Für eine moderne und integrierte Eisenbahn in öffentlicher Hand und unter demokratischer Kontrolle

Schluss mit Zerschlagung und Privatisierung – für eine moderne und integrierte Eisenbahn in öffentlicher Hand und unter demokratischer Kontrolle

Fast zwei Jahrzehnte sind vergangen, seitdem uns die Urheber und Betreiber der Bahnreform das Blaue vom Himmel und ein neues goldenes Eisenbahnzeitalter versprochen haben. Doch die Bilanz ist ernüchternd. Unterm Strich stagniert der Anteil der Eisenbahn am gesamten Verkehrsaufkommen, die einstigen Verlagerungsziele wurden weitgehend verfehlt. Die von der EU-Kommission initiierte und vom EU-Parlament beschlossene Richtlinie sieht eine weitere Liberalisierung des Eisenbahnsektors, mehr Ausgliederungen vor und bereitet eine faktische Zerschlagung bestehender integrierter Eisenbahngesellschaften vor.

Woran kranken das Eisenbahnwesen und die Verkehrspolitik?

Als Eisenbahnerinnen und Eisenbahner mit teils langer Berufserfahrung beobachten wir seit vielen Jahren bei Politik und großen Teilen des Bahnmanagements immer wieder ein grundlegendes Unverständnis bzw. eine permanente Missachtung der Eisenbahn als ein eng vernetztes System, das nur dann optimal funktioniert, wenn ein reibungsloses Zusammenwirken aller seiner Komponenten sichergestellt wird. Die politisch-ideologisch gewollte Zerschlagung in unabhängig voneinander operierende und nur noch eigene Ziele verfolgende Gesellschaften schadet aber dem Gesamtsystem.

Seit Beginn der „Bahnreform“ wurden betriebswirtschaftlich-kaufmännische sowie juristische Funktionen und Denkweisen überbetont und haben einst vorhandenes eisenbahnspezifisches Fachwissen an vielen Stellen verdrängt. Daneben scheinen externe und fachlich oftmals unkundige Berater einen höheren Stellenwert als erfahrene Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zu genießen. Pflege und Ausbau des unabdingbar notwendigen eisenbahnbetrieblichen und -technischen Know-hows wurden in erheblichem Maße vernachlässigt.

Zudem wurde die Eisenbahn mit der in den 1990er Jahren eingeleiteten Liberalisierung einem exzessiven und auf Dauer zerstörerischen Wettbewerb auf der Schiene ausgesetzt. Dieser Wettbewerb, der nachweislich zu Lasten der Beschäftigten, der Qualität und der Sicherheit ausgetragen wird und das Sozial- und Umweltdumping verschärft, wird jedoch kaum kritisch hinterfragt. Das würde ja auch schlecht in das Weltbild der vorherrschenden und leider von fast allen Medien kritiklos nachgebeteten marktradikalen Ideologie passen, für die das Allzweckmittel „Wettbewerb“ auch im Eisenbahnverkehr eine Art absolut und immer geltendes religiöses Bekenntnis zu sein scheint. Dass die Eisenbahn bereits einem scharfen Wettbewerb durch den Straßen- und Luftverkehr ausgesetzt ist und man abseits aller Wettbewerbsmanie auch einmal darüber nachdenken müsste, was das System Eisenbahn insgesamt voranbringen könnte, geht dabei offenbar völlig unter.

Negative Medienberichte über unzureichende Leistungen schaden dem Ansehen der Eisenbahn und ihrer Mitarbeiter in hohem Maße und machen uns betroffen. Die genannten Probleme können aber am allerwenigsten den Beschäftigten angelastet werden. Vielmehr sind sie zu einem großen Teil durch die herrschende Wettbewerbs-, Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik verschuldet. Wenn die Eisenbahn auf maximale Rendite und Börsenfähigkeit getrimmt, in unzählige Gesellschaften und Zuständigkeiten zersplittert wird, und wenn immer mehr Aufgaben an Fremdfirmen gehen, braucht man sich letztlich auch über solche Erscheinungen wie das vergangene Winterchaos nicht mehr zu wundern. Und als ob die Verantwortlichen keine Lehren aus den negativen Erfahrungen mit Privatisierung und Zerschlagung der Eisenbahn in Großbritannien und den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise gezogen hätten, soll dieser fatale Irrweg offenbar weiter fortgesetzt werden. Dabei ist eine kritische Bestandsaufnahme der Auswirkungen aller seit der „Bahnreform“ von 1994 vorgenommenen Veränderungen, Umstrukturierungen und Zerschlagungen längst überfällig. Der Bundestagsbeschluss vom Mai 2008 zur Teilprivatisierung der DB ML AG wurde jedoch bisher nicht aufgehoben und dient weiterhin als Handlungsauftrag an den DB-Vorstand!

