Offener Brief an den Kollegen Norbert Hansen
Lieber Kollege
Hansen,
über Deinen
Vorstandssekretär Alois Weis hast Du uns als Antwort auf offene Briefe ein Schreiben
zukommen lassen, das wir auf unserer Website www.bahnvonunten.de
veröffentlicht haben.
Wir
freuen uns darüber, dass Du regelmäßig unsere Homepage www.bahnvonunten.de
besuchst und wir in unserer Gewerkschaft wichtige Zukunftsfragen frei und offen
diskutieren können. Zu den in Deinem Schreiben aufgeworfenen Fragen nehmen wir gerne
Stellung.
Ist der
Vergleich mit England wirklich unseriös? Wir meinen: Nein. Denn die Erfahrungen mit der
vollständigen Privatisierung der ehemaligen Staatsbahn British Rail sprechen für sich
und dienen als mahnendes Beispiel dafür, welche Zustände letztlich auch hierzulande drohen, wenn die Dinge so weiter treiben.
Du
stellst fest, im Gegensatz zu England sei die DB ein integrierter, strategischer
Konzernverband, und eine Abtrennung der Infrastruktur gebe es nicht. Genau diese Sicht der
Dinge entspricht unseres Erachtens nicht mehr
der Realität. Wie sieht denn die derzeitige Entwicklung des Konzerns DB AG aus? Tatsache
ist doch, dass sich einem die Anzeichen für die Zerschlagung des DB Konzerns quasi
aufdrängen. Ist es nicht so, dass der UB Transport und Logistik unter seinen
Vorstandsvorsitzenden Malmström starke Tendenzen einer Verselbständigung zeigt?
Organisiert sich dieser UB nicht tatsächlich so, dass er mühelos abzutrennen wäre ?
Neuerdings gibt es nicht einmal mehr eine gemeinsame Mitarbeiter-Zeitung, sondern eine
eigene Zeitung Stinnes-Welt, wo nur noch ganz klein das DB Logo auftaucht.
Hier wird also auch ein neues Corporate Identity aufgebaut. Das Beispiel
Stinnes ist hier am deutlichsten, aber ebenso lassen die Entwicklungen in anderen
Unternehmensbereichen diese Tendenzen erkennen. Wir hören zudem immer häufiger von den
Kolleginnen und Kollegen, dass die einzelnen Unternehmensbereiche angefangen haben
gegeneinander zu arbeiten, also egoistisch nur noch auf die Ergebnisse des
eigenen UB zu schauen und nicht mehr die Bahn als ganzes im Blick zu haben.
Dieses ist unserer Meinung nach die logische Konsequenz aus der Zerschlagung der Bahn in
Teilgesellschaften.
Tatsache
ist auch, und Du hast 2002 selber dagegen protestiert, dass etwa DB Regio gar nicht mehr
an allen Ausschreibungen teilgenommen hat. Tatsache ist, dass durch das Vordringen
unterschiedlichster Privatbahnen auf dem DB-Streckennetz schon längst eine schleichende
Trennung zwischen Infrastruktur und Betrieb im Gange ist. Tatsache ist, dass es die
Privatisierungslobby in den EU-Behörden wie auch anderswo längst auf eine vollständige
Trennung von Infrastruktur und Betrieb abgesehen hat und auch Äußerungen etwa von
NRW-Ministerpräsident Steinbrück derartige Begehrlichkeiten bei einheimischen Politikern
ausdrücken. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass kürzlich auch
Kollege Kirchheim, Konzernbetriebsratvorsitzender der DB AG, in einem Schreiben an den
Verkehrsminister von NRW sich gegen die drohende Zerschlagung des DB-Konzerns
ausgesprochen hat. Kollege Kirchheim hat in diesem Schreiben vom 23. Februar übrigens
ausdrücklich warnend auf die Zustände in Großbritannien hingewiesen:
Die Qualität des Schienennetzes ist weitaus schlechter als in Deutschland und die
Trassenpreise liegen auf weitaus höherem Niveau. Würdest Du diesen Verweis des
Kollegen Kirchheim auf England etwa auch für schlichtweg unseriös halten?
