinheit kämpfen. „Wir streiken, weil wir nicht wollen, was in England passiert ist, wir streiken für die Zukunft des ganzen Landes“, sagte uns ein Kollege in Ostfrankreich. „Der Eisenbahntransport von Gütern und Personen entspricht einer gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Notwendigkeit und darf nicht in die Hände von Privatunternehmen fallen, die ihren Aktionären Dividenden ausschütten müssen.“; brachte es SUD Rail-Sprecherin Nathalie Bonnet in der vergangenen Woche in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung Le Monde auf den Punkt. „Wir wollen ein einheitliches öffentliches Eisenbahnunternehmen und keine Holding nach dem Vorbild anderer europäischer Länder, die nur als Instrument zur Zerschlagung und Privatisierung dient.“

Ende vergangener Woche votierten nahezu alle lokalen Streikversammlungen für einen Abbruch des Arbeitskampfes. Weil es keine gewerkschaftlichen Streikgelder gibt, ist der Lohnausfall für viele schmerzhaft. Dennoch ist die Stimmung trotzig. „Das ist keine Niederlage“, erklärte uns ein Fahrdienstleiter aus Ostfrankreich am Wochenende. Regierung und Management hätten vorab nie damit gerechnet, dass der Streik überhaupt so lange andauern und zum Uasfall vieler Züge führen würde. Es war ein aktiver Streik, der den Koordinatoren viel Arbeit und einen 18-Stunden Tag- abverlangte. Weil die meisten Medien gegen den Streik Stimmung machten, war die Kommunikation über soziale Netzwerke umso wichtiger.

Neue Bewegungen in den kommenden Monaten sind wahrscheinlich. „Zehn Tage Streik sind nicht wenig. Und sie werden nicht umsonst gewesen sein! Diejenigen, die Widerstand leisten, kämpfen, streiken, haben recht“, so die Zwischenbilanz eines aktuellen SUD Rail-Flugblatts. „Deutsche und französische Eisenbahner müssten zusammen streiken“; sagt uns ein Kollege: „Wir sind dafür offen. Wir hätten die Kraft und könnten was bewegen.“

Gekürzte Fassung dieses Artikels

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Europaweite Kundgebung in Straßburg

Liberalisierte Fehlschläge gehen weiter – Gewerkschafter fordern Ablehnung des Eisenbahnpakets im EU-Parlament

Am Dienstag, 25. Februar 2014, protestierten rund 3000 Eisenbahner in Straßburg. Dort stimmt das EU-Parlament heute über die weitere Liberalisierung in Europa ab.

Einen Tag vor der Abstimmung des EU-Parlaments über das »4. Eisenbahnpaket« der EU-Kommission demonstrierten am Dienstag rund 3000 Eisenbahner aus ganz Europa vor dem Straßburger EU-Parlament gegen eine weitere Liberalisierung ihrer Branche und eine Einschränkung des Streikrechts im Eisenbahnwesen. Sie waren einem Aufruf des Dachverbands Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) gefolgt. Während einer mehrstündigen Kundgebung in Sichtweite des weiträumig abgesperrten Parlamentsgebäudes kritisierten sie die von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas vorangetriebene Zielsetzung, die bestehenden und bisher überwiegend noch in öffentlichen Händen befindlichen Bahngesellschaften aufzuspalten. Damit werde der Prozess der Zerschlagung und Privatisierung nach britischem Vorbild vorangetrieben.

Angereist waren Gewerkschaftsdelegationen aus zahlreichen europäischen Ländern. Allein die bundesdeutsche Bahngewerkschaft EVG und französische Bahngewerkschaften hatte jeweils rund 1000 Mitglieder mobilisiert. »Wir sind wütend, Hände weg von unserer Bahn« hatten sie auf ein riesiges Transparent geschrieben.

»Wenn Netz und Betrieb voneinander getrennt werden, hat das katastrophale Folgen«, warnte der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner. So könne der Konzern Deutsche Bahn heute noch beispielsweise berufsunfähige Lokführer umschulen und in anderen Bereichen einsetzen. Bei einer Zerschlagung drohe den Betroffenen die Arbeitslosigkeit. Auch im Betriebsalltag sei die organisatorische Trennung in separate, oftmals gegeneinander arbeitende Firmen hinderlich und teuer. »Wenn jeder nur noch seine eigenen Interessen verfolgt, schadet das Beschäftigten und Kunden und macht das System Schiene letztlich unattraktiv«, so Kirchner. Der Gewerkschafter kritisierte zudem, dass das »4. Eisenbahnpaket« im Falle eines Arbeitskampfes eine Art Notdienst für den öffentlichen Verkehr und damit faktisch eine Einschränkung des Streikrechts vorsehe. »Das ist völlig inakzeptabel«, so Kirchner.

