Zunehmender Konflikt zwischen DB und SNCF?
Börsengang bringt europaweit Dammbruch und Wirtschaftskrieg

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In den letzten Monaten begründen die Privatisierungsbefürworter in Bahn-Management, Transnet und SPD ihr unermüdliches Treiben zunehmend mit einem einzigen Argument: Die Deutsche Bahn könne nur dann überleben, wenn sie sich europaweit und weltweit als „Global Player“ aufstellt und in allen Himmelsrichtungen Bahn- und Logistikunternehmen aufkauft. Dazu brauche sie „frisches Kapital“, das der Staat nicht aufbringen könne.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich der DB-Konzern in den letzten Jahren unermüdlich weltweit Güterbahnen, Speditionen und Logistikunternehmen eingekauft. Viele von diesen Unternehmen – wie Bax Global in den USA – haben mit dem Schienenverkehr rein gar nichts zu tun. Diese Einkaufstouren haben wesentlich zu einer Anhäufung von Verschuldung des Bahnkonzerns in Höhe von weit über 20 Milliarden Euro geführt, obwohl die Deutsche Bahn mit der „Bahnreform“ 1994 komplett schuldenfrei war und der Staat die Altschulden von Bundesbahn und Reichsbahn übernahm.

Wenn es nach dem Willen der Privatisierer geht, dann sind die bisherigen Einkäufe nur die Spitze des Eisbergs. Bundesverkehrsminister Tiefensee nannte als mögliche Kaufobjekte die Bahnen in Tschechien und Ungarn sowie die Verbindung Moskau-St. Petersburg. DB-Chef Mehdorn will in einer Art „Bagdad-Bahn des 21. Jahrhunderts“ den Containertransport über die Transsibirische Eisenbahn von und nach China organisieren und Güterbahnen in ganz Europa aufkaufen, nachdem der Konzern bereits in Dänemark, den Niederlanden, Italien, der Schweiz mit aufgekauften Niederlasssungen im Schienengüterverkehr vertreten ist. Im Sommer 2007 kaufte der DB-Konzern die spanische Güterbahn Transfesa und die größte britische Güterbahn EWS auf.

Mit der  EWS, die Güterverkehr durch den Kanaltunnel betreibt, fasst die DB erstmals auch in Frankreich Fuß. Mehdorn möchte nun auch die S-Bahn in Lyon aufkaufen und der französischen Staatsbahn SNCF zunehmend auf ihrem eigenen Terrain Marktanteile abjagen.

Um die sich anbahnende scharfe Konkurrenzsituation zwischen DB und SNCF zu rechtfertigen und diesen aggressiven Drang auf den französischen Markt zu begründen, lassen Mehdorn, Tiefensee und selbst SPD-Chef Kurt Beck jetzt zunehmend antifranzösische Töne anklingen. Kurt Beck erklärte Ende 2006 in Wiesbaden unumwunden, ohne eine Privatisierung der DB würde es in wenigen Jahren keine Deutsche Bahn mehr geben und würde die SNCF alles übernehmen.

Umgekehrt stimmt jetzt auch die Chefin der französischen SNCF, Anne-Marie Idrac, die Nation und die Eisenbahnergewerkschaften auf einen Showdown mit den Deutschen ein. Madame Idrac, eine stramme Konservative, war schon 1995 Verkehrs-Staatssekretärin unter Ministerpräsident Juppé gewesen und hatte mit ihrer Politik seinerzeit Massenstreiks und „französische Verhältnisse“ provoziert. „Der europäische Markt lässt nur zwei bis drei große globale Akteure zu. Die DB ist bereits als einer dieser Akteure gesetzt“, versuchte sie im Juni 2007 bei einem „runden Tisch“ den Vertretern von acht verschiedenen Bahngewerkschaften einzuhämmern. Ausgehend vom Erwerb der Transfesa und der EWS durch die DB beschrieb Madame Idrac die Politik der DB als handfeste „Bedrohung“ für die Franzosen. Wenn die SNCF sich dieser Bedrohung nicht entgegenstelle und sich besser international positioniere, dann werde sie „immer mehr Züge der Konkurrenz in Frankreich rollen sehen“, malte die Bahnchefin als Schreckgespenst an die Wand, um die Gewerkschafter gefügig zu machen. Sie forderte eine „Revolution“. Damit meinte die bourgeoise Dame indes nicht einen neuen Sturm auf die Bastille durch das Volk wie am 14. Juli 1989, sondern eine verstärkte Umstrukturierung, Zerschlagung und letzten Endes Privatisierung. Die SNCF müsse nicht nur in Frankreich präsent sein, sondern in ganz Europa. Als Vorbild nannte sie dabei MORA C – jenes Programm, mit dem die DB-Güterverkehrstochter DB Cargo/später Railion weite Teile des Landes vom Schienengüterverkehr abschnitt und das Geschäft nur noch auf Großkunden und den Fernverkehr konzentrierte. In diesen Sinn betreibt sie derzeit die Schließung von landesweit 262 Güterbahnhöfen und den Abbau des Einzelwagenverkehrs.