Als
Beleg dafür, dass hierzulande keine britischen Verhältnisse herrschen, führst Du die
staatlichen Investitionsmittel und SPNV-Gelder an. Tatsache ist, dass diese Gelder in
ihrem Umfang tendenziell gefährdet sind und wir jetzt für die Inkompetenz (oder
Sabotage?) der Toll-Collect-Manager zahlen müssen. Tatsache ist, dass auch in
Großbritannien nach der Privatisierung sogar noch mehr staatliche Gelder geflossen sind
als noch an die ehemals staatliche British Rail. Das ist nichts Neues: bei jeder
Privatisierung zahlen wir als Steuerzahler noch drauf. Gewinne werden
privatisiert, Verluste sozialisiert.
Vor dem
Hintergrund der derzeitigen politischen Situation und den gerade zum zehnjährigen
Reform- Jubiläum geäußerten Meinungen musst doch auch Du zu dem Schluss
kommen, dass auf der politischen Bühne keiner mehr ehrlich davon ausgeht, die Bahn als
ganzes zu erhalten. Die Grünen plädieren bspw. offen dafür, dass das Netz aus dem
Konzern heraus getrennt wird. Und auch die Aussagen der SPD bzw. des Kanzlers lassen keine
eindeutige Positionierung mehr erkennen. Von der CDU und FDP ganz zu schweigen. Selbst
wenn viele der Meinung sein sollten, dass die Beteiligung an der Reform sinnvoll war, ist
doch spätestens jetzt das Signal auf Rot zu stellen. Wir können doch als
GewerkschafterInnen uns nicht mehr vor die Kolleginnen und Kollegen hinstellen und so tun,
als würde ein konstruktives Mitwirken noch irgendwas verhindern. Sollten wir
nicht spätestens jetzt klare Worte finden und unsere Mitglieder auf heftige
Auseinandersetzungen vorbereiten?
Sobald
der Bund die Aktien aus der Hand gibt, werden wir Eisenbahner(innen) endgültig zum
Spielball irgendwelcher in- und ausländischer Kapitalgruppen werden. Wenn es ihnen passt,
dann reißen sie uns in alle Richtungen auseinander. Daran ändert sich übrigens auch
nichts, wenn der Bund nur eine Minderheit der Aktien ausgibt und die Mehrheit der Aktien
behält. Ein Mehrheitsaktionär muss nach dem Kapitalmarktrecht auch die Interessen der
Minderheitsaktionäre berücksichtigen. Dazu gehören auch die Renditeinteressen.
Nicht
ohne Grund hat der letzte Transnet-Gewerkschaftstag 2000 in Magdeburg in einer Resolution
die Erhaltung einer bundeseigenen einheitlichen Deutschen Bahn gefordert. Anstatt sich
laufend Hintertürchen offen zu halten, sollte unser Gewerkschaftsvorstand endlich diesen
Beschluss ernst nehmen und in diesem Sinne konsequent gegen einen Ausverkauf unserer Bahn
auftreten, bei den maßgeblichen Politikern Druck machen und dafür Verbündete suchen.
Eines ist sicher: eine (mit einem Börsengang einhergehende) Schrumpfbahn wird vielleicht
der geschäftsführende Transnet-Vorstand mehrheitlich einigermaßen unbeschadet
überleben - viele Kolleginnen und Kollegen werden aber auf der Strecke bleiben! Ein
Börsengang bedeutet endgültig die Orientierung des Unternehmens auf private Profite und
Dividenden für die Aktionäre. Wünsche von Gewerkschaftern werden da unter dem Diktat
der "Sachzwänge" sehr schnell hinweggefegt werden, und die von Dir kritisierten
"Horrorzahlen" vom weiteren Beschäftigungsabbau werden da rasch Wirklichkeit
werden.