Die Beschäftigten stimmen ihm zu. »Rad und Schiene gehören im Interesse von Sicherheit, Qualität und guter Arbeit in einem Unternehmen zusammen«, so der Luxemburger Guy Greivelding. Julian Eisenberger, Auszubildender und angehender Lokführer aus Hessen, hatte noch bis tief in die Nacht kunstvoll ein eigenes Plakat mit der Aufschrift »Liberalisierung? Jetzt reicht’s uns« angefertigt. »Die Eisenbahn soll nicht zum Gelddrucken da sein, sondern als staatliche Dienstleistung für den Bürger«, ist er überzeugt.

Auf eigene Faust angereist war der Lokrangierführer Volker Blaschke aus dem holsteinischen Itzehoe. Von »Wettbewerb« auf den Schienen hält er gar nichts: »Der findet nur auf dem Rücken der Eisenbahner statt, denn die Kosten für Fahrzeuge und Trassen sind fix, variabel sind nur die Löhne und Sozialabgaben.« Berliner S-Bahner waren um vier Uhr früh aufgebrochen und hatten ein eigenes Transparent mit der Aufschrift »100 Prozent S-Bahn – keine Ausschreibung« mitgebracht. »Bei der S-Bahn will keiner eine Ausschreibung, die Zerschlagung wirft schon längst ihre Schatten voraus«, sagte S-Bahn-Betriebsrat Peter Polke.

»Liberalisierung und Privatisierung in Europa zeigen weltweite Folgewirkung«, erklärte Mac Urata von der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF). Er berichtete über jüngste erbitterte wochenlange Eisenbahnerstreiks gegen die beabsichtigte Bahnprivatisierung in Südkorea.

»Die Demonstration ist ein hoffnungsvolles Zeichen«, sagte Uwe Larsen Röver, DB-Betriebsrat aus Halle. Er bedauerte, dass die Lokführergewerkschaft GDL nicht zur Teilnahme aufgerufen hatte. Demgegenüber war die norwegische Lokführergewerkschaft NLF in Straßburg vertreten. »Die Liberalisierung in der EU hat auch für uns in Norwegen negative Konsequenzen«, erklärte NLF-Sprecher Oystein Aslaksen. Im Nachbarland Schweden sei die Liberalisierung seit Ende der 1980er Jahre noch weiter gediehen als selbst in England und habe sich als totaler Fehlschlag erwiesen. »Die machen unsere Infrastruktur kaputt«, kritisierte auch der dänische Zugbegleiter Erik Bach und stellte die Eisenbahnliberalisierung in einen Zusammenhang mit ähnlichen Prozessen in den Bereichen Energie, Post und Wasser.

»Für uns gehört die Eisenbahn zu den öffentlichen Aufgaben«, erklärte die deutsche EU-Abgeordnete Sabine Wils (LINKE) in der anschließenden Parlamentsdebatte. Sie warnte vor einer Verschlechterung der Qualität und Sicherheit im Bahnverkehr.

Die Abstimmung im Plenum über eine erste Stellungnahme zum 4. Eisenbahnpaket ist für heute Mittag vorgesehen. Die EU-Kommission hatte das vierte Eisenbahnpaket im Januar des vergangenen Jahres vorgelegt. Verhandlungen über die endgültige Fassung des Eisenbahnpaktes zwischen dem EU-Parlament und den nationalen Regierungen beginnen voraussichtlich im Herbst. (26. Februar 2014)

Quelle –  Aufruf der ETF

Unser Flugblatt: Genug geredet! Jetzt müssen Taten folgen!

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EU-Bahnvernichtungswettbewerb

Hoch die internationale Solidarität

Hoch die internationale Solidarität

Das 4. EU-Eisenbahnpaket der EU-Kommission schockt: Sein eigentliches Ziel ist, Volksvermögen ungestraft verschleudern zu dürfen. Selten stand das „K“ der EU-Kommission so offensichtlich für „Kapital“. Ein Beitrag aus „railchat“ (Nr. 4, Juli 2913), der Zeitung des ÖBB-Konzernbetriebsrates.

