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In
den entscheidenden Wochen vor einer Bundestagsentscheidung über eine Privatisierung der
Deutschen Bahn AG sind die Gewerkschaften von einem einheitlichen Abwehrkampf gegen die
Privatisierung weiter entfernt denn je. Was sind die tieferen Ursachen der
Auseinandersetzung? Am
Donnerstag erwirkte die Lokführergewerkschaft GDL beim Berliner Arbeitsgericht eine
Verfügung, die eine zeitgleich mit einer Transnet-Kundgebung anberaumte
Betriebsversammlung vor dem Berliner Hauptbahnhof für rechtswidrig erklärte. Die GDL
lehnt politisch motivierte Betriebsversammlungen ab. Während
die DGB-Gewerkschaft Transnet mit Streiks für die fortgesetzte Beschäftigungssicherung
auch nach einer möglichen Privatisierung droht und dafür in Kundgebungen bundesweit
mobil macht, rief die GDL am Wochenende ihre Mitglieder zum Streikbruch auf und
kritisierte, dass Transnet mit den Streikdrohungen eine Aufspaltung der Bahn verhindern
und einen integrierten Börsengang des Bahn-Konzerns erzwingen wolle. Nicht
alle GDL-Mitglieder scheinen indes dieser Aufforderung entsprechen zu wollen. Denn bei den
öffentlichen Betriebsversammlungen und Kundgebungen waren in mehreren Städten auch
GDL-Mitglieder anwesend. Die kleinere Verkehrsgewerkschaft GDBA, wie die GDL im Deutschen
Beamtenbund angesiedelt, steht in diesem Konflikt voll auf der Seite von Transnet. Hinter
dem Konflikt zwischen den Gewerkschaften steckt weit mehr als das übliche Imponiergehabe
von Gewerkschaftsführern. Der scheinbar technokratische Richtungsstreit um die Form der
Privatisierung (mit oder ohne Netz?) ist Ausdruck eines Konflikts zwischen
konkurrierenden Kapitalgruppen, die alle zum Zuge kommen wollen. Jede Seite versucht, ihr
Modell mit Hilfe namhafter Professoren wissenschaftlich zu untermauern und
Gewerkschaften und Betriebsräte auf ihre Seite zu ziehen. So
prangerte der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen am Freitag in Köln internationale
Konzerne wie Veolia/Connex an und andere Firmen an, die in Berlin bereits auf der Matte
stünden und bei einer Zerschlagung des DB-Konzerns zum Zuge kommen und Bahn-Töchter bzw.
Teilbetriebe günstig erwerben wollten. Ihre Lobby ist verknüpft mit dem Bundesverband
der Deutschen Industrie (BDI), hat Fürsprecher in CDU/CSU, FDP und Grünen und möchte
die GDL vor ihren Karren spannen. Sie fordert, dass das Schienennetz weiter vom Bund
vorgehalten wird, während alles andere zu 100 Prozent in Privathand kommen soll.
Öffentlich wird all dies damit begründet, dass der Monopolist Deutsche Bahn
den Wettbewerb hemme und nur bei einer völligen Trennung von Fahrweg und Betrieb und
einer hundertprozentigen Privatisierung aller Bahn-Töchter mit Ausnahme der Infrastruktur
das Eisenbahnwesen erblühen und viele neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Im Grunde
hat sich auch die GDL diese Argumentation zu Eigen gemacht. Hansen
schwieg sich in Köln über die Profiteure eines integrierten Börsengangs
aus, wie ihn DB-Chef Hartmut Mehdorn anstrebt. Bis zu 49 Prozent der Bahnaktien sollen
demnach an Investmentfonds aus USA oder Asien gehen. Diesen Investoren dürfte weniger an
der umweltfreundlichen Eisenbahn und sicheren Arbeitsplätzen als vielmehr an der
Vermarktung von Bahn-Grundstücken in City-Lagen und anderen
Filetstücken gelegen sein. Natürlich wollen deutsche und europäische Konzerne diese
Heuschrecken-Konkurrenz nicht zum Zuge kommen lassen und wettern daher gegen
Mehdorns Linie. Transnet-interne Kritiker um Bahn
von unten bemängeln, dass Hansen einen solchen Börsengang als rein technokratischen
Akt der Geldbeschaffung für Investitionen darstellt und die Folgen der Privatisierung
verniedlicht. Denn im Endeffekt werden die privaten Investoren auf der Jagd nach maximaler
Rendite den Konzern ebenso zersetzen und auseinanderreißen. Im Grunde hat mit der Bildung
zahlreicher DB-Tochtergesellschaften die Zerschlagung des Konzerns bereits begonnen.
Letztes Jahr hat der DB-Vorstand gegen gewerkschaftlichen Protest profitable Töchter wie
die Eisenbahnreklame DERG oder die Fernbuslinie Deutsche Touring GmbH an Private verkauft.
