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Interview
mit Bob Crow
Europaweit gegen Liberalisierung und Privatisierung der Eisenbahnen
Wie ist nach fast 15 Jahren Zerschlagung und Privatisierung der früheren Staatsbahn British Rail die aktuelle Situation auf britischen Schienen?
Weite Teile der britischen Gesellschaft sind sich einig, dass die Bahnprivatisierung ein uneingeschränktes Desaster war. Mit dem Abbau qualifizierten Personals sanken die Sicherheitsstandards gewaltig. Die Fragmentierung der Instandhaltung von Fahrweg und Zügen und die massenhafte Vergabepraxis und Auslagerung von Arbeiten an Externe und Subfirmen haben zu ernsthaften Unfällen mit beträchtlichen Menschenopfern geführt. Der Drang nach Profit hat das Ethos öffentlicher Dienstleistungen zerstört. Private Unternehmen haben sich Milliarden aus der Staatskasse angeeignet. Die Fahrpreise sind heute in Großbritannien europaweit mit am höchsten. Heute zahlt der Steuerzahler an Subventionen für die privaten Bahnen dreimal so viel wie früher für die alte Staatsbahn. Die RMT fordert mehr Geld für einen öffentlichen, besseren und umweltfreundlicheren Schienenverkehr, aber die Staatsgelder haben nur die Profite privater Bahnen gestützt und nicht das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut, das unser Land so dringend braucht.
Eine breite Mehrheit der Bevölkerung will eine Wiederverstaatlichung der Bahnen. Warum tut die britische Regierung nichts? War der Druck von unten nicht stark genug?
Die meisten Briten sagen, dass die Bahnprivatiserung ein teurer Fehlschlag war. Aber alle großen Parteien unterstützen den Neoliberalismus und die Privatisierungspolitik der EU. Das drückt die Krise der politischen Vertretung der Arbeiterbewegung aus.
In Deutschland behaupten immer noch viele Medien und Politiker, dass die Infrastruktur öffentlich bleiben solle, ein voller Wettbewerb zwischen privaten Transportgesellschaften im Schienenverkehr aber sinnvoll wäre.
Wettbewerb zwischen verschiedenen privaten Bahnen hat sich im Zuge der britischen Bahnprivatisierung als besonderer Fehlschlag erwiesen. Wettbewerb ist strenggenommen auch gar nicht möglich, weil die Züge sich nicht auf ein und derselben Strecke überholen können. Wettbewerb bedeutet vor allem weniger Arbeitsplätze, längere Arbeitszeit und weniger Lohn für die Beschäftigten. Privatbahnen bewerben sich um Ausschreibungen, weil sie Profit machen wollen und nicht weil sie der Bevölkerung dienen wollen. Darunter leiden Löhne und Service für die Kunden gleichermaßen.
In Deutschland wird aber immer wieder gesagt, dass die EU mit ihren Richtlinien die Liberalisierung zwingend vorschreibt. Sind wir diesem Druck hilflos ausgeliefert?
In Wirklichkeit setzen viele EU-Mitgliedsstaaten die Richtlinien unterschiedlich bzw. gar nicht um. In Deutschland wurde jüngst die Teilprivatisierung der DB ML aufgrund der Finanzkrise ausgesetzt. Jetzt bereitet die EU-Kommission ein Viertes Eisenbahnpaket vor, dass etwa das aktuelle deutsche Holding-Modell einer Teilprivatisierung ausschließt und stattdessen die Totalprivatisierung nach britischem Vorbild verlangt. Die Mitgliedsstaaten werden sich entscheiden müssen, ob sie durch brave Umsetzung der EU-Richtlinien ein britisches Schienendesaster herbeiführen wollen oder ein angemessenes Schienenverkehrssystem in öffentlicher Hand behalten und ausbauen wollen. Einen Mittelweg gibt es nicht. Die EU-Kommission ist ein Papiertiger, dem sich die Mitgliedsstaaten und die Bürger entgegen stellen müssen. EU-Behörden sind Interessenvertreter großer Lobby-Verbände, allen voran der Europäische Runde Tisch der Industriellen (ERT), die diese neoliberalen Richtlinien fordern und fördern. Warum sollten die Mitgliedsstaaten weiter eine Politik umsetzen, die von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird?