Obwohl sie bis heute den Beweis ihres Erfolges schuldig geblieben ist, strebt die Europäische Kommission (EK) im mittlerweile 4. Eisenbahnpaket die weitere Privatisierung und Zerschlagung des überwiegend noch öffentlichen Eisenbahnsektors in Europa an. Geplant ist die zwangsweise Ausschreibung von jeglichem öffentlich finanzierten Schienenpersonenverkehr. Unabhängig davon, ob das derzeitige Angebot funktioniert oder nicht und ob die KundInnen zufrieden sind oder nicht. Davon betroffen sind beispielsweise die Schnellbahnsysteme in Wien, Graz und Salzburg sowie Regionalbahnsysteme wie die Badner Bahn oder die Salzburger Lokalbahn. Nicht ausgeschrieben werden müssen hingegen rein innerstädtische Schienenbahnen wie Straßen- oder U-Bahn. [...]

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Anhörung zeigt: Gewerkschaften sind gegen Privatisierung und Liberalisierung

Europas Bahngewerkschaften lehnen weitere Privatisierungen im Eisenbahnbereich überwiegend ab. Das wurde bei einer Anhörung Anfang April 2003 im Europäischen Parlament in Brüssel deutlich. Eingeladen dazu hatten die Abgeordneten Sabine Wils (Hamburg) und Jaromír Kohlicek (Tschechische Republik) von der Linksfraktion (GUE-NGL).

»Die Menschen in unserem Lande wollen keine Privatisierung und Liberalisierung der Eisenbahn«, erklärte der Belgier Serge Piteljon von der Europäischen Transportarbeiterförderation (ETF). Als Generalsekretär der Sektion Eisenbahn in der Gewerkschaft GGSP hatte er im vergangenen Oktober einen eintägigen landesweiten Bahnstreik gegen die Zerschlagung der belgischen Eisenbahn mit organisiert. [...]

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Statt Co-Management brauchen wir den Schulterschluss aller Bahngewerkschaften in Europa

Nach viereinhalb spannenden Jahren ist der aktuelle Gewerkschaftstag der Bahngewerkschaft EVG – ehemals TRANSNET – im November 2012 Anlass genug, um zu fragen: Wo stehen wir heute? Ist es uns gelungen, die aus der Wut über den Seitenwechsel von Norbert Hansen erwachsene Sehnsucht nach Veränderung in positive Schritte umzusetzen und entsprechende politische und organisatorische Konsequenzen zu ziehen?

Erinnern wir uns: „Transnet will die Privatisierung“, hielt uns bei der zentralen DGB-Maikundgebung 2008 in Mainz der Hauptredner Kurt Beck (SPD) entgegen, als wir gegen den gerade beschlossenen Bahn-Börsengang protestierten. Eine Woche später dann die Auflösung des Rätsels: Norbert Hansen trat als TRANSNET-Vorsitzender zurück und wechselte als neuer Personalvorstand nahtlos in die DB-Chefetage. Viele Mitglieder sahen darin einen Verrat. Zuvor hatte Hansen jahrelang im Schulterschluss mit dem damaligen DB-Chef Hartmut Mehdorn die Privatisierung propagiert und Privatisierungskritiker in den eigenen Reihen gegängelt und mundtot gemacht.

Hansens Nachfolger Lothar Krauß blieb auf Linie und war nur kurz im Amt. Im November stolperte er über Boni für Manager im Zusammenhang mit dem für Oktober 2008 geplanten Börsengang, denen er im Personalausschuss des DB-Aufsichtsrats zugestimmt hatte. Seit November 2008 steht Alexander Kirchner an der Spitze der Organisation. [...]

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Opposition im Europaparlament

Rede der Abgeordneten Sabine Wils (DIE LINKE) zur Neufassung des Ersten Eisenbahnpakets im Europaparlament am 14. November 2011

Bei der Neufassung des Ersten Eisenbahnpakets geht es offensichtlich darum, den privaten Konzernen im Eisenbahnsektor ihre Profite zu sichern. Mit der Möglichkeit der Unterauftragsvergabe, der Privatisierung von Rangierbahnhöfen und Instandhaltungswerken sowie deren Betrieb durch private branchenfremde Unternehmen sollen die integrierten öffentlichen Eisenbahnunternehmen zerstört werden. Obwohl die Praxis in Großbritannien bereits zeigt, dass das der falsche Weg ist, soll dieser EU-weit beschritten werden. [...]

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