Bahnprivatisierung
ist Wahnsinn |
Zurück zur Startseite | ||
Sie
haben gut vier Monate lang unermüdlich Deutschland, England und die Schweiz bereist und
Material für den Film Bahn unterm Hammer gesammelt. Hat sich der Aufwand
gelohnt? Würden Sie die Strapazen wieder auf sich nehmen? Herdolor
Lorenz: Mit Hilfe zahlreicher engagierter Spender ist ein Film entstanden, der von
den Fernsehgewaltigen dieser Republik nicht gewollt war. Das ist ein großer Erfolg, ein
Sieg der Pressefreiheit! Es wurde möglich, in einem Film die wesentlichen Aspekte des
Wahnsinns der Bahnprivatisierung zu beleuchten. In zahlreichen Kinos dieser Republik und
durch den Vertrieb von Tausenden DVDs wird nun diese größte Enteigung öffentlichen
Eigentums hinterfragt. Dies macht uns froh und glücklich. Ob wir das Wagnis eines solchen
Films jederzeit wieder auf uns nehmen würden, weiß ich allerdings nicht. Die Familie,
die Finanzen und die Nerven haben bei diesem von einigen Mächtigen wenig geliebten
Projekt durchaus gelitten. Was
hat Sie in den vielen Gesprächen mit den Menschen rund um die Bahn am meisten
beeindruckt? Die
fatalen Rückschritte in der Ausbildung der Bahnbeschäftigten. War es früher üblich, in
einer dreieinhalbjährigen Ausbildung verschiedene Bereiche des Bahnbetriebs kennen zu
lernen, um einen Blick für das ganze zu vermitteln, dominiert heute in der DB eine
siebenmonatige Anlernzeit speziell und ausschließlich auf ein Tätigkeit hin. Der
Lokführer wird nur noch als Lokführer ausgebildet. Einblicke etwa ins Stellwerk oder den
Bereich der Zugbegleiter fehlen ihm. Privaten Bahnbetreibern genügt heute auch schon eine
dreimonatige Anlernzeit für Triebfahrzeugführer. Das spart augenblicklich zweifellos
Kosten, hilft Mehdorn&Co im Moment Gewinne auszuweisen. Was dabei völlig fehlt, ist
der Blick in die Zukunft. England hat diese Zukunft schon eingeholt. Dort sind ein
Großteil der Bahnbeschäftigten schon als Freiberufler oder Zeitarbeiter tätig. Die
Sicherheit und Effektivität des Bahnbetriebs haben dabei enorm gelitten. Kritiker
bemängeln eine gewisse Einseitigkeit und Tendenz Ihres Films und
vermissen die Ausgewogenheit. Warum lassen Sie die
Privatisierungsbefürworter nicht zu Wort kommen? Ich
glaube, niemandem fehlt die Stimme der Privatisierungsfreunde im Film Bahn unterm
Hammer mehr als uns Filmemachern. In allen unseren Filmen haben wir es bisher dafür
gesorgt, beide Seiten eines Konflikts zu Wort kommen zu lassen. Dies verschafft dem
Zuschauer immer mehr Klarheit und die Möglichkeit, einen eigenen Standpunkt zu beziehen.
Zu unserem größten Bedauern hat sich in diesem Fall aber keiner der angefragten
Protagonisten der Bahnprivatisierung bereit erklärt, vor die Kamera zu treten. Sie
haben auch in England gedreht. Nun behaupten manche deutschen Akteure der Privatisierung,
aus den britischen Erfahrungen gelernt zu haben. Andere wiederum meinen, England sei ein
gelungenes Beispiel für Privatisierung und Liberalisierung. Welche Erfahrungen haben Sie
dort gesammelt? Heute
hört man vom BDI bis zu dem Grünen die Auffassung, aus England könne man lernen, dass
der Staat die Schieneninfrastruktur niemals aus der Hand geben dürfe. Tatsächlich zeigt
unser Film, wie die private Schieneninfrastrukturfirma Railtrack es innerhalb
von 5 Jahren schaffte, enorme Dividende an Aktionäre auszuschütten, während die
Ausgaben für den Unterhalt der Schienen und Bahnhöfe radikal heruntergefahren wurde.
Katastrophale Unfälle machten es schließlich nötig, das ganze unter staatliche
Kontrolle zurückzuholen. Dies kostete den britischen Steuerzahler mehr als 100 Mrd.