Mehdorn ist nicht der Gralshüter einer einheitlichen Bahn, argumentiert Bahn
von unten. Transnet argumentiert, dass bei einer Auflösung des Konzerns mindestens 50.000
Arbeitsplätze verschwänden oder dem Dumpingdruck ausgesetzt würden. Bisher schützt der
konzerninterne Arbeitsmarkt Eisenbahner bei einem Wegfall des Arbeitsplatzes vor der
Rutsche in Hartz IV. Genau diese Befürchtungen hält jedoch die GDL für Schüren
von Angst, denn Lokführer braucht man immer und kein Lokführer
oder Zugbegleiter verliert seinen Arbeitsplatz, so ein Flugblatt der
Berufsgewerkschaft. Die GDL übersieht dabei, dass schon heute bei
einem Auftragsverlust für die DB AG zu Gunsten eines Konkurrenzunternehmens unterm Strich
die Hälfte der bisherigen Stellen verloren geht und die neuen Arbeitsbedingungen meistens
schlechter sind. Bei einer Übernahme von Teilbetrieben durch Private würden also viele
Beschäftigte unter die Räder kommen. Ein Flächentarifvertrag für alle Privatbahnen ist
bisher am Widerstand der Unternehmen gescheitert. Leiharbeitsfirmen für die Vermittlung
von Lokführern sind eine Wachstumsbranche. Die Prekarisierung des einst stolzen
Lokführerberufs hat schon längst begonnen. Schon längst hat auch die GDL mit
Privatbahnen Tarifverträge abgeschlossen, die deutlich schlechter sind als die der DB. Ob die GDL unter solchen Umständen allein
jedoch die zunehmende Dequalifizierung und Entwertung des Lokführerberufs und um sich
greifende Dumpingbedingungen bei Privatbahnen verhindern kann, ist fraglich. Natürlich beteuern beide Gewerkschaften immer
wieder, daß sie eigentlich gar keine Privatisierung forderten. Transnet droht ebenso
regelmäßig wie folgenlos mit einer Diskussion über Plan B (Bahn
bleibt beim Bund), während die GDL die DB für derzeit nicht
börsenfähig hält. Beide versichern, dass sie aus dem britischen
Privatisierungsdesaster gelernt hätten und greifen sich dabei eklektisch richtige
Einzelaspekte heraus. So fordert eine GDL-Presseerklärung, dass das Netz bei einem
Börsengang aus dem Konzern herausgelöst wird und in der Verfügungsgewalt des
Eigentümers Bund verbleibt. Ansonsten ist es den Renditeerwartungen der Investoren
ausgesetzt. Was die Renditeerwartungen bei den anderen
Unternehmensbereichen anrichten würden, scheint kein Thema zu sein. Transnet wiederum betont, dass anders
als im Vereinigten Königreich Netz und Betrieb auf jeden Fall in einem Konzern
bleiben müssten und nur so ein optimaler Schienenverkehr und technische Innovationen
möglich seien. Zu einer Synthese aus diesen richtigen Einzelerkenntnissen, nämlich eine
einheitliche Bahn in Bundesbesitz zu belassen und keine einzige Bahnaktie zu verkaufen,
können sich indes beide nicht durchringen. Fahrweg und Betrieb gehören zusammen.
Das Fahrweg muss beim Bund bleiben und das ganze Betrieb gleich mit, bringt
es Bahn von unten auf den Punkt. Transnet ist in den Aufsichtsräten des
Konzerns und seiner Töchter stark vertreten. Diese gut vergüteten Nebenjobs bewirken
eine starke emotionale Bindung. Transnet identifiziert sich in hohem Maße mit dem
Bahnkonzern und dessen Management. Die GDL ist hier zu kurz gekommen und würde dem
DB-Konzern keine Träne nachweinen. Es ist mir egal, ob unsere Kollegen im
DB-Konzern oder sonst wo in Arbeit sind, erklärte GDL-Chef Manfred Schell bei einer
Anhörung vor dem Bundestags-Verkehrsausschuss am 1. Juni 2006. Die Sprecher von
Privatbahnen und CDU/CSU, FDP und Grünen vernahmen es mit Wohlwollen und kommentierten
mit Zufriedenheit, dass die GDL auch auf der Seite der Trennungsbefürworter stehe. Anfang März forderte der Betriebsrat der
privaten Güterbahn Rail4Chem die vollständige Trennung von
Netz und Betrieb der DB AG und appellierte an die GDL als Tarifvertragspartner des
Unternehmens, sich dieser Auffassung anzuschließen. Das Unternehmen veröffentlichte
diese Resolution auf seine Website. Die Standpunkte von Betriebsrat und GDL sind
nicht weit voneinander entfernt, erklärte Rail4Chem-Betriebsratsvorsitzender Jens
Günther auf Anfrage. Anstatt sich gegenseitig zu
bekämpfen und den Eisenbahnern jeweils unterschiedliche Modelle der Privatisierung als
vermeintlich kleines Übel schmackhaft zu machen, müssen die Gewerkschaften
ab sofort gemeinsam für den Erhalt einer einheitlichen und bundeseigenen Deutschen Bahn
AG eintreten, fordert die Initiative Bahn von unten in einem aktuellen Flugblatt:
Denn bei einer Privatisierung geht es allen Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern an den
Kragen. Ein Streik müsse zu
einer eindrucksvollen Demonstration gegen jede Form von Privatisierung werden, fordert die
Initiative. Hans-Gerd Öfinger eine leicht gekürzte Fassung erschien am 26.
September 2006 in junge Welt: |