Ein Nachruf

Trauer um Andreas Tannhäuser: Er war einer von uns. Wir kämpfen weiter

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von Hans-Gerd Öfinger

Andreas Tannhäuser, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender bei der Berliner S-Bahn und ehemaliges Mitglied des TRANSNET-Hauptvorstands, ist an den Folgen einer heimtückischen Krankheit gestorben. Anfang 2007 hatte ich die Gelegenheit, Andreas zusammen mit dem Kollegen Jürgen Rasbach mehrere Stunden lang zu interviewen. Beide Kollegen schilderten dabei, wie der TRANSNET-Apparat 2005 und 2006 gezielt darauf einwirke, die kämpferische Betriebsratsmehrheit, auf die sich Andreas stützen konnte, zu brechen und damit den Weg frei zu machen für einen massiven Arbeitsplatzabbau und Umstrukturierungen bei der Berliner S-Bahn. Dadurch wurden auch Pläne für öffentlichkeitswirksame Aktionen mit bundesweiter Ausstrahlung während der Fußball-WM 2006 gegen die Zerschlagung der Berliner S-Bahn und gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn durchkreuzt. Seither sind allein bei der Berliner S-Bahn 1500 Arbeitsplätze vernichtet worden. In dem Dokumentarfilm „Bahn unterm Hammer“ treten Andreas, Jürgen und andere S-Bahner(innen) auf und schildern diese Entwicklung.
Nachzulesen auf www.bahnvonunten.de/interviewsbahner.htm
„Tanne“, wie er liebevoll von seinen Vertrauten genannt wurde, sprach in dem Interview Klartext: „Aus einer noch nicht genannten Quelle haben wir erfahren, dass Hansen mit Schröder schon im Jahre 2001 vereinbart haben soll, dass russische Großinvestoren Zugriff auf die DB-Aktien bekommen sollen“, erklärte er darin wörtlich. Er hatte ein feiner Gespür für Norbert Hansens Entartung und rechnete mit ihm ab: „Das geht aber nicht mit diesem gleichgeschalteten geschäftsführenden Hauptvorstand, um das in aller Deutlichkeit zu sagen. Norbert Hansen war ein Hoffnungsträger, nachdem die alten Männer abgetreten sind. Viele erwarteten von ihm einen kämpferischen Kurs und Widerstand gegen die Privatisierung. Doch es war eine große politische Enttäuschung, als er dann genau den diametral entgegen gesetzten Kurs eingeschlagen hat. Die ganze Politik läuft gegen die Interessen der Mitglieder.“
Dass wir diese O-Töne von Andreas Tannhäuser so veröffentlichten, brachte uns innerhalb von TRANSNET auch sehr viel Kritik und Unverständnis ein. „Was habt Ihr denn gegen unseren Norbert? Wie könnt Ihr ihn so niedermachen?“, fragten uns viele: „Wir haben keinen besseren Vorsitzenden!“ Manche bekamen unter dem Druck von oben kalte Füße und gingen auf Distanz. Wir stehen aber nach wie vor – und jetzt erst recht – zu diesem Interview, weil hier zwei Kollegen der Berliner S-Bahn berichteten, was auch anderswo lief: gezielte Manipulationen und Intrigen des Gewerkschaftsapparats und des Arbeitgebers zusammen mit einigen angepassten Betriebsratsmitgliedern, um kämpferische und kritische Betriebsräte aus führenden Positionen zu entfernen und sie mundtot zu machen.
Somit sollte jeglicher Widerstand gegen eine Privatisierung der Deutschen Bahn beseitigt werden. Wir kennen hierfür viele andere Beispiele, konnten aber in den meisten Fällen diese Zustände nicht publizieren, weil sie oftmals betriebsratsintern abliefen oder weil die Betroffenen und Leidtragenden weitere Nachteile zu befürchten hatten.