Wenn "Reform"prozesse
schon längst keine positiven Reformen (d.h. reale Verbesserungen für Kunden und
Beschäftigte) mehr bringen, sollten wir uns auch nicht mehr "konstruktiv" an
dieser Deform beteiligen, sondern dagegen mobil machen. Dass Widerstand gegen
Privatisierung gar nicht sinnlos, sondern möglich und nötig ist, zeigt der jüngste
Hamburger Volksentscheid "Gesundheit ist keine Ware", bei dem sich am 29.
Februar eine deutliche Mehrheit von 76,8 Prozent gegen die Krankenhaus-Privatisierung
ausgesprochen hat. Übrigens, lieber Kollege Hansen, wurde dieser Volksentscheid in Deiner
Heimatstadt durch gemeinsames Handeln aller DGB-Gewerkschaften, auch mit Unterstützung
unserer Gewerkschaft Transnet, herbeigeführt. Hättest Du unseren Hamburger Kollegen
lieber geraten, sie sollten weniger "dogmatisch" herangehen und statt
"Positionen für die Ewigkeit" zu verkünden lieber die von der CDU
vorangetriebene Klinik-Privatisierung konstruktiv begleiten?
Einmal vorausgesetzt, Du bist als wahlberechtigter Hamburger Bürger am 29. Februar dem Rat von DGB und SPD gefolgt und hast auch gegen die Privatisierung gestimmt: Was für die Hamburger Kliniken recht ist, das ist für unsere Bahn billig. Warum setzen wir nicht alle Kraft daran, bundesweit eine breite Bewegung gegen den Ausverkauf und Zerschlagung der Bahn aufzubauen? Gute Argumente gibt es doch reichlich. Nach wie vor befindet sich die Bahn AG im Bundesbesitz. Die Frage ihrer Zukunft ist eine politische Entscheidung.
Wir
werden übrigens gerne Deinem Wunsch nachkommen und nicht nur immer auf das Beispiel
England hinweisen. Damit rennst Du bei uns offene Türen ein. Denn es gibt in der Tat in
aller Welt noch andere Beispiele dafür, wie durch die Privatisierung von Staatsbahnen
fast eine ganze Eisenbahninfrastruktur zugrunde gerichtet wurde - von Argentinien bis
Neuseeland. Wir kennen keinen Fall, in dem durch Privatisierung und Börsengang der
flächendeckende Schienenverkehr zum Wohle der Benutzer, der Beschäftigten und der Umwelt
wirklich aufgeblüht ist. Wir haben keinen Grund zu glauben, dass es ausgerechnet in
Deutschland anders laufen soll. Und wir können auch beim besten Willen nicht erkennen,
dass sich dies in 3, 5 oder 10 Jahren grundsätzlich ändern wird. Daher verstehen wir
Deine etwas philosophisch anmutende Äußerung nicht, es gäbe keine "Positionen für
die Ewigkeit". Da die (nationalen und internationalen) Erfahrungen mit Privatisierung
und Börsengang (von Bahnen, Post, Stadtwerken und anderen bisher öffentlichen
Unternehmen) so eindeutig sind, dürfen wir uns nicht noch als Versuchskaninchen hergeben
und verheizen lassen. Wenn Feuer die Hand verbrennt und man dies genau weiß, sollte man
nicht noch freiwillig die Hand in die offene Flamme legen - nur aus Angst vor dem Vorwurf
einer "dogmatischen Position für die Ewigkeit". Allerdings ist die
Privatisierung, davon sind wir überzeugt, keine Position für die Ewigkeit wohl
aber der Vorhof zur Hölle.
Auch
Deine Aussage, die britischen Gewerkschaften hätten durch eine sture Position ihre
Existenz gefährdet, können wir nicht nachvollziehen. Das Gegenteil ist der Fall.
Thatcher und Co. haben, um ihre Politik der Deregulierung und Privatisierung
durchzusetzen, mit aller Gewalt in den 80er Jahren die Gewerkschaften entmachtet. Manche
Gewerkschaftsführer haben davor kapituliert und "neuen Realismus" und
"konstruktives Mitwirken" gepredigt. Erst als sich praktisch zeigte, dass diese
"Sozialpartnerschaft" nicht den Interessen der abhängig Beschäftigten
entspricht, setzten sich in den Gewerkschaften seit Ende der 90er Jahre wieder
kämpferische Ideen und engagierte linkere Vorstandskandidaten durch. Nicht aus
"Dogmatismus", sondern aus handfesten Erfahrungen heraus fordern gerade auch die
britischen Bahngewerkschaften die Wiederverstaatlichung der Bahnen. Damit haben sie recht,
und das haben die britischen Kollegen auch bei der Berliner Transnet-Kundgebung am 14.
