Offener Brief an Kurt Beck

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23. Mai 2008

Lieber Kurt,

nachdem mein erstes Schreiben leider unbeantwortet blieb, wende ich mich wieder an Dich.

Der Unmut an der SPD- und Gewerkschaftsbasis über die jetzt anstehende Teilprivatisierung unserer Bahn hat sich auch seit dem für viele Gewerkschafter und Sozialdemokraten schockierenden Abgang und den arbeitnehmerfeindlichen Äußerungen des bisherigen TRANSNET-Vorsitzenden Norbert Hansen nicht gelegt. Letztes Wochenende hat sich der SPD-Unterbezirksparteitag Marburg-Biedenkopf fast einstimmig gegen die Bahnprivatisierung ausgesprochen. Der Berliner AfA-Landesverband fordert die SPD-Bundestagsabgeordneten auf, nächste Woche im Bundestag die Zustimmung zur Privatisierung zu verweigern.

Als wir am 1. Mai in Mainz gegen die Bahnprivatisierung protestierten, hast Du uns vor über 1000 Zuhörern zu Deiner Rechtfertigung zugerufen: „Aber TRANSNET fordert, dass wir privatisieren.“ Weiter hast Du öffentlich behauptet, viele TRANSNET-Funktionäre hätten mit dem Austritt aus der SPD gedroht, wenn Du Dich gegen eine Teilprivatisierung gestellt hättest. „Die Gewerkschaft TRANSNET hat die Privatisierung nie gefordert“, erklärt hingegen der TRANSNET-Sprecher Michael Klein im Hamburger Abendblatt vom 22. Mai 2008.

Somit steht Aussage gegen Aussage. Wer hat da gelogen? Eine mögliche Auflösung dieses Widerspruchs finden wir vielleicht in der Person Norbert Hansens. Offensichtlich bist Du – zusammen mit anderen führenden SPD-Funktionären – einem Blender aufgesessen, der vermutlich schon längst auf einen Managerposten aus war und ein handfestes persönliches Motiv hatte, um die Privatisierung zu propagieren und voranzutreiben.

Somit erscheint die Arbeit der SPD-Arbeitsgruppe Bahn nachträglich im fahlen Licht und wird durch die Tatsache überschattet, dass Hansen zum eigenen Vorteil den Willen und die Beschlusslage der eigenen Gewerkschaft missachtet und anderen vorgegaukelt hat, all dies läge im Interesse der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner. Zudem ist in den letzten Tagen klar geworden, dass die von Norbert Hansen in der SPD-Parteiratssitzung Ende April gemachte Zusage, es bliebe definitiv bei der Obergrenze von 24,9 Prozent für die zu privatisierende Transportsparte, falsch war. Mit dem Börsengang droht eine Sogwirkung weit über die 24,9 Prozent hinaus, die wir dann nicht mehr in den Griff bekommen werden.

Aus all diesen Gründen – und weil Du weder am 1. Mai noch beim AfA-Bundeskongress am 19. April in Kassel irgendwelche inhaltlichen Argumente für die Privatisierung vorgebracht hast – stehst Du als Parteivorsitzender jetzt in der Verantwortung, den Privatisierungszug noch in allerletzter Sekunde zu stoppen. Somit könnte schwerer Schaden von unserer Bahn, den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern, der Umwelt, der Allgemeinheit und nicht zuletzt unserer Partei, der SPD, abgewendet werden, die ansonsten in den anstehenden Wahlen schwer über 24,9% hinauskommen könnte.

Der Verzicht auf die Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten zeigt, dass es möglich ist, politische Projekte noch rechtzeitig zu stoppen, anstatt sie mit der Brechstange durchzusetzen. Mit einem beherzten Eingreifen als Parteivorsitzender könntest Du auch ein für allemal die von bösen Zungen verbreiteten Gerüchte widerlegen, dass Du an der „Beförderung“ von Norbert Hansen in die Chefetage der Deutschen Bahn aktiv mitgedreht hättest.

In der Hoffnung auf Einsicht und beherztes Eingreifen

gez. Günter Zinke, Kassel
Mitglied der SPD-Betriebsgruppe Eisenbahn Hessen/Rheinhessen
und seit über 60 Jahren Mitglied der TRANSNET/GdED

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