Grubes Abtritt – Chance für einen radikalen Neustart

Stell dir vor, der Bahnchef haut ab und kein Eisenbahner merkt etwas: Trotz der Fahnenflucht von Konzernchef Rüdiger Grube und der subsequenten Führungskrise im Bahntower rollen die Züge weiter. Während die »Häuptlinge« ratlos sind, gehen die »Indianer« im Betriebsdienst ihrer Arbeit nach. Ein Hinweis darauf, dass es letztlich nicht auf abgehobene Manager mit Millionengehältern ankommt, sondern auf Sachverstand, Flexibilität, Erfahrung und Engagement der Fachleute an der Basis.

Grubes Abtritt und das Vakuum an der Konzernspitze bieten darüber hinaus die Chance eines Bruches mit der Vergangenheit, zu einem echten Neuanfang. Nicht die Frage nach dem neuen Kopf sollte im Mittelpunkt stehen, sondern eine schonungslose Bilanzierung des Zustands von Bahn und Verkehrspolitik. 23 Jahre Bahnreform, Liberalisierung, Privatisierung, Filetierung und Rosinenpickerei haben tiefe Spuren hinterlassen. Vollmundige Versprechen gingen nicht auf. Der Anteil der Schiene am gesamten Verkehrsaufkommen stagniert.

Grube stand für Renditestreben und einen angestrebten Börsengang. Das Gemeinwohl kam unter die Räder, die Infrastruktur leidet unter einem Investitionsstau. Grube stand für überflüssige Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 und für einen »Weltkonzern« DB, der sich bei seinen Einkaufstouren mehr und mehr vom Kerngeschäft des einheimischen Schienenverkehrs verabschiedet. Er stand für den anhaltenden Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen und den Rückzug der Güterbahn DB Cargo aus der Fläche. Die Wut der Beschäftigten steigt.

Grubes Abtritt könnte so die Stunde für einen Schulterschluss der Gewerkschaften und Betriebsräte sein, um gerade im Wahljahr 2017 einen Kurswechsel im Interesse von Beschäftigten, Kunden, Flächenbahn, Gemeinwohl und Umwelt einzufordern. Schließlich gehört die DB noch zu 100 Prozent dem Bund. Doch die DGB-Gewerkschaft EVG geht schweigend auf Tauchstation. Die Lokführergewerkschaft GDL bringt währenddessen einen alten Ladenhüter ins Gespräch: die Abtrennung der Infrastrukturunternehmen vom DB-Konzern. Damit verfolgt sie das britische Modell der Bahnprivatisierung: Infrastruktur in öffentlicher Trägerschaft, der Rest privat. Britische Gewerkschaften und die Bevölkerung sehen das anders und fordern nach leidvollen Erfahrungen die Wiederverstaatlichung und eine Zusammenführung des fragmentierten Eisenbahnwesens.

Statt abgehobener Juristen, Betriebswirte, Luftfahrt- und Automanager braucht die DB wieder Eisenbahnfachleute an ihrer Spitze. Infrastruktur und Betrieb gehören zusammen, in öffentliche Hand und unter demokratische, transparente Kontrolle. Statt Profitorientierung und Verdrängungswettbewerb brauchen wir die Vereinigten Staatsbahnen von Europa.

Hans-Gerd Öfinger

Erstveröffentlichung

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