Das jüngste Winterchaos bei der Deutschen Bahn und anderen deutschen Eisenbahnen hat in manchen Köpfen ein erstaunliches „Umdenken“ ausgelöst. So diagnostiziert Verkehrsminister Ramsauer (CSU)„jahrelange Sparpolitik und Renditedruck”. Kaufmännische Ziele hätten die Interessen der Fahrgäste in den Hintergrund gedrängt. Auch mehrere Landesregierungen sehen die massiven Einsparungen bei Mensch und Material in einen Zusammenhang mit dem geplanten Börsengang der Deutschen Bahn (DB). DB-Chef Grube gibt sich nachdenklich. Privatisierungskritik gehört jetzt in weiten Kreisen fast schon zum guten Ton.
In der Tat hat das Winterchaos viel mit den Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen der Bahn zu tun, die seit 1994 von dem Ziel der Börsenfähigkeit diktiert wurden. So wurde das Schienennetz immer mehr zurück gebaut und verschwanden immer mehr Bahnhöfe und Überholungsgleise, um die Kosten von Instandhaltung und Instandsetzung zu reduzieren. Alte Technik, die über Jahrzehnte funktionierte, wurde gegen hoch entwickelte Technik ersetzt, die aber nur bei normalen Witterungsverhältnissen funktioniert.
Aber auch der Fahrzeugbestand ist ein großes Problem, nicht nur wegen der Instandhaltung- und Instandsetzungskosten, die immer mehr zurückgefahren werden. So werden Instandhaltungsinterwalle immer mehr gestreckt und die regelmäßige Zuführung in die Werkstätten erfolgt in immer größerem Abstand. Kleinere Schäden sind keine Gründe mehr, um die Fahrzeuge den Werkstätten zuzuführen. Aber auch die hohen Anschaffungskosten wegen des überalterten Fahrzeugbestands werden immer mehr zur Kostenfalle und der Druck der DB AG auf die Wirtschaft zur Senkung der Kosten für Neufahrzeuge steigt. Das Ergebnis sieht man im tatsächlichen Leben. So überhitzen die Fahrzeuge im Sommer und vereisen im Winter, Hauptsache, sie werden immer leichter und billiger.
Die Auswahl der Manager der Deutschen Bahn AG erfolgte zunehmend auf der Basis der Hörigkeit und nicht unbedingt nach dem Können. So gehört es zum Tagesgeschäft, Manager von einem Unternehmensbereich der DB AG in einen anderen Unternehmensbereich der DB AG zu versetzen. Auch holt man sich immer wieder Manager, die die Eisenbahn nicht kennen und nicht verstehen. Hier geht es nur darum, in kurzer Zeit große Gewinne zu erwirtschaften, um die Kapitalmarktfähigkeit zu erreichen.
Das Einsparen von Energiekosten hat einen wichtigen Stellenwert. So werden die Klimaanlagen so eingestellt, dass sie nur bei normalen Wetterbedingungen gut funktionieren. Technische Einrichtungen wie Weichenheizungen wurden aus Kostengründen jahrelang ausgebaut. Wo sie noch vorhanden sind, können sie vielfach bei Frost nicht mehr richtig arbeiten. Schade, dass sich das Wetter nicht an die Betriebswirtschaft anpasst!
Der Personalbestand geht immer mehr zurück. Man möchte immer mehr Betriebsteile bzw. Unternehmensbereiche ausgliedern. So versucht man seit Jahren mit immer mehr Druck, die Produktivität zu steigern und gleichzeitig die Einkommen zu reduzieren. So behauptet man, dass man sich an die Industrie und den Mittelstand anpassen müsse, um “wettbewerbsfähig” zu werden. Da werden Unternehmensbereiche personell so zurück gefahren, dass diese ihre Aufträge nicht erfüllen können. Diese schreiben wiederum die Arbeiten aus und Billigfirmen bekommen den Zuschlag, diese wiederum beschäftigen dann wieder irgendwelche Subunternehmen. Das Ergebnis kennen wir ja. Denn es zeigt sich, dass die Übertragung von Aufgaben an Sub- und Sub-Sub-Unternehmen dem Chaos natürlich nicht gerecht wird. Fremdfirmen, die in milden Wintern mit pauschalen Aufträgen zum Schneeräumen gut verdient haben, sind total überfordert, sobald viel Schnee fällt.
