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Bahn und Börse

Wohin rast der Privatisierungszug?

Wir beantworten Fragen eines lesenden Eisenbahners

Informationen von und für KollegInnen der DB AG

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In dieser Broschüre findet Ihr wichtige Informationen zum heiß umstrittenen Thema Börsengang: Anhand von Fragen (Ähnlichkeiten mit Konzernpublikationen sind gewollt) und Antworten (unterscheiden sich nicht zufällig von den Konzernpublikationen) listen wir die wesentlichen Argumente gegen einen Börsengang der Deutschen Bahn AG auf.

Der Vorstand des DB-Konzerns hat die Führungskräfte des Unternehmens auf den Börsengang eingeschworen. Auch nach der Verschiebung des ursprünglich für 2006 vorgesehenen Termins für einen Börsengang bleibt alle Tätigkeit des Konzerns diesem Ziel untergeordnet. Hierzu haben die Führungskräfte eine Argumentationshilfe erhalten (im Bahn-Net als Download), mit deren Hilfe sie vom Sinn dieser unsinnigen Zielstellung überzeugt werden sollen. Der dort enthaltenen Aufforderung an das Management, diese Unterlagen zu nutzen, um die „Mitarbeiter über das Thema und die unterschiedlichen Sichtweisen aufzuklären", werden die Ausführungen in keiner Weise gerecht. Scheinbar gibt es keine Argumente die gegen einen Börsengang sprechen. Wir wollen die gleichen Fragen aus anderer Sicht - nämlich aus der Sicht der Betroffenen - beantworten und zeigen, daß die Beschäftigten der Bahn keinen Grund haben, auf die Seite der Börsianer überzutreten.

Bislang gab es in unserer Gewerkschaft eine sehr wenig ausgeprägte Diskussion über die Folgen der Privatisierung. In TRANSNET-Publikationen finden konsequente Gegenpositionen bis zum heutigen Tage keinen Niederschlag. Doch schon der Gewerkschaftstag der TRANSNET 2000 und die Bundesbetriebsrätekonferenz im Frühjahr 2004 haben eindeutig Position gegen Börsengang und Ausverkauf der Deutschen Bahn AG bezogen. „Die Absage des Börsengangs 2006 bietet die Gelegenheit, jetzt in Ruhe und nicht in der Hektik eines künstlich entfachten Börsenfiebers über die Zukunft der Bahn nachzudenken", heißt es jetzt im aktuellen TRANSNET THEMEN TELEGRAMM (Nr. 13/2004, September 2004). Dazu will diese Broschüre einen Beitrag leisten (siehe auch unsere Thesen ab S. 20).

Wie immer könnt ihr unsere Veröffentlichungen auch von unserer Web-Site www.bahnvonunten.de herunterladen und uns Eure Kritik mitteilen. Wir hoffen auf eine lebhafte Diskussion.

Eure Kolleginnen und Kollegen der gewerkschaftlichen Initiative „Bahn von unten"


Welche Gründe sprechen für einen möglichen Börsengang der Bahn?

Die vom Vorstand der DB AG angeführten Hauptargumente laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass durch den Verkauf von Anteilen und die Loslösung der Bahn von politischen Interessen und Einflüssen über neues eigenes Kapital neue Investitionsmittel aufgebracht werden könnten. Dabei wird folgendes vergessen:

Es ist überhaupt nicht sichergestellt, dass mit dem Verkauf der Anteile an der Börse dem Konzern auch tatsächlich neues Kapital zufließt. Der Deutsche Bundestag hat zwar die Bundesregierung aufgefordert, bei einem möglichen Verkauf das Kapital im Konzern zu lassen, aber eine eindeutige Zusage gibt es bisher nicht. Die Finanzlage des Bundes und die von der Bundesregierung vorgelegten Haushaltsplanungen sprechen eher dafür, dass durch Privatisierungserlöse – also den Verkauf von Bundeseigentum – die Haushaltslage verbessert werden soll. Somit gibt es keine Sicherheit für die Erhöhung des Eigenkapitals bei einem Börsengang.

Die größere unternehmerische Freiheit, die das Management des Bahnkonzerns erreichen will, kann nur zur Folge haben, dass damit als alleinige Prämisse die Renditeerwartung der Eigentümer gilt. Selbst wenn der Bund laut Grundgesetz „nur" 49 % seiner Anteile verkaufen darf, muss er künftig die Interessen und somit die Renditeninteressen der Minderheitseigentümer beachten. Diese erwarten eine maximale Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals. Somit entscheidet allein das Profitinteresse über die Bahn. Damit verschärft sich der Druck in Richtung Kostensenkung. Und Kostensenkung bedeutet für uns ganz konkret u.a. einen weiteren Personalabbau bei stärkerem Auspressen des noch vorhandenen Personals. Die letzten 10 Jahre „Bahnreform" haben diese Tendenz ebenso gezeigt wie die Erfahrungen der Beschäftigten bei anderen bereits privatisierten Unternehmen wie Lufthansa oder Deutsche Post.

Warum hat das Thema für den Bahnvorstand eine so hohe Priorität?

