Das 4. EU-Eisenbahnpaket der EU-Kommission schockt: Sein eigentliches Ziel ist, Volksvermögen ungestraft verschleudern zu dürfen. Selten stand das „K“ der EU-Kommission so offensichtlich für „Kapital“. Ein Beitrag aus „railchat“ (Nr. 4, Juli 2913), der Zeitung des ÖBB-Konzernbetriebsrates.
Obwohl sie bis heute den Beweis ihres Erfolges schuldig geblieben ist, strebt die Europäische Kommission (EK) im mittlerweile 4. Eisenbahnpaket die weitere Privatisierung und Zerschlagung des überwiegend noch öffentlichen Eisenbahnsektors in Europa an. Geplant ist die zwangsweise Ausschreibung von jeglichem öffentlich finanzierten Schienenpersonenverkehr. Unabhängig davon, ob das derzeitige Angebot funktioniert oder nicht und ob die KundInnen zufrieden sind oder nicht. Davon betroffen sind beispielsweise die Schnellbahnsysteme in Wien, Graz und Salzburg sowie Regionalbahnsysteme wie die Badner Bahn oder die Salzburger Lokalbahn. Nicht ausgeschrieben werden müssen hingegen rein innerstädtische Schienenbahnen wie Straßen- oder U-Bahn.
Die bisherige Wahlfreiheit zwischen Direktvergabe und Ausschreibung soll den Behörden entzogen und ihre politischen Gestaltungsmöglichkeiten sollen eingeschränkt werden. Die bewährte Zusammenarbeit zwischen Behörden bzw. Verkehrsverbünden und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) kann so aber nicht mehr fortgesetzt werden. Daneben sieht die EK vor, die Dualität des nationalen Personenverkehrs auch dort zu gefährden, wo keine Vergaben oder Ausschreibungen stattfinden. Ziel ist es, dass jedes konzessionierte EVU überall und zu jeder Zeit Trassen beantragen und Verkehrsleistungen erbringen kann. Der wichtigste Vorteil soll laut Kommission sein, dass beispielsweise ein in Rumänien konzessioniertes EVU mit einer griechischen Sicherheitsbescheinigung künftig mit bulgarischen Lokführern und ungarischen Zugbegleitern den Regionalverkehr zwischen Wien und Wiener Neustadt, Klagenfurt und Villach und zwischen Wien und Bratislava abwickeln kann. Diese Maßnahme würde das bestehende System vereinfachen, die Reibungsverluste optimieren und für die Kunden – quasi automatisch – ein maßgeschneidertes, billigeres und besseres Angebot bringen, so der bewusste oder unbewusst in Kauf genommene Irrglaube der EK. Dazu sollen auch noch die künftigen „harmonisierten“ Rahmenbedingungen für den dadurch vorprogrammierten EU-Bahnvernichtungswettbewerb nicht geregelt werden: Der von der EU angekündigte „Schutz“ des gemeinwirtschaftlichen Verkehrs bleibt somit absolut zahnlos. Auch für den Betrieb, die Fahrgäste und das Personal wichtige Sicherheitsbestimmungen (Wartungsintervalle, Mindestkontrollen, angestrebte Sicherheitsniveaus usw.) werden von der Kommission nicht oder nur nebulos formuliert.
Bisherige EU-Bahnmaßnahmen: Ineffizient, teuer und wirkungslos
Schlagzeilen aus Großbritannien wie „Konzessionsentzug wegen fürchterlichem Angebot“, „Zwangsverstaatlichung aufgrund horrender Unfallzahlen“, „teuerste Bahnen Europas“ lassen auf ein gescheitertes Projekt der EK schließen. Gemeinsam mit Schweden sind die Briten die Pioniere der „Liberalisierung“, sprich Bahnprivatisierung und –zerschlagung in Europa. Beide Länder zeigen eines deutlich: Die anfangs gemachten Versprechungen der Privatisierungsfanatiker, wie beispielsweise angekündigte Qualitätssteigerungen bei gleichzeitiger Reduktion der Ticket- und der Gesamtkosten, haben sich als Lügen erwiesen: Die bisherigen Markteintritte privater Anbieter sind offenkundig sowohl finanziell als auch verkehrspolitisch absolut gescheitert.
Bereits 2004, nur wenige Jahre nach der Bahnprivatisierung, war klar, dass der britische Weg ein Irrweg war: Den enorm gestiegenen Subventionen standen praktisch nur finanzielle Schlappen gegenüber. Die zusätzlichen staatlichen Mittel in der Höhe von 1.600 Mio. Pfund für die Bahn aus den 1990er Jahren steigen nach dem Rückzug des Staates auf einen notwendig gewordenen öffentlichen Zuschuss von nicht weniger als 3.800 Mio. Pfund an. Diese Irrsinnssumme floss laut der britischen Bahngewerkschaft National Union of Rail, Maritime and Transport Workers direkt in die Taschen der Aktionäre und wurde so dem privatisierten Bahnsystem noch dazu entzogen. Im Grunde wurde schon damals Ziel mehr Steuergelder eine höhere aber letztendlich unbeständigere Anzahl von Zügen, die zwar neuer aber weniger pünktlich waren, ausgegeben. Die Studie „Realising the Potentioal of GB Rail“ kommt zum Schluss, dass es zu einer Effizienzsteigerung von 40 Prozent kommen müsste, um mit anderen und nicht privatisierten europäischen Bahnen qualitativ mithalten zu können. Die Briten zahlen zudem die teuersten Tickets in ganz Europa. Berechnungen von Just Economics zufolge würden sich die britischen Bahnreisenden 5,3 Mrd. Euro pro Jahr sparen, wenn die Ticketpreise auf dem gleichen Niveau wären, wie in Frankreich, wo die Bahn nicht privatisiert ist. Selbst der Infrastrukturbetreiber Network Rail ließ, wie die britische BBC im November 2009 berichtete, seine Beschäftigten lieber mit dem Bus fahren, da die Bahntickets schlichtweg zu teuer waren. In Schweden wurden die Erwartungen ebenso nicht erfüllt. Wie aktuelle Untersuchungen belegen, war das schwedische Modell aus wirtschaftlicher Sicht nur kurzfristig erfolgreich. Eines der zentralen Ziele der Privatisierung, die Senkung der Kosten, wurde glatt verfehlt.
