Ein Diskussionsbeitrag: |
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Eingangs ist
festzuhalten: Es ist schon auffällig, dass die Initiative Deutschland-Takt
ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem die Diskussion um die Teilprivatisierung der
Transportgesellschaften der Deutschen Bahn besonders intensiv geführt wird, mit ihrem
Anliegen an die Öffentlichkeit tritt. Vielleicht mögen dabei auch Befürchtungen im
Zusammenhang mit der künftigen Geschäfts- und Angebotspolitik eines teilprivatisierten
und renditeorientierten Fernverkehrs wohl eine
besondere Rolle gespielt haben. Der
Grundgedanke der Initiative aber, die Anforderungen an den Infrastrukturausbau der
Eisenbahn ganz gezielt aus einem vorher entwickelten nachfrage- und umweltorientierten
Angebotskonzeptes eines deutschlandweiten bzw. Regionen übergreifenden Taktfahrplanes
mit einem definierten Angebots-Grundstandard abzuleiten, ist sehr zu
begrüßen und zu unterstützen. Dies würde auch dem in der Schweiz angewendeten
Investitionsprinzip entsprechen, mit einem möglichst minimalen bzw. optimierten
Aufwand an Kosten ein Maximum an Nutzen im Gesamtnetz zu erzielen und zugleich auch
eine Abkehr von der in Deutschland immer noch sehr auf lineare und zudem sehr teuer
erkaufte Verbesserungen (Beispiel: Neubaustrecken-Großprojekte) zielenden
Bundesverkehrswegeplanung hin zu einer netzweit ausgerichteten Planung mit
erheblich größerer Effizienz bedeuten. Richtig
ist auch der Hinweis der Initiative, dass ein landesweiter Integraler Taktfahrplan (ITF)
der dicht vernetzten (gemeint ist offenbar: polyzentrisch verknüpften) Struktur
Deutschlands und den daraus resultierenden Verkehrsbeziehungen im öffentlichen
Personenverkehr am ehesten gerecht werden kann. Richtig ist auch die Hypothese, dass mit
dem ITF - als ein zeitlich und räumlich gut verfügbares Angebot eine bessere
Konkurrenzfähigkeit des öffentlichen Verkehrs gegenüber dem zeitlich (quasi ständig
verfügbar) und räumlich (mittels dichtem und eng vermaschten Straßennetz) flexiblen
Individualverkehr erreicht werden kann. Vielleicht
sollte der Vollständigkeit halber nicht ganz vergessen werden, dass es oft auch Fachleute
der vielgeschmähten Behördenbahn Deutsche Bundesbahn bzw. des Monopolisten
Deutsche Bahn waren, die sich seit 1991 in Zusammenarbeit mit regionalen Aufgabenträgern
und Verkehrsunternehmen für die Einführung regionaler integraler Taktfahrpläne in
Deutschland engagiert bzw. entsprechende Bemühungen unterstützt sowie teilweise sogar
initiiert haben. Der ITF
darf aber nicht nur auf die Optimierung des Schienen (-nah und fern-)verkehrs zielen,
sondern muss auch den regionalen Busverkehr und ggf. sogar, falls praktikabel, den
städtischen ÖPNV mit einbeziehen, um so den Kunden wirklich durchgehende Transportketten
zu ermöglichen. (Insofern hat Herr Dr. Sondermann, Geschäftsführer Veolia Verkehr
GmbH, in seinem Statement einen wichtigen und richtigen Hinweis gegeben.) Dies
bedeutet aber gleichzeitig auch die Sicherstellung einer kommunal-/regional-/ und sogar
bundesweit übergreifenden Abstimmung bzw. Harmonisierung des Angebotes, und zwar nicht
nur aufgabenträger-, sondern auch unternehmensübergreifend - im Sinne eines wünschenswerten Gesamtoptimums
sowohl für die Fahrgäste als auch für die Besteller und Ersteller eines solchen
Angebotes! In der
Schweiz wurde diese nicht leichte - Aufgabe mittels auf kantonaler Ebene wirkender
