Interview mit Alfred Lange, Betriebsratsvorsitzender der Niederlassung Frankfurt (Main) der DB-Güterverkehrssparte DB Schenker Rail und Mitbegründer der Initiative Bahn von unten. Er war Delegierter beim Gründungskongress der neuen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG.
Die Fusion der DGB-Bahngewerkschaft TRANSNET mit der Verkehrsgewerkschaft GDBA zur neuen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im DGB ist historisch. Denn erstmals schließt sich eine Organisation aus dem Deutschen Beamtenbund (DBB) dem DGB an. Wie bewerten Sie das?
Prinzipiell positiv. Die Fusion ist sinnvoll und richtig. Statt drei Bahngewerkschaften gibt es nur noch zwei. Noch lieber wäre mir gewesen, wenn sich auch die GDL als die dritte Gewerkschaft der Fusion angeschlossen hätte.
Aber was bedeutet die Zugehörigkeit zum DGB in der Praxis?
Ein Bekenntnis zur Einheitsgewerkschaft, auch wenn es für den einen oder anderen ein altmodisches Wort ist. Das wird heute wieder wichtiger denn je. Wenn es immer mehr berufsständische Organisationen gibt, freut sich darüber vielleicht die FDP. Damit kann ich mich nicht anfreunden, denn es wäre ein Rückfall in die Weimarer Republik.
Nun hält sich aber die GDL demonstrativ von der Vereinigung und vom DGB fern.
Das reißt für mich keine neuen Zäune um, weil die GDL in letzten drei oder vier Jahren extrem als Standesorganisation aufgetreten ist. Ich sehe in naher Zukunft keine Chancen dafür, dass wir nur noch eine Bahngewerkschaft haben, obwohl es für mich nach wie vor ein Fernziel bleibt.
In linken Kreisen gilt die GDL als kämpferische Organisation, die aller Welt zeigt, wo der Hammer hängt.
Nicht alles, wo links drauf steht, ist auch wirklich links. Wer sich mit der Geschichte befasst, wird sehen, dass die GDL mit linke Positionen und Traditionen nichts am Hut hat und ein Teil ihrer Führung in den 1930ern eine besondere Nähe zu den Nazis und zum Naziregime hatte. Auch ihre Tarifabschlüsse sind nicht links. Selbst der „Lokführerstreik“ 2007 hat den GDL-Mitgliedern durch die Bank Nachteile gebracht. Man hat sich das Jahreseinkommen auf das Monatsentgelt schön gerechnet und jetzt unterm Strich gleich viel oder teilweise weniger in der Tasche. Zwischenzeitlich hat die GDL neue Kompromisse vereinbart. Rückschritte hat kürzlich auch der Flexi-Tarifvertrag (Flexi-LfTV) der GDL gebracht.
Was beinhaltet dieser Vertrag genau?
Es ist ein zunächst begrenztes Pilotprojekt für den Einsatz von Lokführern im Güterverkehr. Das bringt längere Schichten, Rufbereitschaftsdienste, mehr Nachtdienste in Folge, mehrere Einsatzorte innerhalb eines Radius von 50 km, unbezahlte Pausen auch auf der Lok und die Verpflichtung zur ständigen telefonischen Erreichbarkeit. Der Arbeitgeber soll künftig eine Schicht ohne Zustimmung des Betriebsrats um bis zu zwei Stunden verlängern, verkürzen oder verschieben können. Für die Betroffenen kann dies deutlich längere Arbeitswege bedeuten. Damit wird die für Schichtarbeiter ohnehin schwierige Freizeitgestaltung mit Familie und Freundeskreis noch chaotischer. Und alles nur für ein paar Silberlinge. So viel Flexibilität wird DB Schenker gerne aufgreifen und ausweiten.
Zurück zur aktuellen Fusion. Ein Jahr lang, so hieß es, konnten die Mitglieder demokratisch diskutieren.
Man konnte sich schon einbringen, wenn man ein Funktionsträger, etwa Bezirksvorstandsmitglied oder örtlicher Bevollmächtigter ist. Dieser Kreis war immer eingeladen. Dass daraus Änderungen an den Entwürfen einer Satzung und der gewerkschaftspolitischen Zielsetzungen entstanden wären, kann ich aus der praktischen Erfahrung heraus nicht bestätigen. Änderungsvorschläge wurden abgetan und haben keinen Eingang in den Satzungsentwurf gefunden.
Welches Beispiel gibt es hierfür?
Laut Satzung sollen sich aktive Mitglieder in Betriebsgruppen organisieren. Manche Mitglieder sind jedoch wegen der Postleitzahl ihres Wohnorts in einem anderen Ortsverband integriert, der keinen Bezug zum Standort der Betriebsgruppe hat.
Nach der jetzt beschlossenen Satzung bestünde für sie nicht mehr die Möglichkeit, betriebsübergreifend mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben zusammen zu kommen. Ebenfalls nicht vorgesehen sind Betriebskonferenzen auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene. Das ist ein fataler Fehler, wenn der Schwerpunkt auf der betrieblichen Ebene liegen soll. Fortschrittliche Ansätze wurden nicht aufgegriffen.
Was für sonstige fortschrittliche Ideen fehlen in der Satzung?