Viel Geld für wenige Profiteure
Verkehrspolitische Auswirkungen von Privatisierungen machen deutlich: Es profitiert eine minimale Kundengruppe, die zumeist schon bestens mit Verkehrsangeboten versorgt ist. Einzelne Firmen, die Punkt zu Punkt Verkehre bestellen – wie etwas Güterverkehre zwischen Häfen oder verkehre zwischen Großbetriebne und Rohstoffzentren – haben zweifellos durch den Preisruck noch mehr Profit erwirtschaftet. Ähnliches ist im Personenverkehr festzustellen. Gut versorgte Bereiche (beispielsweise unsere heimische Westbahnstrecke) werden von Betreibern heiß umkämpft und der bisherige Ausgleich von den Magistralen zum Regionalverkehr wird verhindert. Die negativen Folgen sind enormer Personalabbau und Sozialdumping, die Schließung von Verteilzentren, das Nichtbedienen von Anschlussbahnen, das Einstellen der Verkehre auf weniger nachgefragten Strecken (Graz-Linz, Graz-Salzburg), das Einstellen des Einzelwagenladungsverkehrs bei der Güterbeförderung usw. Schwierig handhabbare Verkehre wie jener mit vielen Verschub- oder Umladetätigkeiten werden zudem minimiert, die Flächenversorgung wird dem volkswirtschaftlich ineffizienten Straßenverkehr (mit einem Kostendeckungsgrad von nur 30 Prozent) kampflos überlassen.
Die augenscheinlichsten Änderungen eines frisch privatisierten Marktes, sind steigende Aktienkurse bei all jenen Verkehrsunternehmen, die neu zum Zug kommen. Für steigende Kurse bei den neuen und einem dramatischen Einbruch bei den alten Unternehmen hat die EU-Kommission auch „vorgesorgt“: Geht es nach der EU, sollen die derzeitigen (staatlichen) Unternehmen, die in vielen Ländern ein hervorragendes Angebot liefern, sogar zwangsweise zurückgedrängt werden. Schließlich werden bei Ausschreibungen maximale Marktanteile (etwa ein Drittel) für die Bahnen innerhalb eines EU-Mitgliedsstaates definiert. Angesichts der derzeitigen Anteile der staatlichen Bahnen von meist jenseits der 80 Prozent ist das natürlich maßgeschneidert für private Investoren. Schließlich muss automatisch etwas vom zu verteilenden Kuchen übrig bleiben und ist somit ein sicheres Geschäft für jeden Investor. Allen voran werden diese Investoren wie seinerzeit in Großbritannien wieder die Großbanken sein. Diesen ist aber laut EU nicht einmal zumutbar, die Verantwortung für geeignetes Rollmaterial (Lokomotiven, Waggons usw.) zu übernehmen. Diese Risiko hat daher die EU-Kommission auf die öffentliche hand abgewälzt und das gleich in doppelter Hinsicht: Einerseits werden die Staatsbahnen enteignet. Sie werden dazu gezwungen, ihr Rollmaterial, also Staatseigentum, bei einem Ausschreibungsverlust zu verscherbeln. Andererseits wird der öffentlichen Hand das Restwertrisiko des Rollmaterials im selben Atemzug wieder zurückübertragen. So werden den „armen“ privaten Großinvestoren ihre Betriebsmittel völlig risikofrei und günstig zur Verfügung gestellt und der Staat und die BürgerInnen müssen dafür blechen.
Alles in allem ist die EU-Kommission so für eine klassische Abzocke verantwortlich: Die öffentliche Hand muss das funktionierende System des öffentlichen Verkehrs vernichten, ihre eigenen Unternehmen – die ein hervorragendes Angebot liefern – zerschlagen. Der Staat muss den Großinvestoren wie Banken oder Versicherungen das Betriebsvermögen seiner Bahn zur Verfügung stellen und jegliche Steuerungsmöglichkeit über die Bahn als Element der Daseinsvorsorge aufgeben. Selten stand das „K“ der EU-Kommission so offensichtlich für „Kapital“.
Die europäische Privatisierungspolitik macht die Bahnen nicht besser. Weder sind die Kunden zufriedener, noch gibt es eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die ökologischere und sichere Schiene. Für die Beschäftigten führt das zu Arbeitsplatzvernichtung sowie Lohn- und Sozialdumping. Von den angekündigten Einsparungen bleiben oft nur Mehrkosten und Zugeinstellungen für die SteuerzahlerInnen übrig. Es geht letztlich nämlich nicht um Verkehrspolitik, sondern um Verteilungspolitik. Bei der EU-Kommission heißt das aber wieder einmal Verteilung von unten nach oben, sprich von den BürgerInnen hin zu den Großinvestoren und Spekulanten.
Aus: Railchat Nr. 4, Juli 2013, Zeitung des ÖBB-Konzernbetriebsrates
Siehe auch:
- Europas Gewerkschaften gegen Privatisierung und Liberalisierung
- Wettbewerb schadet dem Schienengütervekehr