Was fordern Sie an die Adresse der Regierungen und der EU?
In der aktuellen kapitalistischen Krise haben die Mitgliedsstaaten ganz akut EU-Grundsätze verletzt. So sprach Irland eine Garantie für die Einlagen in irischen Banken aus. Kanzlerin Merkel kritisiert dafür die Iren und tat es wenig später in Deutschland selbst. Das ist eine Verletzung von EU-Bestimmungen über staatliche Hilfeleistungen und entspricht einer einseitigen Stützung nationaler Banken. Wenn Regierungen ihre „eigenen“ Banken verteidigen können, dann können und müssen sie auch ohne Rücksicht auf EU-Diktate ihre eigenen öffentlichen Bahnen verteidigen.
Nun sagen aber die Manager der Deutschen Bahn und der französischen SNCF ihren Beschäftigten, dass das Unternehmen in einem liberalisierten Markt nur durch Expansion überleben könnte. Die DB hat die britische Güterbahn ESW und die Chiltern Railways aufgekauft. Die SNCF betreibt über ihre deutsche Tochter Keolis deutsche Regionalverkehre als Konkurrent zur DB Regio. Worin sehen Sie eine Alternative?
Im Grunde sagen die DB- und SNCF-Chefs ihren Beschäftigten: „Macht mit bei unserem geopolitischen imperialistischen Projekt in Europa.“ Aber in diesem liberalisierten Marktumfeld wird selbst eine (noch) staatliche Bahn die Löhne immer mehr nach unten drücken und die Ausbeutung erhöhen. Liberalisierung fördert Sozialdumping, weil man immer irgendwo noch billigere Arbeitskräfte findet. Wie kann ich aber ein freier Bürger sein, wenn mein Land andere Nationen ausbeutet?
Am 13. November demonstrierten 20.000 Eisenbahner aus ganz Europa in Paris gegen die Liberalisierung und Privatisierung der Eisenbahnen. Was sollte auf diese Demonstration jetzt folgen, damit der Elan nicht verloren geht?
Diese großartige Demo gegen die Liberalisierungs-Richtlinien der EU ist erst der Anfang eines Kampfes für eine soziale Eisenbahn im Interesse der Bevölkerung. Die Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Ländern müssen jetzt sehen, wie sie sich am besten organisieren. Wir werden gemeinsame europaweite Aktionen zur Verteidigung der im 20. Jahrhundert erkämpften sozialen Errungenschaften starten.
Die RMT möchte ein europaweites Bündnis gegen die Bahnprivatisierung initiieren und hat letzten Sommer dazu eine erste Konferenz abgehalten. Welche Unterstützung aus Deutschland wünschen Sie sich hierbei?
Ein europaweites Bündnis gegen die Bahnprivatisierung wäre eine sehr positive Entwicklung und könnte Gewerkschafter mit anderen Privatisierungsgegnern international zusammenbringen und eine breit verankerte fortschrittliche Massenbewegung schaffen. Diese globale kapitalistische Krise hat eine neue Epoche eingeleitet; die alten Zielsetzungen und Propagandisten „freier Märkte“ sind nicht mehr tonangebend. Bahngewerkschaften sollten zuallererst neoliberale Modelle in ihrem Bereich und Privatisierungen wie auch jeden Schritt in Richtung „Liberalisierung“ ablehnen. Aus unserer britischen Erfahrung kann ich nur sagen: Wir fordern die Wiederverstaatlichung unserer Eisenbahnen und die Entwicklung demokratisch verwalteter Netze im Sinne der konkreten Verkehrsbedürfnisse in jedem Mitgliedsstaat. Das schließt auch die internationale Zusammenarbeit auf europäischer und Weltebene mit ein, aber Demokratie muss vor allem Demokratie für die Beschäftigten der Branche und die Kunden im Regional- und Fernverkehr sein. Der globalisierte, neoliberale Ansatz der EU-Institutionen funktioniert nicht und entspricht auch nicht diesen Bedürfnissen und Anforderungen.
Interview: Hans-Gerd Öfinger, 20. November 2008 |
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