Pfund! Eine überdeutliche Warnung an Verkehrsminister Tiefensee, der im aktuellen
Gesetzesentwurf die deutsche Bahn inklusive Schieneninfrastruktur verkaufen will. So sehr
BDI und viele andere diese Pläne Tiefensees kritisieren, so wenig haben sie gegen die
Privatisierung alles dessen, was auf der Schiene rollt. Der Wettbewerb verschiedener
Bahnbetreiber werde die Effektivität und den Service des Bahnbetriebs verbessern
und dies funktioniere in England jetzt bestens. Ich vermute, dass kaum einer dieser
Freunde des Wettbewerbs auf staatlicher, vom Steuerzahler finanzierter Schiene je in
Großbritannien Bahn gefahren ist. Gnadenlos überfüllte Züge, extrem hohe Fahrpreise
und Schwierigkeiten bei Reisen über die Grenzen des Flickenteppichs der verschiedenen
Betreiberfirmen hinaus machen Bahnfahren zum Hürdenlauf. Dabei ist der Bahnbetrieb für
den britischen Steuerzahler vielfach teurer als vor der Privatisierung. In
Ihrem Film über die Privatisierung des Trinkwassers haben Sie sich schon mit der Thematik
der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen auseinander gesetzt. Konnten Sie mit der
Arbeit an Bahn unterm Hammer darauf aufbauen? Wo liegen die Unterschiede? Grundsätzlich
geht es bei der Privatisierung der Wasserversorgung und der Bahn um das Problem der
Ersetzung öffentlicher Monopole durch private Monopole. Ein Verlust der Möglichkeit
demokratischer Kontrolle ist die unmittelbare Folge. Und die wird nicht, wie meist
behauptet, kompensiert durch segensreiches Wirken von Marktkräften. Der private
Monopolist nur seinen Teilhabern verpflichtet reduziert überall in der Welt
zuerst die Investitionen in die Infrastruktur, vermindert das Personal, verkürzt und
beseitigt die Ausbildung, diktiert ohne effektive Kontrolle Preiserhöhungen und
verschlechtert im Durchschnitt die Leistungen. Das ist alles höchst effektiv für die
Rendite, für die Kunden ist es kaum erträglich.... Der Unterschied zwischen
Wasserversorgung und der Bahn ist hierzulande im wesentlichen der, dass die Privatisierung
der Deutschen Bahn bereits seit 13 Jahren gnadenlos vorbereitet wird und das, was vor der
Privatisierung geschützt werden soll, oft kaum noch zu erkennen ist. Es
fällt in Ihrem Film auf, dass auch bürgerliche Sachverständige, Journalisten und
Kommunalpolitiker in der Privatisierung der Bahn große Nachteile sehen. Warum sickern
solche Erkenntnisse nicht auf die Ebene der Entscheidungsträger im Bundestag durch? Es
sind vielleicht nicht die Erkenntnisse, die den Abgeordneten fehlen. Als im vergangenen
Jahr Bundeasverkehrsminister Wolfgang Tiefensee die verschiedenen Modelle der
Bahnprivatisierung in der SPD-Fraktion vorstellte, entgegnete der Abgeordnete Hermann
Scheer, hier fehle noch das entscheidende Modell, das 100%ige öffentliche Eigentum an der
Bahn, wie es in der Schweiz erfolgreich praktiziert werde. Dies quittierte
erstaunlicherweise eine große Mehrheit der SPD-Abgeordneten mit Beifall. Doch wo waren
diese scheinbar doch recht privatisierungskritischen Abgeordneten, als im Dezember 2006
dann die Grundzüge eines Gesetzesentwurf zur Bahnprivatisierung verabschiedet wurden?
Nach meinen Informationen haben speziell die meisten SPD-Abgeordneten höllische Angst,
die Fraktionsdisziplin zu verletzten. Man könnte sie ja bei den nächsten Wahlen auf
einen aussichtslosen Listenplatz abschieben. Vor den Wählern scheinen sie weniger Angst
zu haben. Sie
beziehen bei öffentlichen Diskussionen über den Film engagiert Stellung gegen die
angedachte Bahnprivatisierung? Sehen Sie noch eine Chance, den Gang an die Börse zu
verhindern? Tiefensees
Getzesentwurf steht im Moment praktisch von allen Seiten unter Beschuss. Es ist auch nicht
auszuschließen, dass sogar aus der CDU Beschwerde vor dem Bundes-Verfassungsgericht
erhoben wird. Es kann aber auch sein, dass dies nur Theaterdonner ist und das Gesetz gegen
besseren Wissen im Herbst durchgepaukt wird, damit die Koalition sich als handlungsfähig
erweist. In letzter Zeit hat sich die Front der grundsätzlichen Gegner des sogenannten
Börsengangs erheblich verbreitert nach den Gewerkschaften ver.di und IG Metall hat
nun auch der DGB klar Stellung bezogen. Nicht zuletzt durch die Vorführung des Films in
zahlreichen deutschen Kinos und Veranstaltungen hoffe ich, dass sich die Einsicht über
die Folgen der Bahnprivatisierung so verbreitet, dass die veröffentlichten Medien und
auch das Bundesparlament nicht mehr umhin kommen, sich mit den Fakten der größte
Enteigung öffentlichen Eigentums zu befassen. Interview:
Hans-Gerd Öfinger Bahn
unterm Hammer - Unternehmen Zukunft oder Crash-Fahrt auf den Prellbock? |
Bahn unterm
Hammer Filmrezension
|