Eisenbahner in der SPD:
Viel Wirbel um Initiativantrag gegen Börsengang
Bericht von der Bundeskonferenz sozialdemokratischer Eisenbahnerinnen und Eisenbahner am 20. September 2003 in Köln

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Delegierte von SPD-Betriebsgruppen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) kommen in regelmäßigen Abständen zu einer Bundeskonferenz zusammen. In den letzten  Jahren sind solche Treffen immer kleiner und immer beschaulicher geworden. Nachdem vor zwei Jahren etwa der damalige Verkehrsminister Kurt Bodewig ein Referat gehalten hatte, meldete sich damals niemand zum Tagesordnungspunkt „Aussprache“. 

Solches Schweigen darf aber nicht unbedingt als Zeichen großer Zufriedenheit mit der Verkehrs-, Bahn- und Sozialpolitik der Regierung Schröder gewertet werden. Denn statt eines Aufbegehrens fand eine „Abstimmung mit den Füßen“ statt. Während in guten Zeiten über 200 Delegierte zu solchen Konferenzen erschienen waren, waren diesmal nur noch 85 von 113 gemeldeten Delegierten angereist. Doch einige unter ihnen waren fest entschlossen, endlich einmal brennende Probleme der Eisenbahner(innen) zur Sprache zu bringen.

Schon am Vormittag wurde mit einer Tradition gebrochen: Das Referat des Staatssekretärs im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Ralf Nagel, löste eine lebendige und auch kontroverse Diskussion aus.

Nagel lobte die gestaltende Rolle der Gewerkschaften im Prozess der Privatisierung und Öffnung des Schienenverkehrs. Die Frage des Börsengangs bezeichnete er als eine qualitative Frage, wobei die Entscheidung vom Anteilseigner getroffen werde. Auf jeden Fall müsse die Kapitalmarktfähigkeit erreicht werden. Privatisierung müsse auch eine klare Perspektive für die Beschäftigten bringen. Die Erfahrung anderer Börsengänge, wie etwa in Großbritannien, müsse zum Zwecke der Fehlervermeidung analysiert werden.

Eine Trennung von Netz und Betrieb sei ganz klar in der Task Force „Zukunft Schiene“ ausgeschlossen worden, und dabei bleibe es auch. Dieses Fass dürfe nicht wieder aufgemacht werden.

Auf die aktuelle Frage des Lkw-Maut-Systems eingehend, stellte Nagel fest, dass sich die Einführung des Systems problematisch gestalte. Es könne derzeit nicht gesagt werden, wie lange es noch dauern wird.

Unter den Delegierten entzündete sich eine lebhafte Diskussion. Viele machten auf die Situation der Bahn-Beschäftigten aufmerksam und nannten erschreckende Beispiele aus der Praxis. Einige wiesen darauf hin, dass die Privatisierung der DB und DR zur Atomisierung der Bahn geführt hat. Bei ca. 200 Tochtergesellschaften der DB entstand ein riesiger Wasserkopf. Die neue „Religion“ heisst: Wettbewerb. Wie das Beispiel der FLEX AG aber zeigt, ist nicht alles Gold was glänzt. Die Daseinsfürsorge des Staates in puncto Mobilität wird bei einem Global Player keine Rolle mehr spielen, wurde gesagt.

Eines zeigte sich ganz deutlich: Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind von der SPD schwer enttäuscht. „Sozialreform“ stellt sich immer mehr als Sozialdeform heraus. Der Mitgliederverlust der SPD ist enorm. Ein Delegierter berichtete, dass in NRW die Anzahl der CDU-Mitglieder erstmalig die der SPD-Mitglieder im Lande überschritten hat.

Antragsberatung

Bei der Antragsberatung waren die meisten Anträge unumstritten und wurden demenstprechend einstimmig angenommen:
Kein weiterer Abbau von Bahn-Arbeitsplätzen!
Solidarität mit protestierenden Kolleginnen und Kollegen gegen Werkschliessungen
Überleitung bei der Bahn zugewiesener Beamter in Eisenbahnverkehrsunternehmen
Das Gerechtigkeitsdefizit der Altersversorgung bei der Deutschen Bahn AG endlich beseitigen!
Beamtenbesoldung
Mitbestimmungsgesetz
Mitbestimmung der Arbeitnehmer
Wahrung der Arbeitnehmerrechte
Agenda 2010
Gegen die Verzagtheit bei der Reform der Vermögens- und Erbschaftssteuer

Wann endet die Rentendiskussion
Entfernungspauschale (Km-Begrenzung)
Umlagefinanzierung

Richtig kontrovers wurde es aber, als der nachfolgende Initiativantrag zur Beratung anstand, der immerhin von 34 der 85 Delegierten unterschrieben worden war:


Initiativantrag:

Nein zum Ausverkauf der Deutschen Bahn!
Nein zu Privatisierung und Börsengang!

 1.     Diese Konferenz nimmt mit Sorge jüngste Meldungen über einen anstehenden Verkauf von Teilbereichen der DB, einen möglichen Börsengang und die Vollendung der 1994 eingeleiteten Privatisierung der DB AG zur Kenntnis.

