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Nach dem Abgang von Lothar Krauß: Ein
Neuanfang braucht Inhalte – und nicht nur neue (alte)
Gesichter! |
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Vier Tage vor der offiziellen Eröffnung des Ordentlichen Gewerkschaftstags ist heute die Bombe geplatzt. Lothar Krauß, seit dem Abgang von Norbert Hansen im Mai 2008 TRANSNET-Vorsitzender und erst im letzten Monat vom TRANSNET-Beirat mit großer Mehrheit wieder für das Amt des Vorsitzenden nominiert, tritt nun überraschend nicht mehr an. „Ich habe mich deshalb dazu entschlossen, nach 10 Jahren Vorstandstätigkeit meine Amtszeit zu Ende zu führen und danach für die TRANSNET auf dem Gewerkschaftstag 2008 nicht mehr für ein Vorstandsamt zu kandidieren“, erklärte Lothar Krauß in einem Brief an die TRANSNET-Mitglieder und -Funktionäre. Als neuen Kandidaten für den Gewerkschaftsvorsitz nominierte der Hauptvorstand am 19. November Alexander Kirchner, der bisher im geschäftsführenden Vorstand (GV) für Tarifpolitik zuständig war und die Tarifgemeinschaft TRANSNET-GDBA leitet. Dass es eng für Lothar Krauß wurde, hatte sich bei Veranstaltungen und Delegiertenvorbesprechungen in den letzten Tagen abgezeichnet. Der letzte Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte und die Lawine auslöste, die Krauß letztlich begrub, war seine Verstrickung in die jüngste Affäre um Bonuszahlungen an DB-Vorstände. Lothar Krauß ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der DB AG. Zuerst
hatte Krauß tagelang versucht, sich an einer klaren Aussage
vorbeizumogeln und das Thema schweigend auszusitzen. Dann sprach
er in Gewerkschaftspublikationen von „wüsten
Spekulationen“ und forderte eine „umfassende
Aufklärung über angebliche Bonuszahlungen für die
DB-Vorstände im Falle eines Börsengangs“. Ein
gewerkschaftliches Mitgliederinfo kritisierte gar auf Veranlassung
von Krauß: „In der Presse wird derzeit viel behauptet.
Das muss gestoppt werden.“ Doch wenig später gab Lothar
Krauß zu, dass die „angeblichen“ Zahlungen
tatsächlich und mit seiner Zustimmung beschlossen worden
waren: „Die jetzt in der Kritik stehende Entscheidung, im
Falle eines erfolgreichen Abschlusses des Aktienverkaufes
Bonuszahlungen zu gewähren, wurde im Personalausschuss der DB
AG, dem Günter Kirchheim und ich angehören,
einvernehmlich getroffen.“ Günter Kirchheim ist
Konzernbetriebsratsvorsitzender der DB AG und wie Krauß seit
vielen Jahren Mitglied im DB-Aufsichtsrat. Wir haben Grund zur
Annahme, dass nicht nur in der umstrittenen Bonusfrage, sondern
auch in den allermeisten anderen Fragen die zehn Vertreter der
Beschäftigten im 20köpfigen DB-Aufsichtsrat mit den zehn
Vertretern der Anteilseignerseite auf einer Linie abgestimmt
haben. Lothar Krauß hatte nach dem überraschenden Seitenwechsels Norbert Hansens im Mai 2008 zunächst gedacht, er könne alles vergessen machen und seine Position ohne eine gründliche und schonungslose Aufarbeitung des „Systems Hansen“ für die nächsten Jahre sichern. Nach Hansens Abgang forderten wichtige TRANSNET-Untergliederungen wie der Bezirk Nord-Ost, die Region West oder die Ortsverwaltung Bonn weitreichende Konsequenzen bis hin zum Rücktritt des geschäftsführenden Vorstands und Neuanfang, der Einberufung eines außerordentlichen Gewerkschaftstags und der Abkehr vom bisherigen Börsenkurs Hansens. Einige Gliederungen fordern auch Hansens Ausschluss. Doch der geschäftsführende Vorstand ignorierte diese Stimmungen an der Basis und wollte die Krise aussitzen und hoffte, dass Fußball-EM und Sommerpause den Hansen-Schock überwinden und vergessen helfen und danach wieder der Alltag einkehrt. Vergeblich, wie sich jetzt zeigt. Krauß und viele seiner Vorstandskollegen sind Nutznießer des „Systems Hansen“. In diesem System wurde der Gewerkschaftsapparat gezielt auf den Börsengang orientiert und die Mitgliedschaft entpolitisiert. Kritische Diskussionen über die Privatisierung wurden in den gewerkschaftseigenen Medien unterbunden. Viele Kritiker wurden mit Zuckerbrot und Peitsche integriert bzw. mundtot gemacht. Manche wurden durch Aufsichtsratsmandate bei der DB oder Tochterunternehmen, bei der DEVK-Versicherung oder Sparda-Bank eingebunden und kamen dadurch in den Genuss eines kleinen Zubrots. In anderen Fällen wurden aufmüpfige Betriebsräte durch gezielte Intrigen des Gewerkschaftsapparats aus wichtigen Positionen entfernt. Nun haben alle Tricks und alles Aussitzen und alles Vortäuschen einer „heilen Welt“ im Mitgliedermagazin „inform“ und den anderen TRANSNET-Medien nicht gefruchtet. So muss Lothar Krauß in seinem „Abschiedsbrief“ zugeben: „Der Wechsel des Gewerkschaftsvorsitzenden Hansen ins Arbeitgeberlager hat bei vielen Mitgliedern Wut und Ärger ausgelöst und Ihr Vertrauen in die Führung der TRANSNET erschüttert. (...) Der politische Streit um das Für und Wider eines `Börsengangs´ der Bahn AG hat die Mitglieder stark verunsichert, zwischen Hoffnung und Angst um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze.“ Jetzt soll Alex Kirchner als Krisenretter den Vorsitz übernehmen. Was Seehofer für die CSU ist, dass soll Kirchner nun für die TRANSNET werden: der Hoffnungsträger und Retter in der Not, der sein Ohr näher an der Basis hat, den Laden zusammenhalten und einen Neuanfang starten soll. Doch auch Alex Kirchner ist im „System Hansen“ groß geworden und hat Hansens Politik jahrelang stillschweigend mitgetragen. Bei vielen Mitgliedern ist er allerdings weitaus populärer als Krauß und Co., weil er das am wenigsten abgehobene hauptamtliche Vorstandsmitglied zu sein scheint, als geradlinig und persönlich integer gilt und einen bescheideneren Lebensstil pflegt als seine Vorstandskollegen. Anders als Krauß verzichtete er etwa über Jahre auf einen eigenen, von der Gewerkschaft angestellten Chauffeur. Kirchner, der noch vor wenigen Jahren als „Norbert Hansens Kronprinz“ gehandelt wurde, hat sich in den letzten Jahren auf die Tarifarbeit konzentriert und dabei einige Tabus gebrochen. So öffnete er TRANSNET für die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, was Norbert Hansen noch vor vier Jahren als „Sackgasse“ abgetan hatte. Allerdings hat Alex Kirchner bis zum heutigen Tage den von Hansen und Krauß eingeschlagenen Kurs in Richtung Börsengang mit getragen. Kurzum: Kirchner, von dem sich manche im Falle seiner Wahl einen offeneren Führungsstil erhoffen, ist an sich noch kein Garant für einen wirklichen Neuanfang, weil er ebenso wie die anderen, zur Wiederwahl vorgeschlagenen GV-Mitglieder im „System Hansen“ nach oben gekommen ist. Auch der erstmals für den GV nominierte Martin Burkert verkörpert das „System Hansen“ und ist allenfalls Hansens Vertrauensmann im Bundestag. Der Nürnberger TRANSNET-Sekretär wurde 2005 für die SPD in den Bundestag gewählt. Als Abgeordneter stimmte er dort – anders als 27 kritische SPD-Parlamentarier – im Mai 2008 für den Börsengang der DB ML AG. Beim Bundeskongress der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) im April 2008 in Kassel sprach er sich als einziger Debattenredner für die Teilprivatisierung der DB ML AG aus und behauptete gar wider besseres Wissen, TRANSNET habe dies so gefordert. Dabei hatte der TRANSNET-Beirat am 13.11.2007 gemeinsam mit dem GDBA-Bundeshauptvorstand den „Plan B“ beschlossen, um das wenige Tage zuvor bekannt gewordene „Holdingmodell“ zu verhindern, weil es den Einstieg in die endgültige Zerschlagung der Bahn bringt. „Plan B“ heißt: Der Bund muss Eigentümer unserer Bahn bleiben! Doch solche Fakten waren und sind für Martin Burkert ein Buch mit sieben Siegeln. Zudem möchte Burkert neben seiner angestrebten hauptamtlichen Funktion als GV-Mitglied noch sein Bundestagsmandat beibehalten und wieder zur Bundestagswahl 2009 kandidieren und natürlich auch doppelt verdienen. Beide Jobs gleich gut ausfüllen, geht aber schon rein zeitlich nicht. Kurzum: Ein wirklicher Neuanfang sieht anders aus. Die selbe Mannschaft, die gleiche Taktik, aber ein anderer etwas netterer Kapitän - war es das? Was ist mit dem System Hansen, das für Privatisierung, für Kuschelkurs, für einen dritten Weg zwischen DGB und Beamtenbund steht und das viel zu viele Funktionäre zu dicht an den Fleischtöpfen der Bahn AG hat? Was ist mit der mangelnden innergewerkschaftlichen Transparenz und Demokratie? Wie sieht es mit unseren gewerkschaftlichen Finanzen, mit der Aktionsfähigkeit und mit der indirekten und direkten finanziellen Beteiligung der DB AG aus? Welche Rolle spielt die TRANSNET in der ETF? Alexander Kirchner kann gerne eine neue Mannschaft mit neuem System anführen, aber diese alte Truppe will und kann keine der geforderten und notwendigen Veränderungen herbeiführen. Die Delegierten des bevorstehenden Gewerkschaftstages sind gut beraten, wenn sie zu allererst in Ruhe die aktuelle Lage unserer Gewerkschaft diskutieren und analysieren, über einen Ausweg beraten, die vorliegenden Anträge gründlich debattieren – und erst dann ganz am Ende das Personal auswählen. Daher sollten die vom GV auf der Tagesordnung gleich für den ersten Tag vorgesehenen Vorstandswahlen ganz nach hinten geschoben werden. Erst die Inhalte bestimmen und sachlich diskutieren – dann werden sich aus der Diskussion heraus auch die für einen Neuanfang geeigneten KandidatInnen finden lassen.
Ein erster
Diskussionsbeitrag von www.bahnvonunten.de
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