Die Bahn will expandieren und ein „Global Player" werden (zum Teil ist sie es schon). Zudem befürchtet der Konzernvorstand, dass ein gewinnbringendes Unternehmen Begehrlichkeiten weckt und damit nötige Zukunftsinvestitionen verhindert werden. Die Argumentation verschweigt, dass Gewinne in einem privatisierten Betrieb in der Regel an den Eigentümer ausgeschüttet werden. Ansonsten hätte dieser ja nichts von „seinem" Eigentum. Natürlich wird auch re-investiert, aber nur wenn eine angemessene Gewinnausschüttung gewährleistet werden kann. Notwendige Zukunftsinvestitionen werden durch den Börsengang unter Umständen sogar verhindert, da alleine die Wirtschaftlichkeit über die Investitionstätigkeit entscheidet. Die nunmehr über 160-jährige Geschichte der deutschen Bahnen kann mehr als einmal belegen, dass deren Ausbau immer nur mit Hilfe staatlicher Gelder vollzogen wurde. Staatliche Subventionen haben die Bahn wieder flott gemacht. Dies wird auch in Zukunft nicht anders sein. Mehr noch: Wären die deutschen Bahnen in „privater" Hand verblieben, wäre kein flächendeckender Ausbau des Netzes erfolgt und nur Strecken betrieben worden, die profitabel sind. Die Erfahrung mit der Privatisierung der Bahnen in anderen Ländern belegt: Privatbahn heißt Schrumpfbahn!

Wer entscheidet über den Zeitpunkt und welche Voraussetzungen sind dafür notwendig?

Das Gründungsgesetz für die Deutsche Bahn AG sieht vor, dass der Verkauf von Anteilen der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bedarf. Erst dann kann der Bund als Eigentümer im Aufsichtsrat über seine Vertreter dem Verkauf zustimmen. Im Juni 2004 hat der Bundestag auf Initiative aller Parteien im Verkehrsausschuss die Regierung aufgefordert, einem Börsengang erst zuzustimmen, wenn über mehrere Jahre Gewinne vom Bahnkonzern eingefahren werden. Für den Bahnkonzern erhöht sich damit der Druck, die Gewinnerwartungen auch tatsächlich zu erfüllen. Doch schon vor dem Hintergrund der Erwartungen möglicher Investoren ist der Druck groß genug. Die Mittel und Folgen hierbei liegen klar auf der Hand: Vor einem Börsengang wird noch einmal versucht, an der Personalschraube zu drehen. Da sich inzwischen zeigt, dass eine weitere Personalreduzierung in vielen Bereichen nicht mehr zu machen ist, werden nun eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit, d. h. Raubbau am Personal und Senkung der Löhne, weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und eine Absenkung tariflicher Zulagen (beim Fahrpersonal u. a. die vakante Bezahlung der Gastfahrten) gefordert. Das Personalplanungsprojekt „Carmen" in allen seinen Variationen spricht Bände! So sehen die „Voraussetzungen" in der Realität der Eisenbahner aus.

Welchen Vorteil hätten die Mitarbeiter von einem Börsengang?

Die Logik der Wirtschaftsbosse ist einfach und einprägsam: Geht es dem Unternehmen gut, kann es gute Löhne zahlen, Beschäftigung sichern und besser Arbeitsbedingungen geben. Die Realität sieht anders aus. Ganz gleich ob Transport- und Logistikunternehmen (Bahn, Post, Telekom) oder verarbeitende Industrie – alle großen Konzerne rationalisieren trotz gestiegener Gewinne, d.h. sie bauen Arbeitsplätze in Größenordnungen ab, dass einem nur schwindelig wird. Überall wird – selbst bei Rekordgewinnen – mit der Begründung der Wettbewerbsfähigkeit versucht die Tarif- und Sozialstandards abzubauen. Dies zeigt: von einem Börsengang haben die Eisenbahner(innen) keinerlei Vorteile zu erwarten. Wir sollten nicht auf falsche Versprechungen vertrauen.

Die schon angekündigte Möglichkeit der „Erfolgsbeteiligung für Mitarbeiter" ist ein Trugschluss. Dahinter steckt das Ziel, den Druck auf die einzelnen Beschäftigten zu erhöhen. Am besten wären dann noch Vorschläge, wie weitere Arbeit rationalisiert werden kann um seinen Arbeitsplatz zu beseitigen. Doch im Ernst: Profitieren werden im besten Falle einige, aber niemals die Mehrzahl, und schon gar nicht alle.

Welche Vorteile hätten die Kunden davon?

Der Unterschied zwischen dem Wunschdenken in der herrschenden Meinung und der Realität kann kaum größer sein: „An der Börse werden nur solche Unternehmen belohnt, die ihr Handeln ausschließlich an Kundenbedürfnissen und Markterfordernissen (...) ausrichten." schreibt der Bahn-Vorstand in seiner Argumentationshilfe. Viele handfeste Beispiele mit Privatisierungen sprechen jedoch eine andere Sprache.

Beispiel 1: Die privatisierten Berliner Wasserbetriebe haben zum Jahresbeginn 2004 ihre Wasserpreise um 15 % erhöht, um eine angestrebte Rendite um ca. 2 % zu erreichen. Die Erhöhung wäre doppelt so hoch ausgefallen, wenn nicht der Mehrheitsaktionär (das Land Berlin!) auf seinen Anteil des Gewinns verzichten würde. Folgt man der Logik der Argumentation der Bahn, so müssten die Kunden künftig auf ihr Wasser verzichten um das Unternehmen zu bestrafen.

Beispiel 2: Bei der Deutschen Post AG hat das Renditestreben zur Demontage zahlreicher Briefkästen und zur Schließung von Postfilialen in Stadt und Land geführt. Postmanager halten es für „zumutbar", wenn die Menschen deshalb viel weitere Strecken zurücklegen müssen. Schicken wir deshalb keine Briefe mehr ab? Für Anleger oder Investoren spielt es keine Rolle, ob die Bahn kundenorientiert arbeitet. Für sie zählt alleine der Profit. Dies könnte unter Umständen auch bedeuten, dass künftig nur wenige rentable Strecken betrieben werden („Konzentration auf die Kernbereiche") und der Rest abgehängt wird.

Warum will der Bund die Bahn überhaupt privatisieren?

