1.
Das DB-Management
möchte mit aller Gewalt die Kapitalprivatisierung durchdrücken und hat auf der Jagd nach
der Börsenfähigkeit in den letzten Jahren die Einkommen und
Arbeitsbedingungen der Beschäftigten massiv verschlechtert.
Schon
der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung (BeSiTV) Anfang 2005, der in Basisdialogen
auf heftige Kritik stieß, hat viele Haken und Ösen und wurde von den EisenbahnerInnen
vor allem mit Lohnopfern, Arbeitszeitverlängerung und Urlaubsverkürzung bezahlt. Bei
zunehmendem Personalabbau auf allen Ebenen wird ein reibungsloser Betriebsablauf immer
schwieriger. EisenbahnerInnen aus den unterschiedlichsten Bereichen beklagen, dass viele
für eine langfristige Substanzerhaltung notwendige Investitionen und Anschaffungen
zurückgestellt wurden, um auf dem Papier die Börsenfähigkeit des Konzerns
herzustellen. Die vom Bahnmanagement eisern verordneten Einsparungen bei Mensch und
Material wirken sich kontraproduktiv und ökologisch schädlich aus. So wurden
Arbeitsplätze und Kapazitäten bei der Güterverkehrssparte Railion inzwischen so weit
abgebaut, dass Railion an der Kapazitätsgrenze angekommen ist und zusätzlicher Nachfrage
oftmals nicht nachkommen kann.
2.
Die Unzufriedenheit
in allen Bereichen der Bahn hat sich in der diesjährigen Tarifrunde in einer hohen
Kampfbereitschaft ausgedrückt.
Anfang Juli war die Resonanz auf die Streikaufrufe der drei Bahn-Gewerkschaften
überwiegend besser als erwartet. Die wenigen Stunden Warnstreik waren nur die Spitze des
Eisbergs. Wiederholt erklärten über 70 Prozent der Bevölkerung in repräsentativen
Umfragen ihr Verständnis für Streiks bei der Bahn. Bei betroffenen Fahrgästen war die
Reaktion mehrheitlich gelassen und solidarisch. Mit mehr Druck wäre noch ein deutlich
besseres Ergebnis möglich gewesen, als es von TRANSNET und GDBA ausgehandelt wurde.
3.
DB-Personalchefin
Margret Suckale hat sich im Zusammenhang mit dem GDL-Konflikt gegen eine Spaltung
der Belegschaft ausgesprochen. Dabei ist eine solche Spaltung schon längst im
Gange.
So
bekommen etwa Sicherungsposten an Strecken-Baustellen für ihre in allen Ecken des Landes
gleichermaßen aufreibende und lebensgefährliche Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern
monatlich 1021 Euro brutto, in Rheinland-Pfalz hingegen 1393 Euro brutto und in Hessen gar
1392 Euro plus 2,01 Zuschlag pro Stunde. Mehrere zehntausend Beschäftigte, deren Betrieb
bei der DB Services angesiedelt ist, werden seit Jahren tarifpolitisch schlechter
behandelt und sind gegenüber anderen EisenbahnerInnen besonders benachteiligt. Zudem ist
im DB-Konzern die Kluft in der Belegschaft zwischen unterschiedlichen Gruppen (Beamte,
Tarifkräfte vor 1994 und Tarifkräfte nach 1994) größer geworden.
4.
Nachdem TRANSNET und
GDBA nach kurzen Warnstreiks Anfang Juli den Arbeitskampf abbliesen und einen
Tarifabschluss vereinbarten, sieht die Mehrheit der Lokführer derzeit nur durch die GDL
die Chance, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen und ihre Arbeitsbedingungen und
Einkommen wieder zu verbessern. Die Stärke der GDL ist vor allem auch eine Folge der
Politik des TRANSNET-Vorstands.
Wie
andere Berufsgruppen, so haben auch die Lokführer die Folgen der organisatorischen Zerschlagung der Bahn und der
Jagd nach Börsenfähigkeit am eigenen Leibe auszubaden. Tendenziell sind viele Lokführer
heute bei gesunkenen Realeinkommen länger von zu Hause weg und macht die Gestaltung der
Schichtpläne die Freizeit weniger berechenbar.
Anfang der 90er Jahre konnte sich die GDL mit ihrer Kritik an einer Privatisierung der
Bahn von der GdED (heute TRANSNET) abgrenzen und damit Punkte sammeln. Als TRANSNET und
GDBA 2002 einen Ergänzungs-Tarifvertrag für die DB Regio
abschließen wollten, der mit der Parole der Konkurrenzfähigkeit massive
Verschlechterungen bei Einkommen, Arbeitszeiten und Dienstplangestaltung mit sich gebracht
hätte, nahm die GDL unter dem Druck ihrer Mitglieder dies zum Anlass, um die
Tarifgemeinschaft aufzukündigen und verstärkt Mitglieder der TRANSNET abzuwerben.
