Privatisierungszug
rollt an Notbremse ziehen! |
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Erwartungsgemäß
bzw. wie zu befürchten war hat das Bundeskabinett am Dienstag den
Gesetzentwurf des Bundesverkehrsministeriums für die Privatisierung der Deutschen Bahn AG
(DB) abgesegnet. Trotz Kritik von allen Seiten verfolgen die Protagonisten des angedachten
Börsengangs um Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und DB-Chef Hartmut
Mehdorn konsequent das Ziel, möglichst rasch und von der Öffentlichkeit weitgehend
unbemerkt vollendete Tatsachen zu schaffen und 49 Prozent der Bahnaktien rasch an private
Anleger zu verkaufen. Es ist ein alter Trick politischer Akteure, umstrittene
Entscheidungen immer dann herbeizuführen, wenn die Masse der Bevölkerung und Betroffenen
durch Urlaub, Feiertage oder Großereignisse andere Dinge im Kopf hat. Der aktuelle Wirbel
um den angedrohten unbefristeten Lokführerstreik lenkt zudem noch zusätzlich das
Augenmerk von der Frage ab, ob überhaupt ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Sachzwang
zum Gang an die Börse besteht. Unglaublich aber wahr: Es droht das größte
Privatisierungsprojekt aller Zeiten und die Spitzen der direkt betroffenen drei
Bahngewerkschaften TRANSNET, GDL und GDBA segnen diese Privatisierung ab und sind somit
von einem einheitlichen Abwehrkampf gegen diese Bedrohung weiter entfernt denn je. Mehrere
Bundesländer haben starke Kritik am Gesetzentwurf angemeldet und Änderungen verlangt.
Während das Land Berlin laut Koalitionsvertrag 2006-11 einen Börsengang überhaupt
ablehnt und jetzt zeigen muss, wie ernst dies gemeint ist, geht die Kritik konservativer
Landesregierungen in eine andere Richtung. So möchte etwa der hessische
Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) im Sinne des Bundesverbandes der Deutschen Industrie
(BDI) die Bahn zerschlagen und filetieren. Das tendenziell teure und defizitäre
Schienennetz soll nach diesen Vorstellungen vollständig beim Bund bleiben, weil es sich
nicht als Renditeobjekt eignet. Alle anderen Teile der Bahn (von den
Transportgesellschaften für den Personen- und Güterverkehr über die Werke bis hin zu
Service und Reinigung) sollen jedoch einzeln und vollständig privatisiert werden. Dafür
stehen genügend Unternehmen und Konzerne Schlange. Der BDI-Lobby missfällt, dass
Minister Tiefensee und DB-Chef Mehdorn stattdessen lieber milliardenschwere Aktienpakete
an strategische Anleger veräußern wollen. Mögliche Kandidaten hierfür sind die
russische Gazprom, arabische Ölscheichs oder US-amerikanische Investmentfonds. Solche
Anleger haben mit dem umweltfreundlichen Schienenverkehr mitten in Europa nichts am Hut.