Die endgültige oder auch „materielle" Privatisierung der Bahn durch den Börsengang ist Bestandteil einer weltweiten und europaweiten Deregulierungspolitik, mit der die Staaten so gut wie alle Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge dem „freien" Markt zuführen. Begründet wird das mit dem Argument, dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen die Aufgabe angeblich besser und auch kostengünstiger wahrnehmen könne. Dahinter stecken handfeste Interessen. Große Kapitalbesitzer suchen dringend neue, profitable Anlagemöglichkeiten und scheuen dabei – im Gegensatz zu ihrer vollmundigen Propaganda – allzu großes unternehmerisches Risiko. Am liebsten setzen sie sich in ein gemachtes Nest, das sofort Dividenden erbringt. Da bieten sich die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge mit ihrer mehr oder weniger garantierten Kundschaft als leichte Unternehmerbeute geradezu an.

Doch gerade die Geschichte von Bahn und Post hat gezeigt, dass auch Staatsunternehmen rentabel arbeiten und Geld in die Staatskasse spülen konnten. Die alte Bundespost ließ Ende der 80er Jahre dem Bundeshaushalt einen Jahresüberschuss von fünf Milliarden DM zufließen. Genau darauf waren die Privatisierer scharf. Vor dem ersten Weltkrieg deckte der Preußische Staat 57 % seines Haushaltes durch die Einnahmen aus der Bahn. In den zwanziger Jahren leistete die Reichsbahn die Reparationsleistungen an die Siegermächte des ersten Weltkrieges. Unter den Nazis musste die Reichsbahn den Straßenbau finanzieren und nach dem zweiten Weltkrieg – geschwächt durch Zerstörung und Demontage – mussten die Investitionen von der Bahn selbst aufgebracht werden. Bis in die 90er Jahre wurden die Investitionen des Bundes in die Schiene sträflich vernachlässigt. Die Situation der Bahn ist also im Profitinteresse menschengemacht gewesen. Mit dem Beginn der „Bahnreform" sind Milliarden in das Schienennetz investiert worden und ist so ein Teil der Vernachlässigung wieder korrigiert worden, aber zugunsten der künftigen Großaktionäre. Mit Steuergeldern, versteht sich. In England haben die aus der Privatisierung der British Rail hervorgegangenen privaten Bahn-Unternehmen mehr staatliche Subventionen erhalten als die alte Staatsbahn.

Was spricht also dagegen, ein saniertes Bahnunternehmen als eigene Einnahmequelle im Besitz und unter Kontrolle des Bundes zu halten, anstatt es aus kurzfristigen Profitinteressen einiger weniger und mit scheinheiligen ideologischen Begründungen zu verscherbeln? Wozu sollen eventuelle Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden?

Warum sind einige Kritiker anscheinend gegen einen Börsengang der Bahn?

Nach Meinung des Konzernvorstandes gibt es keine wirklichen Kritiker des Börsenganges der Deutschen Bahn AG. Angeblich seien sich alle einig. Weshalb dann aber die Argumentationshilfe? Richtig ist, dass die derzeit in den Regierungen des Bundes und der Länder tonangebenden Parteien und größtenteils auch die Oppositionsparteien für den Verkauf der DB AG sind. Strittig ist nur der Zeitpunkt. Dennoch gibt es – neben der Initiative „Bahn von unten" – eine Reihe von Organisationen, die einen Börsengang ablehnen. Dazu zählen die aus Verkehrsexperten bestehende Initiative „Bürgerbahn statt Börsenbahn" oder die Organisation der Globalisierungsgegner von attac. Der TRANSNET-Hauptvorstand stellt Bedingungen, bei deren Erfüllung er einen Börsengang begleiten will. Die nach wie vor geltende Beschlusslage besagt allerdings: TRANSNET ist für die „Erhaltung einer einheitlichen, flächendeckenden und bundeseigenen Bahn im Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden. Kein Börsengang! Kein Ausverkauf - weder an ausländische noch an inländische Kapitalgruppen!" (Beschluss des Gewerkschaftstages in Magdeburg im November 2000). Vor allem ist die Stimmung an der Basis, also bei den Beschäftigten in den verschiedenen Bereichen der Deutschen Bahn AG, eher gegen einen Börsengang. Daher die verstärkte Kampagne des Konzernvorstandes für einen Börsengang.

Dass Eisenbahner einen Börsengang kritisch, ja ängstlich sehen, ist verständlich, denn alle spüren tagtäglich die Arbeitsverdichtung und die damit verbundene Hektik. Natürlich treffen wir auch auf die Meinung: So schlimm wird es schon nicht kommen. Wen von uns wollte dies verwundern. Verzichtet TRANSNET doch auf eine wirkliche Aufklärung über die Ursachen und die Folgen des Börsengangs. Ebenso erleben wir, wie die verschiedenen Unternehmensbereiche der Bahn auseinanderdriften und vieles nicht mehr funktioniert oder nur noch deshalb funktioniert, weil man sich (noch) kennt und weil die Eisenbahner Würde haben. Gleichzeitig verschärft sich trotz der so gepriesenen „Modernisierung" die Kritik der Kunden an den Leistungen der Bahn. Auffangen müssen diese Kritik die Beschäftigten. Alles in allem werden die Kritiker des Börsenganges künftig mehr Gehör finden. Die Initiative „Bahn von unten" fordert ein klares NEIN zum Börsengang und eine offene Diskussion in den Gewerkschaftsmedien sowie eine Auklärung der Mitglieder über die nachteiligen Folgen einer Aktionärsbahn für unsere Zukunft. Die Basis muss an dieser schwerwiegenden Entscheidung voll mitwirken.

Was spricht für einen integrierten Börsengang der Bahn, also für einen Börsengang einschließlich Netz?