Das fängt an beim Thema politischer Streik, der da wieder ausgeklammert wurde. Das erinnert mich an das Lenin-Zitat, wonach die Deutschen bei einer Revolution zuerst die Bahnsteigkarte kaufen. Man hat immer noch nicht verinnerlicht, dass es auch gesamtgesellschaftlich eine Frage der Macht ist.
TRANSNET hatte das Trauma mit Norbert Hansen zu verarbeiten, der 2008 DB-Personalvorstand wurde. Jetzt besteht die Chance, aus Fehlern zu lernen und den Neuanfang zu wagen. Wird dies auch gemacht?
Äußerst bedingt. Ich glaube nicht daran, dass das Trauma Hansen endgültig überwunden ist. Das mag bei dem einen oder anderen Funktionär so sein, ist aber bei anderen noch lange nicht so. Etliche sind noch Hansen oder seinen Eigenschaften verhaftet. Eine solche geschichtliche Epoche wie unter Hansen ad acta zu legen, das wird noch ein schwieriger Prozess werden.
Muss sich die Schlagkraft der neuen Organisation nicht auch an ihrem Ansatz etwa zu den Problemen im Güterverkehr oder zum Börsengang beweisen, der nach wie vor nicht zu den Akten gelegt ist?
Wenn zwei sich zusammen tun, müsste man davon ausgehen, dass sie stärker sind. Ob dadurch eine andere Politik zustande kommt, ist nicht automatisch sicher. In den Köpfen muss die Fusion und Änderung stattfinden, etwa durch eine andere politische Haltung zur Privatisierung und zum Börsengang oder zu anderen konkreten Fragen wie Stuttgart 21.
Sie vermissen also auch eine klare Positionierung gegen Stuttgart 21?
Ich vermisse nicht nur eine Positionierung. Davor wäre noch eine offene Diskussion innerhalb der Gewerkschaft zu diesem Thema nötig gewesen. Die hat es bisher nicht gegeben. Vielleicht mag es die im Raum Stuttgart gegeben haben. Aber bei der Bedeutung und den Summen, um die es da geht, ist das nicht nur ein Thema für die TRANSNET-Ortsverwaltung in Stuttgart.
Manchmal drängt sich der Eindruck auf, einige aus der Gewerkschaft haben im Aufsichtsrat der Bahn schon vor Jahren für Stuttgart 21 gestimmt und möchten nicht daran erinnert werden.
Das kann ich nicht ausschließen. Aber ich denke, es hat noch nie eine so gute Gelegenheit gegeben, zeitlich und inhaltlich Überholtes über Bord zu werfen. Was wäre denn dabei zu sagen, ich habe mich mit meiner damaligen Einschätzung vertan und die Einschätzung von damals trifft heute nicht mehr zu? Das wäre doch ein Zeichen von Stärke, neue Positionen zu finden und falsche Position zu korrigieren.
Auf einem früheren Gewerkschaftstag haben Sie einmal bemängelt, die gewerkschaftliche Position zur Privatisierung sei „weder Fisch noch Fleisch“.
Im Moment sagt man uns, das stehe nicht auf der Tagesordnung und daher sei keine Diskussion nötig. Aber alle wirtschaftlichen Entscheidungen im Unternehmen sind nach wie vor am Börsengang ausgerichtet. Selbst wenn der Börsengang ioffiziell derzeit nicht mehr das Thema Nr. 1 ist.
Ist das auch als Aufforderung zu werten, in den Gremien am Thema dran zu bleiben?
Ja. Die Situation wird irgendwann wieder akut. Sollen wir dann wieder resigniert sagen, eigentlich kommen wir jetzt zu spät, können nichts mehr tun und müssen das Beste daraus machen? Je früher man die Weichen stellt, desto besser kommt man zum Ziel.
Noch ein Wort zum jüngsten „Winterchaos“ bei der Bahn. Inwieweit haben dieser Störungen mit dem geplanten Börsengang zu tun?
Pauschal kann man sagen: Es gibt zu wenig Personal und zu wenig Material. Durch die strikte Aufteilung in Geschäftsbereiche gibt es kein übergreifendes Handeln mehr. So können etwa Rangierer oder Instandhaltungspersonal nicht kurzfristig zum Weichenreinigen bei DB Netz eingesetzt werden. Ein weiteres Problem ist die verstärkte Zentralisierung. Ein Fahrdienstleiter (Fdl), der eine ganze Strecke steuert, hat keinen Blickkontakt über die Schneeentwicklung im Weichenbereich. Entscheidungen werden am grünen Tisch fernab getroffen. Dringend benötigtes Personal ist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Es zeigt sich, dass die Übertragung von Aufgaben an Sub-Sub-Subunternehmen dem Chaos natürlich nicht gerecht wird. Hinzu kommt eine mangelhafte Einweisung, wobei etwa Fremdfirmen mit dem „Räumen von Weichen“ beauftragt werden und dann nur die Schwellen und nicht die Weichenteile freigeräumt werden. Oder noch schlimmer: Wie kurz vor Weihnachten in Köln kann es zu tödlichen Unfällen kommen. Technische Einrichtungen wie Weichenheizungen wurden jahrelang aus Kostengründen ausgebaut.
Es gibt keine Reserven bei Loks und Wagen. Hinzu kommen technische Probleme etwa mit Achsen. Neue Lokbaureihen fallen wegen „Flugschnee“ aus.