Es ist und bleibt ein Verdienst von Andreas Tannhäuser, dass er als Kronzeuge für die Enthüllung solcher Machenschaften zur Verfügung stand. Ich saß bei dem Interview einem Kollegen gegenüber, der offen über seinen überwundenen Schlaganfall und seinen Krebs sprach. Er hatte dem Tode schon in die Augen geblickt und fürchtete sich nicht davor, unbequeme Wahrheiten zu benennen. Norbert Hansen rühmte sich bester Kontakte zur Politik. Im politischen Berlin betrieb er jahrelang Lobby-Arbeit für die Privatisierung der Deutschen Bahn. Andreas Tannhäuser hingegen sorgte als Mitglied im Landesvorstand der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) mit dafür, dass sich wenigstens der Berliner SPD-Landesverband gegen den Börsengang positionierte.
Als 2004 die TRANSNET-Bundesbetriebsrätekonferenz gegen Hansens Rat die Bahnprivatisierung ablehnte, war Andreas mit dabei.
Zur Berliner DGB-Maikundgebung 2008 erschien Andreas im Rollstuhl, schon vom Tode gezeichnet. Dabei hätte es noch zu einer letzten Begegnung mit Norbert Hansen kommen können, der als Hauptredner bei dieser Kundgebung vorgesehen war. Doch Hansen kniff und meldete sich krank. Vielleicht wollte er sich die Pfiffe, Buhrufe und Transparente seiner Basismitglieder ersparen, die gegen seine aktive Zustimmung zur Privatisierung der DB protestierten. Vermutlich hatte Hansen zu diesem Zeitpunkt innerlich schon längst mit der Gewerkschaft gebrochen und wusste, dass er demnächst in den Bahn-Vorstand aufsteigen und keine überzeugende Mairede mehr hinkriegen würde. Hansen hatte schon Jahre zuvor in Gesprächen mit Gewerkschaftsmitgliedern keinen Hehl aus seiner Ansicht gemacht, dass er den 1. Mai für einen lästigen „Pflichttermin“ hielt, der „nicht mehr zeitgemäß“ sei. Wenige Tage später erfuhren wir dann von Hansens Seitenwechsel. Den Aufschrei der Empörung an der TRANSNET-Basis und den Antrag auf Ausschluss Norbert Hansens aus der TRANSNET ausgerechnet durch dessen Heimat-OV Husum konnte Andreas nicht mehr mit verfolgen.
Andreas Tannhäuser war ein aufrechter Kämpfer, dem sicher auch der alltägliche Ärger mit dem Arbeitgeber und einem Arbeitgeber-hörigen Gewerkschaftsapparat das Leben verkürzte. Es war sein Verdienst, dass er – quasi als sein Vermächtnis – unbequeme Wahrheiten aussprach und frühzeitig vor Norbert Hansen warnte, als es sich viele andere noch im „System Hansen“ gut gehen ließen. In „Bahn unterm Hammer“ und in den Köpfen und Herzen vieler Kolleginnen und Kollegen lebt er – und seine Botschaft – weiter.
Er war einer von uns und ist nun nicht mehr unter uns. Umso mehr haben wir, die wir noch bei Kräften sind, die Pflicht und Schuldigkeit, den Kampf in seinem Sinne weiter zu führen: für existenzsichernde Arbeitsplätze und Menschenwürde in der Arbeitswelt, für eine kämpferische TRANSNET, gegen Zerschlagung, Privatisierung und Ausverkauf der Berliner S-Bahn wie der ganzen Deutschen Bahn.
Jürgen Rasbach brachte es in dem Interview in weiser Voraussicht auf den Punkt: „Aber natürlich ist diese Arbeit nicht umsonst gewesen, denn diese Spuren, die wir den Jüngeren hinterlassen, sind nicht wegzuwischen. Diese Erfahrung war nicht umsonst. Es ist die Tragik der handelnden Personen, dass sie nicht den Erfolg ernten, den sie gesät haben. Die Kollegen haben viel gelernt. Das kann man ihnen nicht nehmen.“
Wir vermissen Andreas Tannhäuser schmerzlich. Wir werden ihn nicht vergessen und seine Erfahrungen beherzigen.

Das Interview mit Andreas Tannhäuser und Jürgen Rasbach
Dieser Nachruf im pdf-Format zum Ausdrucken

 

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