Europas Bahngewerkschaften lehnen weitere Privatisierungen im Eisenbahnbereich überwiegend ab. Das wurde bei einer Anhörung Anfang April 2003 im Europäischen Parlament in Brüssel deutlich. Eingeladen dazu hatten die Abgeordneten Sabine Wils (Hamburg) und Jaromír Kohlicek (Tschechische Republik) von der Linksfraktion (GUE-NGL).
»Die Menschen in unserem Lande wollen keine Privatisierung und Liberalisierung der Eisenbahn«, erklärte der Belgier Serge Piteljon von der Europäischen Transportarbeiterförderation (ETF). Als Generalsekretär der Sektion Eisenbahn in der Gewerkschaft GGSP hatte er im vergangenen Oktober einen eintägigen landesweiten Bahnstreik gegen die Zerschlagung der belgischen Eisenbahn mit organisiert. »Europa wird gerade verscherbelt«, sagte Piteljon und kündigte weiteren Widerstand gegen Zerschlagung und Privatisierung der Bahnen an. Dies gehöre zum europaweiten Einsatz der Gewerkschaften für öffentliche Daseinsvorsorge und Gemeinwohlverpflichtung.
Prekär ist nicht sozial
»Neue prekäre Arbeitsplätze, Lohn- und Sozialdumping haben Einzug gehalten, Fahrpreise sind gestiegen, und nur rentable Strecken werden bedient«, sagte Sabine Wils. Sie bezog sich auf Erfahrungen, die bei der Zerschlagung der früheren Staatsbahn British Rail gesammelt wurden – eine Privarisierung, die den Vordenkern der EU-Kommission immer noch als Vorbild dient. Demgegenüber unterstrich Eddy Liegeois,Vertreter der EU-Kommission, das Ziel, in einem neuen Richtlinienpaket auf eine europaweite Öffnung des Inlandspersonenverkehrs zu drängen. Dieses Paket ist ein weiteres Glied in einer Kette von EU-Richtlinien, die eine vollständige Öffnung des Eisenbahnsektors und faktisch eine Zerschlagung der Strukturen traditioneller Staatsbahnen zum Ziel hat. Nur durch mehr Wettbewerb lasse sich der seit Jahren stagnierende Marktanteil des Schienenverkehrs erhöhen, meinte der Kommissionsvertreter. Weil das Rollmaterial sehr teuer und das Eisenbahngeschäft sehr kapitalintensiv sei – und daher viele Private das Risiko scheuten – sollten öffentliche Stellen und Behörden Eigentümer der Züge werden und diese dann an die bei Ausschreibungen von Verkehrsleistungen zum Zuge kommenden Privatgesellschaften vermieten, regte Liegois an.
»Trennung ist Unsinn«, warnte Sebastian Rüther von der DGB-Gewerkschaft EVG die EU-Kommission vor der Absicht, die noch bundeseigene Deutsche Bahn AG vollständig aufzuspalten. Dabei sei der Wettbewerb auf Schienen in der BRD im europäischen Vergleich sehr weit fortgeschritten. Zudem bedeute eine Liberalisierung fast immer Lohn- und Sozialdumping und schlechtere Arbeitsbedingungen. Wettbewerb bringe zudem hohe Folgekosten mit sich, denn »auch die Ausschreibebehörden kosten viele Millionen und sind oftmals für die Katz«, so Rüther.
Alfred Lange (Bahn von unten/EVG) schilderte anhand von praktischen Erfahrungen, wie der seit Jahren bestehende Wettbewerb zwischen Güterbahnen den Betriebsablauf behindere und nicht fördere. Die Orientierung der DB-Manager auf einen Börsengang habe schon vor einem Jahrzehnt zu einem Rückzug des Güterverkehrs aus der Fläche geführt.
Gewerkschafter aus Griechenland und Portugal berichteten, wie ihre Regierungen derzeit unter dem Druck der Troika (EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds und EZB) den Ausverkauf profitabler Filetstücke bei den Bahnen einleiten. »Ich verstehe nicht, wie die Vorschläge der EU-Kommission funktionieren sollen«, meint ein griechischer Lokführer. In letzter Zeit seien mehrere Strecken stillgelegt und die Halbinsel Peloponnes vom Schienenverkehr abgehängt worden. In der Krise gebe es eine steigende Nachfrage nach Bahnverkehr, immer weniger Menschen könnten sich Auto oder Flugticket leisten. Um ein landesweites Angebot zu gewährleisten, müsse der Eisenbahnverkehr aber ein öffentliches Gut bleiben, so der Gewerkschafter.
Die Liberalisierung fördere die Monopolisierung und den europaweiten Verdrängungswettbewerb zwischen traditionellen Staatsbahnen, so der frühere EU-Abgeordnete Erik Meijer (Niederlande). Um Verluste beim Marktanteil wettzumachen, setzten die Bahnen zunehmend auf die Übernahme privater Bahnen und Expansion in anderen Ländern. Während Deutsche Bahn und französische SNCF europaweit nach Vorherrschaft strebten, hätten auch Bahnen aus den Niederlanden, Dänemark oder Italien Töchter in der BRD. Dieser von der EU angestoßene Prozeß schaffe neue Monopole ohne demokratische Kontrolle und zerstöre die dringend notwendige und bislang gut funktionierende grenzüberschreitende Kooperation der Bahnen, bemängelte Meijer. Als Abgeordneter habe er sich erfolgreich dafür eingesetzt, daß Kommunen auf Wunsch auch ohne Ausschreibezwang eigene Verkehrsbetriebe mit Nahverkehrsleistungen beauftragen könnten.
»Marktchaos« in Schweden
»Was die EU-Kommission europaweit durchsetzen will, ist bei uns schon Wirklichkeit«, erklärte der schwedische Journalist Mikael Nyberg. »Studiert das schwedische Marktchaos, es war ein Fehlschlag.« Nyberg ist Autor des Buchs »Der große Zugraub« (Det stora tågrånet) und kommt darin zu dem Schluß, daß durch die 1988 von einer sozialdemokratischen Regierung eingeleitete komplette Trennung von Infrastruktur und Transportgesellschaften der Kostendruck bei Ausschreibungen und das private Gewinnstreben den Schienenverkehr massiv behindert hätten. Zugverspätungen, Pannen, Winterchaos, weniger Sicherheit und Qualität sowie schlechtere Arbeitsbedingungen seien die Folge. Zudem gebe es im Eisenbahnbereich jetzt nicht weniger, sondern mehr Bürokratie. Faktisch stehe Europas Eisenbahnsektor vor der Wahl zwischen privaten, profitorientierten Monopolen und einem öffentlichen, aber demokratisch kontrollierten Monopol. Europas Bahnen benötigten aber maximale Kooperation statt Konkurrenzkampf, so Nyberg.
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