5.
Ein GDL-Vollstreik im
August 2007 hätte den Börsenplänen des DB-Vorstandes einen starken Dämpfer versetzen
und gleichzeitig auf die Sympathie der Mehrheit der Bevölkerung zählen können. Doch zu
dieser Konsequenz war und ist der GDL-Vorstand nicht bereit.
Am 7. August war die Stunde der GDL gekommen. Alle Welt rechnete mit einem GDL-Vollstreik. Sie hatte ein Medienecho und Sympathie in der
Bevölkerung wie noch nie. Die Republik sprach über Arbeitsbedingungen und Einkommen der
Lokführer. Die Zustimmung von 95,8% der befragten GDL-Mitglieder für einen Streik war
eindeutig. Streikbereitschaft ist vorhanden, sie kann aber nicht ewig künstlich
konserviert werden.
6.
Die GDL-Führung ist
keine kämpferische Speerspitze der Arbeiterbewegung, sondern ein konservativer
bürokratischer Apparat, der gegenüber dem Arbeitgeber und in der Gesellschaft um seine
Anerkennung, seine Privilegien und seinen Status kämpft.
Die
GDL (bis in die 70er Jahre Gewerkschaft Deutscher Lokomotivbeamter) ist von
ihrer Tradition her eine Stände- und Beamtengewerkschaft und Mitglied im (eher
CDU/CSU-nahen) Deutschen Beamtenbund (DBB), der übrigens keine Anstalten zu irgendeiner
verbalen oder materiellen Solidarität mit seinem Mitgliedsverein GDL machte. Als ein
Vollstreik zum Greifen nahe gerückt war, zeigte GDL-Chef Schell zunehmend Angst vor der
eigenen Courage, schlug mäßigere Töne an und schreckte vor einem großen Konflikt
zurück.
7.
Bei der Besetzung
wichtiger Aufsichtsratsmandate im DB-Konzern ist die GDL zu kurz gekommen. Auch deswegen
hat ihre Führung anders als die Spitzen von TRANSNET und GDBA nicht die
Nähe zum DB-Management. Mit ihren Separatverhandlungen will sie sich offensichtlich
wieder mehr Anerkennung verschaffen.
Die Spitzen von TRANSNET und GDBA unterstützen den Privatisierungskurs von DB-Chef
Mehdorn tatkräftig. Im DB-Aufsichtsrat segnen die Arbeitnehmervertreter (darunter die
Bundesvorsitzenden von TRANSNET und GDBA) ganz offensichtlich ständig alle Maßnahmen des
Konzernvorstandes ab; über irgendwelche Widerstände der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat
oder gar Nein-Stimmen ist jedenfalls seit Jahren nichts bekannt geworden. Ohne die
Mitwirkung der TRANSNET- und GDBA-Vorstände könnte DB-Chef Mehdorn seinen
Privatisierungskurs gegenüber der Politik kaum durchsetzen. Das DB-Management weiß dies
zu schätzen und hat deswegen in den letzten Jahren vielleicht die GDL etwas aus den Augen
verloren und stiefmütterlich behandelt. Die GDL ist im Aufsichtsrat der DB Holding nicht
vertreten. Mit dem Bemühen um einen eigenen Tarifvertrag möchte der
GDL-Apparat seine eigene Rolle wieder aufwerten, Aufmerksamkeit des DB-Managements auf
sich ziehen und unterstreichen, dass er bei allem Schmusekurs der
gewerkschaftlichen Konkurrenz nicht am Katzentisch Platz nehmen möchte.
8.
Die GDL-Führung hat
den Mund voll genommen und bei der Masse ihrer Mitglieder hohe Erwartungen geweckt. Im
Grunde fürchtet sie aber genau so wie die Apparate anderer Gewerkschaften
einen Massenstreik, der ihrer Kontrolle entgleiten könnte, und eine volle Konfrontation
mit DB-Management und gesellschaftlichen Eliten.