Wie sich aus der bisherigen Argumentation schließen lässt, sprechen alle Erfahrungen gegen einen Börsengang. Eine weitere Variante in der öffentlichen Debatte über Börsengang ist die endgültige Trennung von Fahrweg und Betrieb. Nach den Erfahrungen, die damit in anderen Ländern (vor allem Großbritannien!) gemacht wurden, hätte dies allerdings fatale Folgen, da der Betreiber des Schienenverkehrs dann nicht mehr für den Erhalt der Schiene verantwortlich wäre und damit die Sicherheit des Schienenverkehrs gefährdet wäre. Das darf unter keinen Umständen geschehen. Auch wären verstärkte Reibungsverluste zu erwarten, da eine selbstständige Netz AG unter den derzeitigen Bedingungen sich allein an betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, d. h. der Rendite orientieren würde. Dieses befürchtete übrigens auch der ehemalige Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau. In der Debatte um die Bahnreform im Bundesrat 1993 äußerte er seine Befürchtung dahingehend, dass eine „Fahrweg AG" die nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten agiert, immer denjenigen den Zuschlag erteilen wird der das meiste zahlt. Damit wäre eine Verdrängung des Personenverkehrs zu befürchten; ein Zielkonflikt zwischen marktwirtschaftlichen Kriterien und Allgemeinwohl-Gewährleistungspflichten ist ohnehin vorprogrammiert.

Wenn uns das britische Privatisierungsdesaster eines lehrt, dann ist es die Erfahrung, dass der Schienenverkehr (d.h. vor allem die durch ihn produzierte sehr zuverlässige und umweltfreundliche Ortsveränderung) in einem dicht besiedelten Land und auf einem stark befahrenen Netz zwangsläufig darunter leidet, wenn sich in dichter Zugfolge, die technisch vor allem durch ESTW-Stellwerke und administrativ durch neue Konzernrichtlinien für Fahren und Signalisierung ermöglicht werden soll, konkurrierende Unternehmen tummeln.

Warum lehnen BDI, DIHK, CDU/CSU und FDP einen „integrierten Börsengang" ab?

Der Vorstand der DB AG will den Konzern als europaweiten und weltweiten „Global Player" und Logistikriesen ausbauen und will sich dafür die staatliche Protektion sichern und die Kontrolle über die Infrastruktur (Eisenbahnnetz) behalten. Es gibt ebenso Gerüchte über eine enge Kooperation zwischen DB AG und SNCF in den Bereichen Hochgeschwindigkeitsverkehr und Güterverkehr.

Der DB-Vorstand argumentiert: Schienennetz und Transportunternehmen müssen beim Rad-Schiene-System Eisenbahn zusammen, d.h. unter dem Dach der Holding der DB AG bleiben. Die gesamte Holding soll Schritt für Schritt bis zu 49,9 Prozent der Aktien an der Börse verkaufen.
Mehdorns Widersacher vom BDI (dahinter stecken ein wichtiger Teil des deutschen Kapitals und auch die bereits in Deutschland als Privatbahnen operierenden Konzerne wie Connex und Arriva) haben andere Interessen. Sie sind grundsätzlich für die Privatisierung und möchten gerne im Schienenverkehr Profite machen. Sie scheuen aber ein allzu großes finanzielles Risiko und wollen auf der Grundlage gesicherter günstiger Trassenpreise für die Benutzung der Schienenwege (die Verluste bleiben sozialisiert!!!) mit Personennahverkehr, Personenfernverkehr und Güterfernverkehr ihr Geschäft machen. Sie wollen die Rosinen herauspicken und die Bahn in Filetstücke zerschneiden.
„Das Netz eignet sich nicht als Renditeobjekt", brachte es Dirk Fischer (CDU) bei der BDI-Tagung im September 2004 auf den Punkt. „Andere Anbieter als die DB AG müssen die Chance haben, planbar mit Schienenverkehr Investitionen zu tätigen und Geschäfte zu machen", forderte sein Kollege Horst Friedrich von der FDP. Der Sprecher der Rhenania Intermodal Transport GmbH, Schuhmacher, brachte die Interessen privater Güterbahnen auf den Punkt: „Das Netz kostet Geld. Privatisierung ja – aber bitte nehmt den hoheitlichen Bereich heraus."

Ihr Rezept: Eine Schienennetz AG bleibt zu 100 Prozent beim Staat, die Transportgesellschaften werden zu 100 Prozent privatisiert.

Wer entscheidet über einen Börsengang und wie geht es dann weiter?

Der Bund als Eigentümer trifft – wie schon weiter oben beschrieben – die Entscheidung. Der Vorstandsvorsitzende der DB AG, Hartmut Mehdorn, wollte den Börsengang um jeden Preis noch vor der Bundestagswahl 2006 durchdrücken. Da hierzu ein Beschluss von Bundesrat und Bundestag erforderlich wäre, müssten die entsprechenden Gesetzentwürfe spätestens im Frühjahr 2005 eingebracht werden. Obwohl laut Bundestagsbeschluss ein Börsengang erst nach einer mehrjährigen Gewinnphase des Konzerns für richtig gehalten wird, war der Bahn-Vorstand Anfang Juni vom Eigentüner aufgefordert worden, den Börsengang vorzubereiten. Doch im September 2004 zog der Aufsichtsrat die Notbremse; der für 2006 anvisierte Börsengang wurde verschoben. Die BDI-Lobby setzt jetzt alles daran, eine Bundestagsmehrheit für ihre Linie zu gewinnen. CDU/CSU und FDP stehen schon dahinter, und auch Bündnis 90/Die Grünen haben auf ihrem Kieler Parteitag die Privatisierung des DB-Konzerns ohne Schienennetz beschlossen.

Ist die Bahn schon kapitalmarktfähig?