regionaler Planungsgruppen, in denen SBB, Postbus (PTT) und konzessionierte
Transportunternehmungen (KTU) im Sinne einer unternehmensübergreifenden
Zusammenarbeit integriert wurden, in hervorragender Weise gelöst. Gleichzeitig stellt das
in der Schweiz praktizierte Fahrplanverfahren eine breite Bürger- und damit
Fahrgastbeteiligung sicher. Es muss
schon die kritische Frage an die Initiatoren von Deutschland-Takt gestellt
werden, ob angesichts der in Deutschland gegenwärtig vorherrschenden und einseitig auf
Dogmen fixierten Wettbewerbs- und Privatisierungsideologie, die mehr auf Desintegration,
Konfrontation und Liberalisierung anstatt der in der Schweiz praktizierten Integration,
Konsenskultur und Harmonisierung setzt, eine derartige übergreifende
Angebotsoptimierung im Interesse des Ganzen überhaupt möglich wäre, und wie
sie sich das konkret vorstellen könnten. Weitere
Fragen wären darüber hinaus zu beantworten, wie z.B.: Wie soll
denn die von Dr. Sondermann lose formulierte Gestaltungs- und Moderationsrolle
der BAG-SPNV (und ggf. weiterer Aufgabenträger) denn ganz konkret aussehen? Wie soll
ein für die Kunden bundesweit flächenhaft transparentes und möglichst einfach
handhabbares ITF-Angebot mit seinen wesentlichen Komponenten Fahrplan Tarif
Fahrzeug Verkehrsstation denn möglich sein, wenn es heute noch Schwierigkeiten bei
aufgabenträgerübergreifenden Abstimmungen gibt bzw. unterschiedliche und mehr von
Partikularinteressen bestimmte Standpunkte der Aufgabenträger z.B. zu Fragen der
Angebotsgestaltung wie auch zu Ausrüstungsstandards von Fahrzeugen und Bahnsteighöhen
noch dominieren? (vgl. dazu Beitrag von Sönke Quandt Licht und Schatten im
Bestellerdschungel, BAHN-REPORT, 4/07). Wie sollen
die im Wettbewerb zueinander stehenden verschiedenen Unternehmen eine wünschenswerte
unternehmensübergreifende Abstimmung bzw. die optimale Koordination des
ITF-Angebotes und damit durch sie auch ggf. einzugehende Kompromisse und Mehraufwand
sicherstellen können, wenn sie gleichzeitig durch einen scharfen Preiswettbewerb zu einer
Minimierung ihrer eigenen Kosten und diesbezüglicher vorrangiger Ausrichtung ihres
eigenen Angebotes gezwungen werden und damit Eigeninteresse über das Gesamtinteresse
stellen müssen? Wie sollen
und können die oft vorhandenen regional und kommunal unterschiedlichen Interessen der
Aufgabenträger im SPNV (Zuständigkeit: Landes- bzw. Zweckverbandsebene) und Busbereich
(Zuständigkeit: Landkreis bzw. kommunale Ebene) im Sinne eines einheitlichen und
durchgehenden ITF-Angebotes in Übereinklang gebracht werden? Ein ITF
darf nicht an Landes- und Kreisgrenzen enden heute enden in den allermeisten
Fällen Buslinien noch an Kreisgrenzen. Wie können kommunal- und landkreisübergreifende
ITF-Buslinien bestellt und finanziert werden? Es wäre
sehr zu begrüßen, würden sich einige Initiatoren und Unterstützer des Deutschland-Taktes
im Sinne der von ihnen beabsichtigten Aufklärung intensiver bzw.
differenziert mit dem schweizerischen Erfolgsmodell und dessen Hintergründen
auseinandersetzen und daran eigene Standpunkte zu solchen Fragen wie Privatisierung,
Wettbewerb und Trennung von Infrastruktur und Betrieb kritisch
überprüfen. Das
Beispiel Schweiz zeigt in eindrucksvoller Weise, dass Privatisierung,
Wettbewerb und Trennung von Infrastruktur und Betrieb keine
zwingenden Voraussetzungen sind, um ein für die Kunden hochwertiges bzw.