März 2003 zum Ausdruck gebracht.
Gewiss
- durch gewerkschaftliche Verhandlungen wurden mit dem Beginn der Privatisierung einige
Zugeständnisse erreicht. Gewiss - die DB hat bisher auf betriebsbedingte Kündigungen
verzichtet. Aber dafür haben wir auch einen Preis bezahlt. Wir haben den massiven
Arbeitsplatzabbau der letzten 10 Jahre nicht verhindern können (der Personalbestand wurde
mehr als halbiert) und gleichzeitig als "Gegenleistung" mäßige Abschlüsse in
den Lohnrunden hingenommen. Viele Kollegen sind - nicht immer ganz freiwillig - zum
Ausscheiden aus dem Unternehmen und zur Arbeitsaufnahme bei einer Privatbahn gedrängt
worden und arbeiten anderswo jetzt zu schlechteren Bedingungen. Erpresserische Methoden so
z. B. hinsichtlich der Senkung des Krankenstandes werden dennoch angewandt, da
ist der Arbeitgeber keinesfalls zimperlich. Den Kollegen wird minutiös vorgerechnet, was
ihr Kranksein kostet. Sie könnten aber eine ganz andere Rechnung aufmachen, wenn sie nach
den Kosten für Fehlinvestitionen fragen würden.
Die
aktuellen Tendenzen lassen befürchten: Bald wird eine große Zahl von Eisenbahnern nicht
in fester Stellung, sondern in Leih- und Zeitarbeit, Personalpools und vielleicht auch als
Ich-AG tätig sein. Immer mehr zeigt sich jetzt: das Ende der Fahnenstange ist
erreicht. Es ist höchste Zeit für eine entschlossene Gegenwehr. Tagtäglich werden es
weniger, die unter einem Dach tätig sind und sich gemeinsam wehren können.
Transnet darf nicht länger auf der falschen Seite stehen!
Wir
bleiben dabei: die Bahnreform der 90er Jahre brachte die entscheidende
Weichenstellung in Richtung Privatisierung und Zerschlagung des Bahnkonzerns. Die
kritiklose Mitwirkung am Einstieg in die Privatisierung durch Rudi Schäfer und die
GdED-Führung Anfang der 90er Jahre war ein schwerer Fehler. Die Folgen davon müssen wir
tagtäglich ausbaden. Es wäre ein Ausdruck von Stärke, diesen Fehler einzugestehen und
zu korrigieren. Noch ist der Börsengang nicht über die Bühne gegangen, noch sind wir
stark genug, um uns zu wehren. Doch wenn wir nicht schleunigst aufwachen und jetzt, 2004,
die Gegenwehr organisieren, dann werden die Privatisierer unter Umständen schon 2006 an
die Börse gehen. Statt zweideutiger Aussagen, die die Privatisierer als stillschweigende
Zustimmung und Abnicken durch die Gewerkschaften interpretieren könnten, brauchen wir
Klarheit und Entschlossenheit. Jüngste Meldungen aus der Wirtschaftswoche, wonach die
Bundesregierung in geheimer Mission den Ausverkauf der Bahn schon für 2006 vorbereitet,
lassen das Schlimmste befürchten und beunruhigen uns sehr. Es geht um unsere Existenz und
um unsere Zukunft. Unsere Gewerkschaft muss jetzt dagegen aufstehen und Front machen.
Sonst werden die Politiker wie einst Pontius Pilatus hinterher die Hände in Unschuld
waschen und sagen: Die Gewerkschaft war doch auch dafür.
Mit
kollegialen Grüßen
gez.
Klaus Dieter Reimann
für die Initiative Bahn von unten