Sie wollen maximale Rendite erzielen und streben dazu auch den Zugriff auf attraktive
Bahngrundstücke in Innenstadtlage an, die für den Schienenverkehr nicht mehr gebraucht
werden und Milliarden wert sind. Minister Tiefensee
und DB-Chef Mehdorn hatten den Einstieg privater Investoren stets damit begründet, dass
die DB als Global Player der Logistikbranche europa- und weltweit Bahnen und
Logistikunternehmen aufkaufen müsse, um zu überleben. Als Beispiel für ein mögliches
Kaufobjekt nannte Minister Tiefensee vor einem TRANSNET-Kongress in Fulda die Bahnstrecke
Moskau-St.Petersburg. Kritiker fordern hingegen, dass sich die Bahnmanager statt ihrer
Träume von der Vorherrschaft auf dem Welt-Logistikmarkt lieber um den heimischen
Schienenverkehr kümmern und dafür sorgen sollten, dass der Anteil der Schiene am
gesamten Verkehrsaufkommen in Deutschland deutlich steigt. In der Tat wird in einem
privatisierten, auf maximale Rendite orientierten Global Player DB, der über
Weltmeere, Lüfte, Straßen und Schienen Transporte betreibt, die Rendite alles
entscheiden und die Schiene zumindest in der Fläche immer mehr zum Stiefkind verkommen. Bundesverkehrsminister
Wolfgang Tiefensee (SPD) und der sozialdemokratische Fraktionschef Peter Struck drängen
zur Eile. Sie möchten das größte Privatisierungsprojekt der deutschen Geschichte unter
Dach und Fach bringen, noch ehe die eigene Partei weiter aufmuckt und möglicherweise beim
Hamburger Bundesparteitag Ende Oktober gegen das Vorhaben vollends aufbegehrt. Denn in den
letzten Wochen haben allein fünf SPD-Landesparteitage unabhängig voneinander und jeweils
mit erdrückender Mehrheit gegen einen DB-Börsengang Position bezogen. Der vorläufig
letzte Kongress in dieser sechswöchigen Serie vor der Sommerpause war Mitte Juli der
Landesparteitag der Bayern-SPD in Würzburg. Dabei erteilten die Delegierten dem Ansinnen
ihres Landesvorsitzenden und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Ludwig
Stiegler, eine Abfuhr, der ein Votum für den Tiefensee-Entwurf einholen wollte.
Stattdessen folgten sie einem Antrag der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen
(AfA), in dem die SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert wird, die Privatisierung abzulehnen
und ein Moratorium bis zum Jahre 2010 zu nutzen, um ein Gutachten Die bessere Bahn
Status Quo plus mit dem Ziel eines optimierten öffentlichen Bahnmodells in
öffentlichem Eigentum nach Schweizer Vorbild zu erarbeiten. Auch bei der Sitzung der
SPD-Bundestagsfraktion am 3. Juli kam es in Sachen Bahnprivatisierung zum handfesten
Krach, nachdem sich 21 Abgeordnete in einem Schreiben an ihre Fraktionskollegen darüber
beschwert hatten,
dass die Frage, ob die Deutsche Bahn überhaupt (teil-)privatisiert werden soll, nie
ergebnisoffen debattiert und entschieden worden ist weder in unserer Partei noch in
unserer Fraktion. Dies sei umso bedauerlicher, da gerade in unserer Partei das
Thema der Privatisierung staatlicher Infrastruktur sehr kontrovers diskutiert wird. Die
sozialdemokratischen Dissidenten darunter Hermann Scheer, Andrea Nahles, Karl
Lauterbach, Ortwin Runde und Ex-Ministerin Herta
Däubler-Gmelin bemängelten insbesondere, dass mit einer Verabschiedung des
Gesetzentwurfs durch einen formellen Beschluss des Bundeskabinetts vollendete Tatsachen
geschaffen würden und die Fraktion faktisch kaum noch größere politische
Einflussmöglichkeiten auf den weiteren Gang der Dinge habe. Der Antrag der 21, wonach
eine Kabinettbefassung erst nach einem zustimmenden Votum unserer Bundestagsfraktion
zu dem ressortabgestimmten Referentenentwurf erfolgen soll, wurde dann aber dem
Vernehmen nach von einem erzürnten Fraktionschef Peter Struck erst gar nicht zur
Abstimmung gestellt. Einer,
der noch im letzten Jahr gemeinsam mit anderen aufmüpfigen Parlamentariern die angedachte
Privatisierung kritisierte, fehlt indes auf der Liste der 21 Dissidenten: Kurt Bodewig,
von 2000 bis 2002 Bundesverkehrsminister. Während ein Mitarbeiter in Bodewigs