Wer die Diskussionen in den Medien verfolgt, kann zweierlei feststellen: Die Deutsche Bahn AG behauptet, sie sei auf dem besten Weg und die Zahlen sprächen für sich. Die Wirtschaftspresse und viele Kritiker (die der Bahn nicht wohlgesonnenen sowieso) meinen, dass von einer Kapitalmarktfähigkeit noch längst nicht die Rede sein könne.

Mal davon abgesehen, dass die Gegner eines Börsengangs der Meinung sind, dass öffentliche Daseinsvorsorge nicht unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden darf und der öffentliche Personenverkehr immer ein Zuschussgeschäft bleiben wird, lassen wir uns mal kurz auf die wirtschaftliche Betrachtung ein. Dann werden wir feststellen, dass selbst die von der Bundesregierung als Gutachter eingesetzte Investmentbank Morgan Stanley zu dem Schluss kommt, dass die Kapitalmarktfähigkeit zurzeit nicht und auch in den nächsten Jahren nicht erreicht werden kann. So jedenfalls die Zitate aus dem Gutachten, welche in der Presse bisher wiedergegeben und nicht dementiert wurden.

Aber auch ohne Gutachten wird man bei Betrachtung der von der DB AG veröffentlichten Zahlen nicht zu den Schlussfolgerungen kommen, welche Herr Mehdorn gerne sehen möchte. Beispiel: Der sogenannte Cashflow, eine betriebswirtschaftliche Kennzahl die in der „modernen" Betriebswirtschaft als Ersatz für niedrige Eigenkapitalquoten dient, ist eine wichtige Größe um die wirtschaftliche Kraft eines Unternehmens zu beurteilen. Der Cashflow lässt erkennen, in welchem Maße ein Unternehmen Finanzmittel aus eigener Kraft erwirtschaftet hat. Diese Mittel stehen dem Unternehmen zur Verfügung, um Investitionen zu finanzieren, Schulden zu tilgen oder Gewinne auszuschütten. Wenn aber dieser Cashflow kleiner ist als beispielsweise die Investitionen, kann das Unternehmen nicht mal die Investitionen aus eigener Kraft erwirtschaften. Genau dieses ist bei der DB AG der Fall. Der Cashflow ist kleiner als die Nettoinvestitionen. Somit ist auch nicht verwunderlich, dass die Eigenkapitalquote – also der Anteil des Eigenkapitals am Unternehmen – auf bedenkliche 10,7 % (in 2003) gefallen ist. Auch hier sind sich Wirtschaftsleute einig, dass diese Quote zu niedrig ist. Dieses lässt sich auch an anderen Größen darstellen. Soweit zur betriebswirtschaftlichen Seite.

Ein weitaus größeres Manko in der Diskussion ist aber, dass keiner über die volkswirtschaftlichen Wirkungen von wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie der Privatisierungspolitik diskutiert. Welche gesellschaftlichen Folgen hat es, wenn ein Unternehmen wie die DB AG die Anzahl der Ausbildungsplätze – bei allgemein hoher Jugendarbeitslosigkeit – um 12.700 reduziert? Welche Folgen für die Kaufkraft einer Volkswirtschaft hat es, wenn immer mehr Aufgaben ausgelagert werden und von kleinen Subunternehmen für wenig Geld erledigt werden? Welche Folgen hat es, wenn der Leistungsdruck immer weiter hoch geschraubt wird und die Beschäftigten dem irgendwann nicht mehr gewachsen sind? Welche Folgen hat es, wenn Fahrgäste vergrault werden und wieder aufs Auto umsteigen? Welche Folgen hat es, wenn bei der Jagd nach Rendite Mensch und Sicherheit unter die Räder kommen? Welche Folgen hat ein mörderischer Konkurrenzkampf auf Schienen für die betroffenen Eisenbahner und ihre Familien? Welche Folgen hätte es, wenn im Zuge von „Hartz IV" bald auch im DB-Konzern sogenannte „1-Euro-Jobs" eingerichtet würden und eine rechtlose industrielle Reservearmee von Langzeitarbeitslosen als Streikbrecher eingesetzt würde? Die Fragen lassen sich beliebig erweitern. Wenn nicht insgesamt wieder umgesteuert wird, geht die Spirale immer weiter nach unten.

Welche Aufgaben muss die Bahn dafür jetzt erledigen? Gibt es Alternativen?

Die DB AG nimmt Kurs auf die Börse. Kritikern wie unserer Initiative „Bahn von unten" wird vorgeworfen, sie gefährdeten den Bestand der Bahn als Ganzes. Gibt es zu diesem Kurs wirklich keine Alternative, wie es die herrschende Meinung darstellt? Wir sind fest davon überzeugt: Es gibt Alternativen. Diese liegen nicht in einem Börsengang. Im Interesse von Eisenbahnern, Kunden und Umwelt muss die Bahn im Staatbesitz bleiben und muss die Zerschlagung des Konzerns sofort gestoppt werden. Unter dem Dach des Bundes kann die Bahn genauso wirtschaften wie es gefordert wird. Das hat die Geschichte der Bahnen längst bewiesen. Hierzu bedarf es allerdings eines nötigen festgelegten Handlungsrahmens, denn eine Verschwendung von finanziellen Ressourcen darf es nicht geben. Auch muss die seit Jahrzehnten unter dem Einfluss der Straßenverkehrs- und Luftfahrt-Lobby betriebene Benachteiligung der Bahn gegenüber anderen Verkehrsträgern endlich beseitigt werden. Nötig ist eine Transparenz der Unternehmenspolitik und demokratische Kontrolle ohne Bevormundung durch inkompetente und nur auf Dividenden ausgerichtete Manager, teure Manager und praxisferne und teure „Berater". Die Interessen und Vertretung der Beschäftigten, Gewerkschaften, sozial Schwachen, Allgemeinheit, gesellschaftlichen Organisationen und Umwelt müssen in den Leitungsgremien (Vorstand, Aufsichtsrat, Beirat) den Ton angeben. Ausgewiesene Eisenbahn-Experten und nicht bahn- und technikferne Nachwuchsmanager, für die ein Job bei der Bahn nur ein kurzes Zwischenspiel auf der Karriereleiter ist, müssen auf allen Ebenen einbezogen werden. Das seit den 90er Jahren stark vergrößerte Einkommensgefälle zwischen Vorstandsmitgliedern und der Masse der Eisenbahner muss wieder radikal abgebaut werden.