Zunehmende Anforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes, ein weiterhin steigendes Verkehrsaufkommen und drohende Engpässe in der Infrastruktur lassen einen umfassenden Ausbau des Systems Schiene immer dringlicher werden. Doch die herrschende Verkehrspolitik erfüllt nicht ihre diesbezüglichen Aufgaben. Im Gegenteil: Die Regionalisierungsmittel für den ÖPNV wurden gekürzt, und die knappen Haushaltsmittel für den Bundesschienenwegebau fließen vorrangig in kostenintensive und eher prestigeträchtige Vorhaben mit oft fraglichem Effekt. Es herrschen Flickwerk und Durchwurstelei, wo eigentlich ganzheitliche, langfristige und nachhaltig wirkende Verkehrskonzepte gefragt wären.

Was muss geschehen? Eckpunkte für einen Kurswechsel

  • Sämtliche Aktivitäten, Planspiele und Diskussionen um Börsengang, Privatisierung, Zerschlagung und (Teil-)Verkauf der Deutschen Bahn AG oder einzelner Töchter müssen endgültig und dauerhaft beendet werden. Der Bundestagsbeschluss vom Mai 2008 zur Teilprivatisierung der DB ML AG muss zurückgenommen werden.
  • Der permanente leistungshemmende Abbau von Ressourcen (vor allem im Anlagen- und Personalbereich) sowie von Kapazitätsreserven ist zu stoppen bzw., wo erforderlich, rückgängig zu machen.
  • Die grundlegenden Fehler der „Bahnreform“ von 1994, vor allem die Überführung der Deutschen Bahnen in die Rechtsform der privaten Aktiengesellschaft, müssen korrigiert werden. Die Eisenbahn soll der Allgemeinheit dienen. Sie eignet sich nicht als Anlage- und Renditeobjekt. Daher muss sie in eine öffentliche Rechtsform zurückgeführt werden, die eine Zerschlagung und Privatisierung ausschließt. Organisation und Verwaltung des Systems Eisenbahn müssen so erfolgen, dass es bestmöglich, effizient und kundenorientiert sowohl nach außen als auch in seinen inneren Strukturen und Abläufen funktionieren kann.
  • Hohe Qualität, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Eisenbahn müssen zügig (wieder-)hergestellt und dauerhaft gesichert werden. Die Entwicklungen im Bereich der Anlagen- und Fahrzeugtechnik sind konsequent an der funktionalen Einheit des Rad-Schiene-Systems zu orientieren, müssen Anforderungen hinsichtlich hoher Robustheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit im Alltagsbetrieb erfüllen sowie vor dem Betriebseinsatz ausreichend lange erprobt werden.
  • Das im DB-Konzern noch vorhandene eisenbahnbezogene, insbesondere das ingenieurtechnische und betriebliche Fachwissen ist unbedingt zu sichern und durch geeignete Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen mit engem Bezug zur Bahnpraxis wieder umfassend auszubauen. Andere Bahnen ??? Ältere und langjährig berufserfahrene Fachkräfte sind nicht, wie die Praxis leider oft genug zeigt, aus dem DB-Konzern zu drängen, sondern als wertvolle Know-how-Träger für den personellen Nachwuchs zu fördern und im Unternehmen zu halten. Es ist darüber hinaus auch nicht hinnehmbar, dass viele Kolleginnen und Kollegen immer höherer beruflicher Belastung ausgesetzt werden, während andere darunter leiden, nicht mehr gebraucht zu werden. Die in der DB Jobservice GmbH befindlichen MitarbeiterInnen müssen wieder in ihre Führungsgesellschaften zurückgeführt bzw. optimal dort integriert werden.
  • Anstelle rein karriereorientierter Manager und fachfremder „Seiteneinsteiger“ braucht die Eisenbahn praxiserfahrene Führungskräfte, für die nicht der Drang nach Rendite, Boni und Tantiemen, sondern das Wohl des gesamten Unternehmens und seiner Beschäftigten – dem „wertvollsten Kapital“ – im Vordergrund steht. Untrennbar damit muss eine Unternehmenskultur verbunden sein, die nicht auf Unterwürfigkeits- und Obrigkeitsdenken, sondern auf einen partnerschaftlichen und konstruktiv-kritischen Dialog zwischen Mitarbeiter- und Führungsebene setzt.