Hinzu kommt eine mangelhafte Einweisung, wobei etwa Fremdfirmen mit dem „Räumen von Weichen“ beauftragt werden und dann nur die Schwellen und nicht die Weichenteile freigeräumt werden. Oder noch schlimmer: Wie kurz vor Weihnachten in Köln kann es hier zu tödlichen Unfällen kommen. Überall sahen wir zugeeiste Bahnsteige, Schienenwege, Weichen und Wege. Reisende und Pendler kommen nicht mehr rechtzeitig zu ihren Arbeitsstellen, Züge können nicht oder nur mit großen Verspätungen gefahren werden.
Durch die strikte Aufteilung in Geschäftsbereiche gibt es kein übergreifendes Handeln mehr, weil jede Firma innerhalb des Konzerns Deutsche Bahn nur an sich denkt. So können etwa Rangierer oder Instandhaltungspersonal nicht kurzfristig zum Weichenreinigen bei DB Netz eingesetzt werden.
Ein weiteres Problem ist die verstärkte Zentralisierung. Ein Fahrdienstleiter (Fdl), der eine ganze Strecke steuert, hat keinen Blickkontakt über die Schneeentwicklung im Weichenbereich. Entscheidungen werden am grünen Tisch fernab getroffen. Es gibt keine Reserven bei Loks und Wagen, keine Entlastungszüge. Hinzu kommen technische Probleme etwa mit Achsen. Neue Lokbaureihen fallen wegen „Flugschnee“ aus.
Angesichts dieser Probleme fordern nun viele Landesregierungen, SPD und die Spitze unserer Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG den Verzicht auf die Abführung von 500 Millionen Euro Rendite der Deutschen Bahn AG an den Eigentümer Bund zugunsten einer Verbesserung der Infrastruktur. Das ist gut gemeint und klingt gut. Es greift aber zu kurz. Denn solange es beim Auftrag des Eigentümers an die DB-Manager bleibt, den Konzern für den Börsengang umzubauen, werden auch Milliardenspritzen das Übel nicht beheben. Grube und Co., die kürzlich für knapp drei Milliarden Euro den britischen Bus- und Bahnkonzern Arriva aufgekauft haben, träumen weiter vom Börsengang und vom weltbeherrschenden „Global Player“. Bei ihnen ist das Geld in den falschen Händen.
Das System Schiene wird durch die Jagd nach Wettbewerbsfähigkeit und den Kostendruck zu Lasten von Beschäftigten, Kunden und Sicherheit auf Dauer zu Grund gerichtet. Es eignet sich nicht als Versuchskaninchen für Liberalisierung, Zerschlagung und Privatisierung. Ohne eine Aufhebung des Bundestagsbeschlusses von 2008 über den Börsengang und ohne eine Behebung des von privatisierungswütigen Managern seit 1994 angerichteten massiven Flurschadens sind weitere Chaostage in heißen Sommern und kalten Wintern vorprogrammiert.
Lassen wir uns nicht von den Worten mancher Politiker einlullen und wiegen wir uns nicht in der trügerischen Hoffnung, dass der Börsengang der Bahn über viele Jahre nicht mehr auf der Tagesordnung steht. Denn schon melden sich wieder Privatisierungslobbyisten zu Wort. So verlangt die Frankfurter Allgemeine (FAZ), hinter der einflussreiche Herrschaften aus der deutschen Wirtschaft stecken, in ihrer Ausgabe vom 12 Januar 2011 einen neuen Privatisierungsvorstoß:
„Bei der (von der Wirtschaftskrise gut erholten) Bahn könnte angesichts des Finanzbedarfs die Idee des Teilverkaufs eine zweite Chance bekommen. Wenn es taut, sollten die zurückgestellten Privatisierungsdebatten mit neuem Leben erfüllt werden.“
Jetzt ist die EVG am Zuge. Sie hat die Chance und die Pflicht, den jahrelangen Eiertanz um eine klare Haltung zur Privatisierung zu überwinden, die Dinge beim Namen zu nennen und sich uneingeschränkt gegen jede Form der Privatisierung und Zerschlagung unserer Bahn zu positionieren.
www.bahnvonunten.de, 14. Januar 2011