Abgeordnetenbüro auf Anfrage über die Beweggründe für den plötzlichen
Gesinnungswandel seines Chefs keine Angaben machen wollte und auf einen dynamischen Prozess und sich
herausbildende unterschiedliche Standpunkte verwies, zeigt ein Blick auf die
Nebeneinkünfte des Abgeordneten, woher der Wind weht. So ist Bodewig seit Ende 2006
abgesehen von etlichen anderen Nebentätigkeiten auch Vorsitzender des
Beirates der Essener Abellio GmbH und bezog hierfür mehrere tausend Euro monatlich. Die
Abellio GmbH ist ein aus der Privatisierung des Essener Verkehrsbetriebe hervorgegangenes
privates Verkehrsunternehmen, das durch aggressives Vorgehen bei öffentlichen
Ausschreibungen von Nahverkehrsleistungen zunehmend die DB-Nahverkehrstochter DB Regio und
kommunale Busunternehmen verdrängen möchte. Abellio-Chef Wolfgang Meyer, gelernter
Standesbeamter, ehemaliger ÖTV-Kreisgeschäftsführer in Essen und Arbeitsdirektor der
Essener Verkehrsbetriebe, kündigte 2006 vor dem Bundestagsverkehrsausschuss an, sein
Unternehmen würde gerne lukrative Teile der DB Regio aufkaufen. Das nötige Kleingeld
hierfür stammt vom schottisch-spanischen Investmentfonds Star Capital Partners, der
inzwischen zu 75,1 Prozent bei Abellio eingestiegen ist und nach eigenen Angaben im
(staatlich subventionierten) deutschen Nahverkehrsmarkt hohe Renditen wittert. Vor dem Sitz des hessischen SPD-Landesverbands
in Wiesbaden protestierten am Montag Mitglieder von Transnet, ver.di und Attac gegen den
geplanten Kabinettsbeschluss und forderten die hessischen SPD-Bundesministerinnen
Heidemarie Wieczorek-Zeul und Brigitte Zypries dazu auf, Tiefensees Vorlage im Kabinett
abzulehnen. Bislang hatte sich die hessische SPD in dieser Frage nicht positioniert.
Bislang hatte sich auch kein einziger SPD-Bundestagsabgeordneter aus Hessen auf die Seite
der 21 Kritiker geschlagen. Immerhin hatte sich die SPD in Darmstadt, dem Wahlkreis von
Bundesjustizministerin Zypries, Anfang Juni gegen die Privatisierung ausgesprochen.
Trotzdem setzte sich die Ministerin über die Bedenken ihrer Basis hinweg und stimmte im
Kabinett für das Privatisierungsgesetz. Die Wiesbadener
Privatisierungsgegner machten eine überraschende Entdeckung, als die hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti ihre Mahnwache
besuchte. Die Politikerin zeigte Verständnis für die Bedenken der Privatisierungsgegner
und propagierte als Alternative zum Tiefensee-Modell einer Kapitalprivatisierung eine
innovative Form der Privatisierung durch Volks- oder Bürgeraktien Die SPD-Basis und
die Delegierten beim Hamburger Bundesparteitag sind gut beraten, wenn sie fest bleiben und
statt Formelkompromissen mit den Privatisierungsbefürwortern und Elementen eines Volksaktienmodells
ein klares Nein zum angelaufenen Gesetzgebungsverfahren erkämpfen. Nur wenn sich die SPD
grundsätzlich quer stellt und wenn in dieser Legislaturperiode kein Bundestagsbeschluss
über eine Bahnprivatisierung mehr zustande kommt, kann überhaupt
ohne Not und Hektik über
Modelle und
Konzepte einer alternativen/Bürgerbahn im Bundesbesitz und unter den Kontrolle der
Beschäftigten diskutiert werden. Außer den Renditeinteressen künftiger Aktionäre gibt
es keinen wirtschaftlichen, rechtlichen oder politischen Sachzwang für eine
Bundestagsentscheidung pro Privatisierung. Im Gegenteil: In Großbritannien, Estland und
Argentinien hat sich die Privatisierung als Fehlschlag erwiesen und steht jetzt die
Wiederverstaatlichung auf der Tagesordnung. Da ist es umso fahrlässiger, hierzulande die
gleichen grundlegenden Fehler zu wiederholen, obwohl es genügend abschreckende Beispiele
gibt. Noch gehört die Bahn uns allen. Warum sollten wir da überhaupt eine Aktie an irgend eine Privatperson verkaufen? Jeder
Versuch, an dem von der Bundesregierung verabschiedeten Gesetzentwurf für eine
Privatisierung herumzudoktern, kann nur zu einer Verschlimmbesserung führen. Beherzigen
wir den Rat britischer Gewerkschaften: Keine einzige Bahnaktie, kein einziger Betriebsteil
darf in private Hände gelangen. |