qualitätsgerechtes und gleichzeitig für die Besteller kostengünstiges Angebot
bereitzustellen. Angebotsdichte, Vernetzung und Nachfrage im öffentlichen Verkehr der
Schweiz weisen Spitzenwerte im europäischen und teils weltweitem Maßstab auf. Im
Zeitraum von 1981 bis 2005 haben die SBB als vertikal integrierte Bahnunternehmung in
öffentlicher Hand ihr Angebot fast verdoppelt, obwohl seit 1997 die Ausgleichszahlungen
von Bund und Kantonen für den Regionalverkehr der SBB faktisch fast halbiert wurden.
Die spezifischen Zuschüsse je Zugkilometer im Regionalverkehr liegen dabei noch unter den
in Deutschland gezahlten. (Ergänzend
dazu sei noch angemerkt, dass die oft als Privatbahnen bezeichneten Kantonal-
und Kommunalbahnen der Schweiz integrierte und zugleich im öffentlichen Besitz
(d.h. im Besitz von Kantonen und Kommunen) befindliche Unternehmungen sind). Als
weiterführende und zugleich aufschlussreiche Lektüre ist das Abschiedsreferat Ein
Vierteljahrhundert öffentlicher Verkehr Schweiz und Europa des ehemaligen eneraldirektors
der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und Präsident des Weltverbandes der
Eisenbahnunternehmungen, Dr. Benedikt Weibel, vor einer Mitgliederversammlung der LITRA
Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr am 19.12.2006 (veröffentlicht im März
2007) sehr zu empfehlen. Darin
setzt sich Dr. Weibel, der über reiche Erfahrungen einer jahrzehntelangen
Managementtätigkeit im Eisenbahnwesen verfügt, u.a. nicht nur kritisch mit den Themen
Privatisierung und Börsengang auseinander, sondern stellt auch
das Modell einer von den Initiatoren des Deutschland-Takt
favorisierten Trennung von (Bahn-)Infrastruktur und Betrieb in Frage. Es müssen
andere Faktoren betont werden, die aber entscheidend zum Erfolg des schweizerischen
Bahnmodells beigetragen haben und die auch von Dr. Weibel in seinem Referat angesprochen
werden: - ein klar
vorgegebener und politisch beschlossener Leistungs- und Finanzierungsrahmen mit
mehrjähriger Gültigkeit sowie klare Regelungen des Verhältnisses zwischen Politik und - ein
integraler, das gesamte Netz, die Fahrzeuge und das Fahrplanangebot
umfassender langfristig angelegter Gesamtoptimierungsansatz - ein
hoher Stellenwert von Sozialpartnerschaft und von Motivation und Identifikation der
Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen - ein
hohes Bewusstsein hinsichtlich der täglich zu gewährleistenden Qualität des Angebotes
(pünktlich sicher sauber zuverlässig) - die
Gewinnung und Pflege möglichst vieler Stammkundinnen und -kunden - die
permanente Verbesserung der Produktivität des Angebotes Ferner
zeigen die fachlichen Diskussionen und Stellungnahmen in der Schweiz zum Eisenbahnverkehr
eine hohe Orientierung am komplexen und vernetzten System der Bahn, wobei dieses nicht als
Selbstzweck verstanden wird, sondern im Interesse einer bestmöglichen und marktgerechten
Funktionalität dieses Systems und seiner Komponenten für die Nutzer bzw. Kunden
geschieht In der
Schweiz wird - im Gegensatz zu den in Deutschland derzeit verfolgten Absichten - am Modell
der integrierten Bahn, d.h. der Gesamtverantwortung für Verkehrssparten und
Infrastruktur unter einem (Holding-) Dach festgehalten. Somit ist sichergestellt, dass
Optimierungen von Angebotskonzepten, Fahrzeugbeschaffungen und Infrastrukturausbauten in
einem iterativen und eng verzahnten Planungs- und Abstimmungsprozess hin zu einem
marktfähigen und für die Kunden als Einheit wahrgenommenen Gesamtangebot unter
gesamtheitlicher Verantwortung erfolgen können. Bahnverkehr