Der Schienenverkehr eignet sich nicht als Versuchskaninchen für Renditejäger und Konkurrenzkämpfe, bei denen viele Opfer auf der Strecke bleiben. Gesellschaftliche Aufgaben wie die Daseinsvorsorge im Bereich der Infrastruktur dürfen nicht nach betriebswirtschaftlicher Profitabilität betrachtet werden und müssen weiter vom Staat finanziert werden. Verkehrspolitische Maßnahmen sind künftig in ihrer gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Wirkung zu betrachten. Dann nämlich käme man zu dem Schluss, dass es ökonomisch und ökologisch sinnvoller ist die Bahn zu finanzieren, als bspw. den inländischen Flugverkehr durch nicht erhobene Steuern auf Flugbenzin zu subventionieren.

Würde ein Börsengang das Ende der Sanierung bedeuten?

Der Vorstand der DB AG vertritt die Meinung, dass die Sanierung der Bahn 2004 beendet sein muss. Dieses liegt in der Logik einer Vorbereitung des Börsenganges, denn eine weitere Sanierung erfordert wesentlich mehr Mittel als bisher in Aussicht gestellt sind. Insofern bedeutet der Schritt an die Börse das Ende der Sanierung. Neue – von der Politik gewünschte – Projekte würde sich ein endgültig privatisierter Konzern teuer bezahlen lassen. Damit wären die an vielen Ecken des Landes geforderte Reaktivierung von Strecken zukünftig weitere Steine in den Weg gelegt.

Auch hier wird deutlich, dass der Staat die Oberhand über die Bahn behalten muss, da nur so gewährleistet ist, dass gewollte verkehrspolitische Maßnahmen umgesetzt werden können und damit auch Gestaltungsmöglichkeiten des Staates erhalten bleiben. In den letzten Monaten wurde zudem deutlich, welche gesamtwirtschaftliche Verantwortung Investitionen ins Schienennetz haben. Betriebsräte und Bahnindustrie machten darauf aufmerksam, dass die derzeitige Politik zigtausend Arbeitsplätze allein dadurch gefährdet, dass die Investitionen zurückgefahren werden.

Andererseits läßt sich nur erahnen, wie groß die gesamtwirtschaftlich positive Folgen und Auswirkungen erweiterter Investitionen in den Schienenverkehr wären und wie viel neue Arbeitsplätze und Kaufkraftsteigerung entstehen könnten.

Sind wir noch in der Lage, einen Börsengang zu verhindern?

So gut wie niemand in unserer Gewerkschaft ist wirklich davon überzeugt, dass ein Börsengang im Interesse der Beschäftigten und der Allgemeinheit liegen würde. Die Beschlusslage unserer Gewerkschaft ist klar: "Für die Erhaltung einer einheitlichen, flächendeckenden und bundeseigenen Bahn im Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden. Kein Börsengang! Kein Ausverkauf - weder an ausländische noch an inländische Kapitalgruppen!" TRANSNET-Gewerkschaftstag in Magdeburg im November 2000.

Der TRANSNET-Vorsitzende Norbert Hansen hat mehrfach geäußert: Wenn es hart auf hart kommt, dann wird Transnet alle Kräfte mobilisieren und „werden wir unsere Möglichkeiten nutzen, einen Börsengang der DB AG zu verhindern" (Pressemiteilung 7.4.04) Jetzt müssen den Worten Taten folgen.

Natürlich müssen wir bei einem Abwehrkampf gegen Privatisierung und Börsengang mit mächtigen Gegnern rechnen. Der Konzernvorstand würde einen Börsengang nicht so vehement betreiben, wenn hinter den Kulissen nicht schon renditehungrige Kapitalgruppen darauf warten würden, um sich ein Häppchen zu erhaschen. Der Vorstandsvorsitzende und seine „Crew" haben offensichtlich den Blankoscheck des Bundeskanzlers und freie Hand für die Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs. Alle derzeitigen Bundestagsfraktionen scheinen prinzipiell von Kopf bis Fuß auf Privatisierung eingestellt zu sein und unterscheiden sich bisher letztlich nur in der Frage, ob dieser mit oder ohne Fahrweg/Netz/Infrastruktur erfolgen soll. Unternehmerverbände versprechen sich von der Privatisierung fette Beute. Ein Großteil der Medien, Wissenschaftler und bürgerlichen „Experten" singt voller Inbrunst das „hohe Lied" der Privatisierung mit.

Auf der anderen Seite haben wir für einen Kampf gegen einen Börsengang auch zahlreiche natürliche Verbündete. Dies sind

Wir können von der Gegenseite einiges lernen, denn sie weiss was sie will. Sie setzt ihre Interessen rücksichtslos durch. Wir müssen mit der gleichen Entschlossenheit und Hartnäckigkeit unsere Interessen durchsetzen. Wenn wir nachgiebig sind und ohne Widerstand eine Errungenschaft nach der anderen preisgeben – in der Hoffnung, irgendwann einmal würden sie uns in Ruhe lassen – dann werden sie noch frecher und gieriger.