2.       Wir sagen Nein zu jeglicher Form von Börsengang, Ausverkauf und Privatisierung und unterstützen die in einer Resolution einstimmig beschlossene Forderung des letzten Transnet-Gewerkschaftstags in Magdeburg im November 2000:
Für die Erhaltung einer einheitlichen, flächendeckenden und bundeseigenen Bahn im Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden. Kein Börsengang! Kein Ausverkauf - weder an ausländische noch an inländische Kapitalgruppen!“

3.       Wir fordern die Genossinnen und Genossen in Bundestagsfraktion und Bundesregierung auf, sämtliche Börsen- und Veräußerungspläne sofort ad acta zu legen bzw. zu entsorgen. Sollte das DB-Management demgegenüber weiterhin auf eine teilweise oder komplette Veräußerung der Deutschen Bahn bzw. einzelner Unternehmensteile pochen, so hat der Eigentümer Bund hieraus unverzüglich Konsequenzen zu ziehen und sich von diesen Herrschaften zu trennen. Es darf nicht sein, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt.

4.       Alle Umstrukturierungen, die im DB-Konzern mit dem Ziel eines Börsengangs bzw. Verkaufs vorgenommen werden, sind sofort zu stoppen bzw. rückgängig  zu machen. 

5.       Die Bundestags-Fraktion und insbesondere die Abgeordneten aus den Reihen der AfA werden  aufgefordert, entsprechend Druck auf die Bundesregierung auszuüben und sich in diesem Sinne klar zu positionieren.

6.       Der AfA-Bundesvorstand wird aufgefordert, zur Bilanzierung der bisher erfolgten Privatisierungen und ihrer Auswirkungen auf allen Ebenen eine Konferenz betroffener Betriebsgruppen aus Bahn, Post, privatisierten kommunalen Eigenbetrieben (wie etwa Stadtwerke, Nahverkehrsbetriebe. Entsorgungsbetriebe) etc. einzuberufen. Dabei sollen u.a. die zu Lasten von Arbeitnehmern und Allgemeinheit entstandenen Folgen und Strategien zur Rücknahme erfolgter Privatisierungen beraten werden.

7.       Wir solidarisieren uns mit der Forderung britischer Eisenbahngewerkschaften nach Rücknahme der Bahn-Privatisierung und Wiederverstaatlichung der Bahnen.


Dieser Initiativantrag erregte die Gemüter und löste eine engagierte Debatte aus. Die Antragsprüfungskommission stellte zunächst fest, dass der Antrag über die notwendige Anzahl von Unterstützerunterschriften verfügte (34 von 85), empfahl aber „Ablehnung“ mit der Begründung, dieses Thema sei bereits auf dem Gewerkschaftstag der Transnet im Jahre 2000  als Resolution abgehandelt worden war (!!!).

Nicht nur die Antragsteller aus Hessen zeigten sich über diese Empfehlung sehr verwundert, da es sich hier um die Bundeskonferenz sozialdemokratischer Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in der SPD und nicht der Gewerkschaft Transnet handelte. Es entzündete sich eine Diskussion, wobei einige wenige der Meinung waren, es könne sich hier nicht um einen Initiativantrag handeln, da das Thema „gar nicht so aktuell“ wäre. Ein Kollege hielt aber als Gegenargument die aktuelle Septemberausgabe der Transnet-Zeitschrift „Inform“ in die Luft, in der genau dieses hochaktuelle Thema behandelt ist.

Die meisten waren sich einig, dass das Thema Börsengang und Privatisierung der Bahn  behandelt werden müsse. Heinz Fuhrmann, stellvertretender Bundesvorsitzender der GDBA und einer der Gegner dieses Antrags, behauptete, seine Gewerkschaft habe sich noch nicht konkret zum Thema „Börsenbahn“ positioniert.

Ein Vorschlag des zentralen Betriebsgruppenausschusses war, den Initiativantrag an den Vorstand zu überweisen mit der Massgabe, dass dieser dafür sorgt, dass ausgiebige Diskussionsveranstaltungen aller Betriebsgruppen zu dem Thema Börsengang und Privatisierung organisiert werden.

Die Antragstellerin kritisierte diese Vorgehensweise als „Begräbnis erster Klasse“, das keineswegs einen Beschluss nach eingehender Diskussion dieses vitalen Themas ersetzen könne.

Fazit: Die anwesenden Vertreter der hauptamtlichen Gewerkschaftsvorstände und des SPD-Parteiapparats wehrten sich mit "Händen und Füßen" gegen eine so unmißverständliche politische Positionierung und sofortige Beschlußfassung und schafften es mit Müh und Not, in einem "Begräbnis erster Klasse" das Thema an den Zentralausschuß zu überweisen. Dieser wurde allerdings verpflichtet, umgehend regionale Veranstaltungen zum Thema "Börsenbahn" durchzuführen.

http://www.bahnvonunten.de

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