wird in der Schweiz primär als Systemverkehr mit langfristigen Planungs-
und Entwicklungszeithorizonten angesehen. So wird dort gegenwärtig die zweite Etappe der
Bahn 2000 mit dem Umsetzungszeithorizont 2030 mittels des bereits für
die Bahn 2000 erfolgreich angewendeten iterativen komplexen Planungsansatzes
weiterentwickelt. Das
Rad-Schiene-System mit den bestehenden engen Wechselwirkungen zwischen Fahrweg
und Fahrzeug wird als technologische Einheit angesehen, das auch als Einheit
technisch weiterentwickelt werden muss. Mit der
schweizerischen Bahnreform (1998) wurde der freie Netzzugang (open access)
für den gesamten Güterverkehr und den internationalen, nicht in den Taktverkehr
integrierten Personenverkehr eingeführt, wobei allerdings nur die zwischen den Trassen
des vertakteten Personenverkehrs eingepassten Standard- bzw. Katalogtrassen für den
freien Netzzugang genutzt werden können. Auch in
der Schweiz ist der Ausschreibewettbewerb im Regionalverkehr gesetzlich seit 1996
möglich, wird aber derzeit noch- sehr restriktiv aus verschiedenen Erwägungen
heraus gehandhabt (im Busbereich einige Vergaben mit Betreiberwechseln, im
Schienenpersonennahverkehr praktisch keine Vergaben mit Betreiberwechseln). Resümierend
bleibt festzuhalten:. Es wird
von der Initiative Deutschland-Takt sehr richtig dargelegt, dass (in
Deutschland derzeit) viel zu häufig über Unternehmensstrukturen und nicht über eine
konzeptionelle Verbesserung des Bahnverkehrs und über effektivere Nutzung der
Investitionsmittel in das Schienennetz gesprochen wird. In der Tat
muss die Diskussion auch und vor allem vor einer beabsichtigten
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn wieder vom Kopf auf die Füße gestellt
werden. Primär,
d.h. zuerst, sind folgende grundlegende Fragen zu stellen und zu beantworten: Wie
entwickelt sich regional differenziert - die Bevölkerungs- und Siedlungsstruktur
in Deutschland? Welche
Anforderungen haben heutige und künftige Nutzer an die öffentlichen Verkehrssysteme
inkl. der Bahn? Wie sieht
die langfristige und netzweite Entwicklung des Personen- und Güterverkehrs in Deutschland
aus? Welche
Ziele verfolgt die Raumordnungs-, Umwelt- und Klimapolitik, welche Anforderungen an die
einzelnen Verkehrssysteme sind daraus abzuleiten? Welche
verkehrspolitischen Instrumente sind notwendig,
um diesen Entwicklungen bzw. Anforderungen gerecht zu werden? Wie müssen darauf basierend
künftige Verkehrskonzepte geplant und entwickelt werden? Welche Anforderungen resultieren
daraus an künftige Verkehrsinfrastrukturen und fahrzeuge? Welche
Verkehrs- und Finanzpolitik ist zur Umsetzung dessen flankierend notwendig? Danach
und erst nach diesem ersten konzeptionellen Schritt sollte
darüber nachgedacht werden, wie öffentlicher Verkehr, resp. der
Bahnverkehr mit seinen Unternehmungen, künftig organisiert werden
kann. In
Deutschland wird gegenwärtig nicht nur der zweite vor dem ersten Schritt
getan, sondern der erste Schritt völlig ignoriert. Vielmehr stehen weder umfassend noch
kritisch hinterfragte neoliberale Ideologien und Dogmen im Zentrum der aktuellen
öffentlichen Debatte um die Bahnprivatisierung. In diesem Spektakel wird auch eine an
sich gute Idee eines deutschlandweiten Integralen Taktfahrplanes wohl kaum eine Chance auf
Gehör geschweige denn öffentliche Diskussion finden können. Wo aber
Dogmen und Ideologien die Oberhand gewinnen, hört auch Demokratie auf, zu existieren. Johannes
Birk |
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