  • Statt Konzentration auf Milliarden verschlingende Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 oder NBS Nürnberg-Erfurt wird auch für Deutschland ein zukunftsweisendes und bundesweites Gesamtkonzept für den Schienenpersonen- und Schienengüterverkehr benötigt, wie es im Nachbarland Schweiz in vorbildlicher Weise entwickelt wurde. Die Finanzmittel für den Netzausbau müssen unbedingt aufgestockt werden und sollten sich strikt am Infrastrukturbedarf für ein solches Gesamtkonzept und nicht an politischen und wirtschaftlichen Einzelinteressen orientieren. Die Schiene muss Rückgrat eines attraktiven öffentlichen Verkehrssystems werden, das künftigen Anforderungen von Umwelt-, Energie- und Raumordnungspolitik optimal gerecht werden kann.
  • Die systematische Benachteiligung der Eisenbahn gegenüber konkurrierenden Verkehrsträgern muss gestoppt, die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen müssen beseitigt werden. Anstatt mit einem liberalisierten Buslinienfernverkehr und Riesen-LKW’s („Gigaliner“) neue und volkswirtschaftlich unsinnige Parallelkonkurrenz zur Schiene zu erzeugen, sollte die Verkehrspolitik vielmehr den erforderlichen Rahmen dafür schaffen, dass Bahn und Bus bzw. Straße und Schiene in einem integrierten und flächendeckenden öffentlichen Verkehrsangebot sinnvoll untereinander verknüpft werden können. Statt Abführung von Dividenden sollten die verfügbaren Erträge vor allem zur Qualitäts- und Kapazitätsverbesserung im Fahrzeug- und Infrastrukturbereich eingesetzt werden.
  • Wir lehnen einen Wettbewerb auf der Schiene ab, der das System Bahn immer weiter zerstückelt, insgesamt schwerfälliger und damit letztlich auch teurer macht. Dieser Wettbewerb erinnert in Teilen zudem an einen Rückfall in die Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts und spielt sich oft genug nur im Bereich der Lohnkosten und damit auf dem Rücken der Beschäftigten ab. Daneben führt er zu einer Aufblähung von Behörden- und juristischen Strukturen sowie eher hemmenden Regularien und setzt die Eisenbahnen einem unsinnigen Verdrängungskampf untereinander aus. Statt eines Verdrängungswettbewerbs zwischen den Bahnen fordern wir aber einen Wettbewerb um Ideen und Konzepte für eine „beste Eisenbahn“. Anstatt sich gegenseitig Marktanteile abzujagen, sollten die Eisenbahnen miteinander kooperieren und gemeinsame Strategien entwickeln, um sich im Wettbewerb gegenüber Auto und Flugzeug besser behaupten zu können.

Es mag sein, dass wir mit manchen Forderungen auch Kritik und Widerspruch auslösen werden. Dem stellen wir uns gerne. Denn wir wollen Veränderung. Diese kann es aber nur dann geben, wenn herrschende Dogmen, Ideologien und Strukturen nicht als der Weisheit letzter Schluss angesehen, sondern mutig in Frage gestellt werden. Bestehende Missstände müssen aufgedeckt, ihre Ursachen ausreichend ergründet und ehrlich benannt werden. Die Diskussion um einen besseren Weg ist mit allen Beteiligten offen und kritisch zu führen.

Auch wenn manches früher besser funktionierte, wollen wir keine 1:1-Rückkehr zu einer Staatsbahn alter Prägung. Wir wollen ein modernes und kundenorientiertes, effizientes und integriertes System Eisenbahn in öffentlicher Hand und unter demokratischer Kontrolle, das dem künftigen Verkehrsbedarf und ökologischen Herausforderungen langfristig gerecht werden kann. Und: nur eine bürgernahe und gesellschaftlich breit akzeptierte Eisenbahn kann gleichzeitig auch eine sympathische Eisenbahn sein.

www.bahnvonunten.de, info@bahnvonunten.de

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