Bundesverkehrsminister
Wolfgang Tiefensee (SPD) ist zuversichtlich, sein Modell einer Kapitalprivatisierung der
Deutschen Bahn AG (DB) bis Jahresende unter Dach und Fach zu bringen. Auch führende
SPD-Linke setzen nun auf eine »konstruktive Mitwirkung« an der Privatisierung.
Am Montag überraschte die
hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti mit ihrem Vorstoß für eine
»alternative« und »innovative« Form der Bahnprivatisierung durch Volks- oder
Bürger-aktien. Mit solchen Wertpapieren, so die Sozialdemokratin, könnten Millionen
Bahnkunden bis zu 49 Prozent der Anteile am DB-Konzern in Form von stimmrechtlosen
Vorzugsaktien erwerben und damit einer Übernahme durch strategische Investoren einen
Riegel vorschieben. Für den Weiterverkauf einer Aktie sei die Zustimmung durch den
Bahn-Vorstand erforderlich. Außerdem könnte so auch für Eisenbahner ein Stück
»Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand« verwirklicht werden.
Das von Ypsilanti in einem Gespräch mit Privatisierungsgegnern verkündete Modell trägt
die Handschrift des SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer, der sich als Mitverfasser
eines Memorandums gegen die DB-Privatisierung einen Namen gemacht und sich dafür den
Unmut der Partei- sowie Fraktionsspitzen zugezogen hat. In dem Papier stellte Scheer
gemeinsam mit dem Konstanzer Abgeordneten Peter Friedrich fest: »Für die notwendigen
Investitionsmittel ist eine Privatisierung nicht erforderlich.« Scheers mutiges Auftreten
hatte die SPD-Basis in den letzten Wochen zu einer Reihe von Beschlüssen regionaler
Gliederungen gegen einen Börsengang motiviert. In den Bereich des Möglichen rückte ein
Anti-Privatisierungs-Beschluss beim Hamburger Bundesparteitag Ende Oktober. Die Folge
wäre die Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens.
Doch mittlerweile schlägt Scheer moderatere Töne an und preist sein Volksaktienmodell
als »weitestgehend kompatibel« mit dem vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf eines
Privatisierungsgesetzes. Beobachter meinen, diese Mäßigung könnte damit
zusammenhängen, dass Scheer nach einem Sieg der hessischen SPD bei den Landtagswahlen
Ende Januar 2008 Wirtschafts- und Umweltminister in einem Kabinett Ypsilanti werden
möchte. Eine Konfrontation mit dem SPD-Establishment über das größte
Privatisierungsprojekt der deutschen Geschichte auf dem Hamburger Parteitag und mitten im
Hessen-Wahlkampf käme da ungelegen.
Die Signale von Ypsilanti und Scheer kamen auch beim Bundesverkehrsminister an, der nach
dem Kabinettsbeschluss am Dienstag erklärte, eine Volksaktie sei im Rahmen des
Privatisierungsverfahrens »durchaus möglich«. Allerdings strebt Tiefensee im
Schulterschluss mit maßgeblichen Unions-Verkehrspolitikern keine breit gestreute
Bahn-Aktie, sondern den Einstieg milliardenschwerer »strategischer Partner« an.
Als Alternative zum Verkauf von Aktien hatte Scheer bislang die Idee einer Anleihe
propagiert, mit der vor allem Bahnkunden zu festen Zinssätzen der DB ihr Erspartes für
einen begrenzten Zeitraum und mit Anreizen wie einer verbilligten BahnCard zur Verfügung
stellen könnten. Die Bahnanleihe wird auch von anderen Privatisierungsgegnern
befürwortet. Winfried Wolf vom Wissenschaftlichen Beirat von Attac verweist auf das
Vorbild des FC Bayern München, der »als erfolgreichster Fußballclub den Börsengang
ablehnt und sich primär über die Geldanlage seiner treuesten Fans und einer
FC-Bayern-Sparcard finanziert«.
Jetzt deutet manches darauf hin, dass Scheer die von Privatisierungsbefürwortern betonte
»Notwendigkeit« der Aufnahme privaten Eigenkapitals akzeptiert hat. Und dies, obwohl
sich die Staatseinnahmen in letzter Zeit verbessert haben und nach Expertenschätzung
ohnehin nur einige wenige Milliarden Euro Verkaufserlös bei einem Börsengang zu erwarten
sind. Minister Tiefensee und DB-Chef Mehdorn begründen den Einstieg privater Investoren
damit, dass die Bahn als Global Player europa- und weltweit Bahnen und Logistikunternehmen
aufkaufen müsse.
aus: www.nd-online.de - 26.07.07