Ähnliche Töne wie Madame Idrac – nur mit umgekehrten Vorzeichen – schlug westlich des Rheins auch Bundesverkehrsminister Tiefensee an. In einem Interview mit dem SPD-Zentralorgan „Vorwärts“ (September 2007) warnte er davor, dass der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV bald weiter auf das deutsche Territorium „bis nach Berlin und München“ vordringen werde, wenn die Bahn nicht schleunigst privatisiert werde.

Tiefensees eindringliche Warnung vor der Invasion aus dem Westen verfehlte seine Wirkung nicht. Martin Burkert – von Haus aus TRANSNET-Sekretär in Nürnberg und seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags – hört schon in der SNCF-Zentrale die „Sektkorken knallen“, falls der Bundestag nicht bald das Privatisierungsgesetz verabschiedet.

Auch Madame Idracs Alarmschlagen vor der deutschen Flut brachte einige der in der Runde versammelten Gewerkschafter zum Grübeln. „Die SNCF muss auf jeden Fall Mittel finden, um Eisenbahnunternehmen aufzukaufen und die Hegemonie der DB abzubremsen“, pflichtete ihr der Vertreter der Lokführergewerkschaft FGAAC, H. Duchemin, am „Runden Tisch“ bei. Dass sich diese Einsicht des „Musterschülers“ Duchemin auch in der Praxis auswirken kann, zeigte die Streikbewegung der französischen Eisenbahner Mitte Oktober 2007. Nachdem an vielen Orten die Basis der Gewerkschaften den zunächst auf den 18. Oktober angesetzten Streik auch noch am Tag darauf fortsetzte, scherte die FGAAC-Führung am Abend des 18. Oktober überraschend aus der Streikfront aus und berief sich auf ein angebliches „Entgegenkommen“ des SNCF-Managements (vgl. NZZ, 20. Oktober 2007).

Zwischen Deutschland und Frankreich wurden innerhalb von 75 Jahren drei verheerende Kriege geführt. Diese forderten Millionen Todesopfer forderten und brachten wirtschaftliche Zerstörung und Rückschritt. Daher sollte die „deutsch-französische Freundschaft“ in den letzten 50 Jahren dieses schwarze und blutige Kapital für immer beenden und Frieden, Zusammenarbeit und Wohlstand für alle bringen. Die neuerlichen kriegerischen, antideutschen bzw. antifranzösischen Töne und das Schüren von Ängsten auf beiden Seiten sind ein gefährlicher Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Bei dem sich anbahnenden Wirtschaftskrieg zwischen der DB und der SNCF wird es wenige Gewinner – die Aktionäre – und viele Verlierer – vor allem die Beschäftigten und die Umwelt - geben.

Statt Konkurrenz, Verdrängungswettbewerb und Aufkauforgien brauchen wir die die harmonische, friedliche und solidarische Zusammenarbeit und das organische Zusammenwachsen der Eisenbahnen in ganz Europa – die Vereinigten Staatsbahnen von Europa unter der Kontrolle der Beschäftigten und der Öffentlichkeit. Private Aktionärsinteressen, die nur auf Rendite aus sind, haben dabei nichts zu suchen. Um internationalen Personen- und Güterverkehr zu organisieren und auszubauen, müssen sich die europäischen Bahnen auch nicht gegenseitig aufkaufen oder vom Gleis stoßen, sondern nur die Zusammenarbeit konsequent fortsetzen, wie sie seit Jahrzehnten läuft. Schon längst gibt es grenzüberschreitenden Verkehr in Europa ohne großen Zwischenhalt, schon längst können etwa österreichische oder belgische Loks auch ohne privates Kapital bis Frankfurt oder Köln durchfahren und die Hochgeschwindigkeitszüge ICE und TGV auf den Trassen der jeweils anderen Bahn problemlos bis auf über 300 km/h beschleunigen.

Hans-Gerd Öfinger