Die
Gerichtsurteile, mit denen der Arbeitgeber die GDL-Streiks untersagen wollte, waren ein
Angriff auf das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht und somit auf alle
Gewerkschaften. Anstatt jedoch das auch in den Augen vieler Juristen und
DGB-Gewerkschafter skandalöse und grundgesetzwidrige Streikverbot durch das
Nürnberger Arbeitsgericht Anfang August wieder voll und ganz durch Berufung zu kippen und
aus der Welt zu schaffen und danach erst recht zu streiken, schloss die GDL-Spitze in
Nürnberg eiligst einen Vergleich mit dem DB-Vorstand ab, in dem sie bis zum 27. August
auf Streiks verzichtet und der Aufnahme der Mediation bzw. Verhandlungen unter Leitung von
Kurt Biedenkopf und Heiner Geissler zustimmte. Mit diesem Gebaren unterscheidet sie sich
in nichts von anderen Gewerkschaftsapparaten, die oft verbal mit großen Streiks drohen
und dann in letzter Minute die Notbremse ziehen. Während fortschrittliche Juristen darauf
hinweisen, dass Beamte in der EU und damit auch in Deutschland streiken dürfen, hat die
GDL bisher ebenso wenig wie andere
Gewerkschaften diese Auffassung ernsthaft aufgegriffen und das Streikrecht für Beamte
praktisch erkämpft.
9.
Die GDL-Führung hat
ihre frühere strikte Ablehnung einer Bahnprivatisierung schon längst aufgegeben. Die
Chance, die Medienöffentlichkeit in diesem Sommer für eine klare Botschaft gegen jede
Form von Privatisierung zu nutzen und dafür Verbündete zu suchen, hat sie in den letzten
Wochen grandios verpasst.
GDL-Chef
Manfred Schell kokettiert damit, dass er Ende 1993 als einziger CDU-Abgeordneter im
Bundestag gegen den Einstieg in die Privatisierung gestimmt habe. Ein halbes Jahr später
jedoch galt seine Parole Gemeinwohl statt Privatisierung nicht mehr und
stimmte er für die Privatisierung von Post und Telekom.
Vom Grundsatz her haben wir nichts gegen einen Börsengang, erklärte Schell
Anfang 2004. Er begrüßte im November 2006 mit
großer Zufriedenheit die Entschließung der Koalition zur Bahnprivatisierung und
will, dass das Netz bei einem Börsengang aus dem Konzern herausgelöst wird.
Eine solche Zerschlagung der Bahn käme heutigen britischen Zuständen gleich und wird
auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der FDP propagiert: Das
(tendenziell defizitäre) Netz soll beim Bund bleiben, alles andere kann zu 100 Prozent
privatisiert werden.
Laut GDL-Organ Voraus (Mai 2007) sieht sich die GDL schon als Gewinner
der Privatisierung. Der entsprechende Artikel trägt die Überschrift Mehr
Verkehr auf die Schiene durch die Abtrennung des Netzes und plappert den
neoliberalen Irrglauben nach, dass der Schienenverkehr nach einer vollen Privatisierung
und Liberalisierung boomen würde. Während die Spitzen von TRANSNET und GDBA dem
derzeitigen DB-Management sehr nahe stehen, sieht die GDL-Führung für sich in einer
Vielzahl kleinerer privater Schienenverkehrsunternehmen eine wachsende Bedeutung. Mit
vielen dieser Unternehmen hat sie auch Tarifverträge weit unter DB-Niveau abgeschlossen.
10.
Die
Kräfte bündeln und nicht verzetteln! Einheit gegen Privatisierung tut not.
Privatisierung
bringt eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Während Die Zeit
(9. August 2007) berichtete, dass 67 Prozent der Bundesbürger die Bahn in Staatsbesitz
belassen wollen und nur 27 Prozent für Privatbesitz sind, reden die Spitzen der drei
Bahngewerkschaften jede auf ihre Weise ihren Mitgliedern ein, dass eine
Privatisierung für sie ungefährlich bis vorteilhaft wäre. Ein verhängnisvoller Irrtum!
Käme es tatsächlich zu einer Kapitalprivatisierung, dann wäre die diesjährige
Tarifrunde allerdings die letzte, bei der noch Zugeständnisse des DB-Managements
rauszuholen sind und stünden schlagartig Zustände und
Auseinandersetzungen wie bei Post und Telekom an.
Gegen den erklärten Willen der EisenbahnerInnen und ihrer Gewerkschaften wäre eine
Privatisierung schwer vorstellbar. EisenbahnerInnen sind bereit, für ihre Interessen zu
kämpfen. Diese Kampfkraft darf jetzt weder blockiert noch verzettelt werden. Das Gebot
der Stunde lautet: gemeinsam den Börsengang stoppen und alles beiseite schieben, was uns
trennt und von diesem Kampf ablenkt. Keine Lähmung oder Verzettelung der Kräfte!
Einheitlicher Abwehrkampf aller Bahngewerkschaften und aller DGB-Gewerkschaften gegen den
Börsengang! Verzicht auf gegenseitiges Abwerben von Mitgliedern! Wenn die
Gewerkschaftsvorstände zum Abwehrkampf nicht bereit sind, muss es die Basis selbst in die
Hand nehmen!