Aber wird die Gewerkschaft wirklich kämpfen und nicht im entscheidenden Moment klein beigeben?

Der Widerstand muss in den Köpfen anfangen. Wir müssen und können der Arbeitgeberideologie und der herrschenden Propaganda, wonach es angeblich keine Alternative zu Börsengang und Privatisierung gibt, knallharte Erfahrungen, Zahlen und Fakten entgegensetzen. Wenn wir es mit all dem ernst meinen, dann müssen wir ab sofort unserer Mitgliedschaft, allen übrigen Kolleginen und Kollegen und der Allgemeinheit reinen Wein einschenken und sie auf die großen und unvermeidlichen Auseinandersetzungen vorbereiten; wir müssen fordern, daß die Praxis der Organisation TRANSNET auf Aufklärung zum Zwecke des Kampfes eingestellt wird.

Kolleginnen und Kollegen, die lange überwiegend mit Unternehmerpropaganda und neoliberalen Vorurteilen der Privatisierungslobby konfrontiert waren, spüren, dass es immer schlechter wird und fragen sich: Soll das immer so weiter gehen? Sollen wir uns alles gefallen lassen? Was muss denn alles noch geschehen, bis wir uns wehren?

Wenn es um die Verteidigung der Arbeitsplätze und Errungenschaften und die Zukunft der Bahn geht, dann ist Kampfbereitschaft grundsätzlich vorhanden. Sie läßt sich aber nicht beliebig – wie eine Lampe – an- und ausschalten und ebenso wenig wie ein Hamburger aus der Gefriertruhe holen und in 3 Minuten knusprig braten.

Wenn wir uns jetzt nicht bewegen, werden sie uns die Butter vom Brot nehmen. Jetzt die Kollegen beruhigen und damit trösten, dass wir irgendwann einmal notfalls auch die Kraft aufbringen würden, um einen Börsengang zu verhindern, wäre verhängnisvoll. Wenn wir jetzt nicht mit dem Krafttraining beginnen, werden wir es niemals schaffen. Bahnmanagement und Politik müssen wissen: Wir meinen es ernst und werden uns wehren. Sonst werden die Politiker – wie schon beim Einstieg in die Privatisierung 1993 – sagen: Die Gewerkschaft ist auch dafür und hat uns grünes Licht gegeben.

Sollen wir nicht lieber einen Börsengang „konstruktiv begleiten", wenn Arbeitgeber und Politik unseren Forderungen entgegenkommen?

Wer garantiert uns, dass die Bahn-Manager allen Verträgen und Lippenbekenntnissen zum Trotz nicht genauso verfahren werden wie die Manager der privatisierten Post oder anderer Konzerne? Wer glaubt denn wirklich, künftige Großaktionäre des DB-Konzerns würden uns schriftlich und verbindlich die derzeitigen Arbeitsplätze, Einkommen, Arbeitszeiten und Sozialleistungen für die nächsten sechs Jahre garantieren und sich noch daran halten, während rings herum überall die Dämme brechen? Und selbst wenn sie uns jetzt das Blaue vom Himmel versprechen, dann werden sie hinterher Mittel und Wege finden, um die „alten" Beschäftigten ganz schnell loszuwerden und durch neue, billigere und gefügigere Mitarbeiter zu ersetzen.

Eine Gewerkschaft, die einen Börsengang propagiert und aktiv mit betreibt, wird so nicht nur die Arbeitsplätze und Interessen ihrer Mitglieder aufs Spiel setzen, sondern letzten Endes ihre eigene organisatorische Existenz.

Ist ein Börsengang der kompletten DB Holding im Schulterschluss mit Hartmut Mehdorn nicht der einzige Garant, um eine Zerschlagung der DB nach britischem Vorbild zu verhindern?

Die Kalkulation, durch aktives Herbeiführen eines möglichst raschen Börsengangs der gesamten DB Holding im Schulterschluss mit DB-Chef Hartmut Mehdorn ließe sich eine Zerschlagung des DB-Konzerns verhindern, ist eine gefährliche Illusion. Sobald wir einmal Spielball mächtiger Kapitalgruppen sind, werden die bisher erfolgten „Umstrukturierungen" im Konzern rückblickend wie ein Kinderspiel wirken und werden sie uns in alle Himmelsrichtungen auseinander reißen. Mehdorn ist kein besonderer „Gewerkschaftsfreund" und kein Gralshüter einer einheitlichen Deutschen Bahn. Er strebt mit aller Macht – quasi als Vollendung seines Lebenswerks – den Börsengang an und wird danach (altersbedingt) voraussichtlich ebenso von der Bildfläche verschwinden wie sein Vor-Vorgänger Heinz Dürr, der Anfang der 90er Jahre die entscheidende Weichenstellung Richtung Privatisierung vorgenommen hat und dann weit weg war, als negative Folgen seiner Entscheidungen spürbar wurden und sich viele seiner vollmundigen Versprechungen nicht bewahrheiteten.

Niemand kann garantieren, dass eine börsennotierte DB Holding nicht doch hinterher Stück für Stück auseinandergerissen wird. Dafür sprechen nicht nur Äußerungen aus dem Munde vieler Verkehrspolitiker vor allem im bürgerlichen Lager. Schon jetzt drängen sich einem im Alltag die Anzeichen für die Zerschlagung des DB-Konzerns auf. Der Unternehmensbereich Transport und Logistik unter seinen Vorstandsvorsitzenden Malmström zeigt starke Tendenzen einer Verselbständigung und organisiert sich augenscheinlich so, dass er mühelos abzutrennen wäre. Es gibt nicht einmal mehr eine gemeinsame Mitarbeiter-Zeitung, sondern eine eigene Zeitung "Stinnes-Welt", in der das DB Logo nur noch ganz klein auftaucht. Hier wird also auch ein neues "Corporate Identity" aufgebaut. Das Beispiel Stinnes ist hier am deutlichsten, aber ebenso lassen die Entwicklungen in anderen Unternehmensbereichen diese Tendenzen erkennen. Immer öfter klagen Kolleginnen und Kollegen, dass die einzelnen Unternehmensbereiche (UB) angefangen haben gegeneinander zu arbeiten, also egoistisch nur noch auf die Ergebnisse des "eigenen" UB zu schauen und nicht mehr die Bahn als ganzes im Blick zu haben. Dies ist die logische Konsequenz aus der Zerschlagung der Bahn in Teilgesellschaften.

Ist eine Liberalisierung und Konkurrenz von Schienenverkehrsunternehmen nicht besser und effektiver als die alten staatlichen Monopole?

Wer heute über staatliche Monopole im Bereich der Daseinsvorsorge herzieht und das hohe Lied des Marktes und Wettbewerbs singt, der bezweckt damit in der Regel nur eines: er will an die Stelle „staatlicher Monopole" neue private Monopole treten lassen. Die Liberalisierung in Bereichen wie Verkehr und Logistik, Energie, Wasser und Entsorgung zerschlägt alte (und in der Regel bewährte) kommunale und öffentliche Unternehmen und macht sie zur Beute privater Konzerne. Auf dem Strommarkt erleben wir es jetzt schon: Übrig bleiben nach wenigen Jahren eine Handvoll neuer riesiger Monopole, die ihre Marktmacht dann auch gegebenenfalls schamlos ausnutzen. Kunden und Beschäftigte sind die Leidtragenden. Es ist abzusehen, dass auch im Verkehrsbereich (Busse und Bahnen) in wenigen Jahren einige wenige private Monopole landesweit, europaweit und weltweit den Ton angeben werden. Was ist daran fortschrittlich?

Wie „realistisch" ist die Forderung nach Wiederverstaatlichung der Bahn?

Ohne langfristige Forderungen und Ziele würde die Gewerkschaftsbewegung leicht die Orientierung verlieren. Das Unternehmerlager stellt selbst langfristige Forderungen. Die Gewerkschaften sollten es auch tun. Wir brauchen Forderungen, die über die nächste Tarifrunde oder die laufende Legislaturperiode hinausgehen. Auch in ihren Anfängen im Frühkapitalismus haben Gewerkschaften über Jahrzehnte an Forderungen wie dem Acht-Stunden-Tag festgehalten – wohl wissend, dass dieses Ziel nicht sofort zu erreichen war.

Egal ob wir eine Forderung in 2 oder erst in 20 Jahren durchsetzen können: wir müssen klar formulieren und aussprechen, was notwendig ist und was unseren Interessen dient. Privatisierung ist kein Naturereignis, das wir einfach über uns ergehen lassen müssen. Sie kann und muss wieder rückgängig gemacht werden.

Privatisierungsparolen hatten in den letzten 10-15 Jahren Hochkonjunktur. Doch in letzter Zeit hat sich Ernüchterung breit gemacht. In Hamburg haben sich Ende Februar 2004 über drei Viertel der Wählerschaft gegen die Privatisierung der landeseigenen Kliniken ausgesprochen. Dies ist ein deutliches Anzeichen für einen beginnenden Stimmungsumschwung auch hierzulande.

Handfeste Erfahrungen haben in Großbritannien bewirkt, dass nicht nur unsere Schwestergewerkschaften, sondern auch liberale Medien und über 70 Prozent der Bevölkerung nach 10 Jahren Privatisierungschaos die Wiederverstaatlichung der Bahnen fordern. Unsere britischen Kollegen haben dies auch auf der Transnet-Kundgebung am 14. März 2003 in Berlin klar und deutlich ausgesprochen. Ende September 2004 hat auch der Parteitag der britischen Labour-Party mit Zwei-Drittel-Mehrheit die Wiederverstaatlichung der privatisierten Eisenbahnen gefordert.

Auch wenn sicherlich manches an der alten Bundesbahn und Reichsbahn bürokratisch und verkrustet gewesen sein mag - so schlecht war die Leistung der guten alten Staatsbahnen rückblickend auch nicht. Das Intercity- und Eurocity-Netz, der IR, der ICE und der TGV sind bzw. waren Kinder der Staatsbahn. Nach dem Mauerfall 1989 zeigten sich Bundesbahn und Reichsbahn äußerst flexibel und innovativ, als es darum ging, quasi über Nacht den neuen Bedürfnissen entsprechend neue Fahrpläne aufzustellen und neue Verbindungen einzurichten. Das alles hat die gute alte Staatsbahn geschafft – und zwar mit viel weniger öffentlichen Geldern als heute. Übrigens: Die Bürokratie der DB AG übersteigt die der Staatsbahn um ein Mehrfaches.

Es liegt auf der Hand: Wir müssen offensiv im Interesse der Eisenbahner(innen) und der Mehrheit der Bevölkerung fordern: Nein zum Börsengang! Für eine flächendeckende einheitliche Bahn als sicheres, zuverlässiges Transportmittel für Mensch und Güter. Ja zu einer demokratisierten und reformierten bundeseigene Bahn im Interesse der Eisenbahner, der Allgemeinheit und der Umwelt, ohne Bevormundung durch inkompetente und nur auf Dividenden ausgerichtete Manager oder praxisferne und teure „Berater", die im Kapitalinteresse handeln bzw. den Privateigentümer vor Ort „vertreten". Für diese Alternative, für dieses Ziel lohnt es sich zu kämpfen.


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V.i.s.d.P.: Hans-Gerd Öfinger