Der ganz alltägliche
Privatisierungswahnsinn:
Widerstand gegen Werksschließungen der Bahn
Zu einer eindrucksvollen
Demonstration mit kämpferischer Stimmung kamen am 19.Juli über 10.000 Eisenbahner(innen)
auf den Potsdamer Platz in Berlin (Foto). Besonders stark vertreten waren die
Belegschaften der von Schließung betroffenen Werke an acht Orten im gesamten
Bundesgebiet. Betriebsräte, Vertreter der Gewerkschaft Transnet sowie der
Landrat des Kreises Delitzsch kritisierten die Stillegungspläne von Bahnchef Mehdorn und
kündigten weiteren Widerstand an. Die Reden wurden immer wieder durch Mehdorn
raus-Rufe unterbrochen.
Die
Aktionen, mit denen die Kolleg(inn)en in diesem Sommer um ihre Arbeitsplätze kämpfen,
sind ermutigend. So demonstrierten in Opladen/Leverkusen Eisenbahner und Kollegen von
Bayer gemeinsam gegen die Schließung. In Nürnberg haben Metaller und Eisenbahner eine
Arbeiter- und Bürgerinitiative für den Erhalt von Arbeitsplätzen und Ausbildungsstellen
gegründet. In Zwickau besetzten Kolleg(inn)en vorübergehend die Gleise und stoppten
dadurch einen ICE. Seit Juli veranstalten Kolleg(innen) rund um die Uhr in Berlin eine
Mahnwache.
Der
jüngste DB-Vorstandsbeschluss ist nur ein weiteres Glied in der langen Kette der
Privatisierung und Zerschlagung der Deutschen Bahn. Von 18 derzeit bestehenden, auf
schwere Instandhaltung spezialisierten C-Werken, sollen in den nächsten 3
Jahren acht geschlossen werden: Chemnitz, Leipzig, München-Neuaubing, Neustrelitz,
Nürnberg, Opladen, Stendal und Zwickau. Dies würde 6000 Arbeitsplätze kosten. Dem
üblichen Begründungsmuster des Managements (geringe Auslastung,
Sanierung, Produktivitätssteigerung,
Wettbewerbsfähigkeit ...) halten Betriebsräte und Gewerkschaft vor allem
entgegen, daß das Bahn-Management...
längst nicht alle Zahlen offengelegt hat,
in letzter Zeit zunehmend Aufträge statt an eigene
Werke an Fremdfirmen vergibt,
nichts
unternommen hat, um Aufträge von nicht DB-eigenen Regional- und Privatbahnen zu sichern.
Besorgte
Eisenbahner(innen) werfen bereits die Frage auf, ob das Bahn-Management mit seiner
Privatisierungsmission überhaupt noch etwas anderes im Sinne hat, als den Konzern
auszuschlachten und seine Einzelteile für private Kapitalgruppen zu öffnen. Heinz Dürr,
der als Freund von Helmut Kohl 1991 zum Bahn-Vorstand ernannt wurde und die als
Reform gepriesene Privatisierung einleitete, hatte schon Anfang 1992 erklärt:
Wir wollen mehr Schienenverkehr, doch der muß nicht unbedingt von einer deutschen
Bahn-AG gefahren werden.
Jetzt wird deutlich, was Dürr damals meinte. Der Bahn-Konzern wurde in nunmehr fast 200 Töchterfirmen aufgespalten. Einzelne profitable Betriebsteile wurden bereits verkauft so etwa das bahneigene Telekommunikationsnetz an Mannesmann (jetzt Vodafone!). All das hat mehr bürokratischen Wasserkopf und erhebliche Koordinationsmängel gebracht. Der gepriesene Wettbewerbsdruck im Schienenverkehr bringt einen erheblichen Druck auf Löhne und erkämpfte Tarifverträge mit sich (während die Managergehälter steigen). Durch die Ausgliederung von Nebenstrecken in eigenständige Regionalbahnen und den Wettbewerb mit neu auftretenden Privatfirmen (wie die französische Connex) müssen jetzt viele tausend Eisenbahner(innen) um ihren Lebensstandard und Arbeitsplatz bangen.
Real
existierendes Lohndumping
So
drohen im Schienenverkehr bald Zustände, wie sie bereits auf dem Bau oder im privaten
Transportgewerbe üblich sind. Der Drang nach einer Senkung der Lohnkosten beflügelt die
Phantasie und könnte schon bald Leiharbeitsfirmen entstehen lassen, die
kostengünstig Lokführer oder Zugbegleiter vermitteln oder einen
Arbeitsstrich von scheinselbständigen Eisenbahnern, die täglich auf den
Anruf und Auftrag warten. Übertreibung? Schon heute gibt es, wie DB-Cargo Betriebsrat
Alfred Lange bei einer Gewerkschaftsveranstaltung in Wiesbaden berichtete, bei einer
privaten deutschen Industriebahn polnische
oder rumänische Lokführer, die für 8 Mark die Stunde fahren und dabei auf dem
Führerstand der Lok wohnen und schlafen!
Im
März 2000 waren Eisenbahner(innen) bundesweit bereit, diesem Druck zu widerstehen und
für die Sicherung von Realeinkommen und Arbeitsplätzen zu streiken. Doch die
Gewerkschaften bliesen in letzter Sekunde den Arbeitskampf ab und ließen sich vom
Bahn-Management ins Boot ziehen. So wurde in den letzten Wochen Tarifverträge
ausgehandelt, die die Belegschaft immer mehr auseinanderdividieren und für viele, die
nicht mehr gebraucht werden, Gehaltseinbußen und mittelfristig den Weg in die
Arbeitslosigkeit bringen.
Die
Kampfbereitschaft in den Werken die und die große Solidarität auch aus anderen Bereichen
zeigt: noch wäre ein bundesweiter gemeinsamer Widerstand aller Eisenbahner(innen)
möglich. Denn bei dem Ziel, die Belegschaft der DB AG bis 2005 um weitere 50.000
Beschäftigte abzubauen, werden noch andere Bereiche getroffen, in denen sich heute
manche(r) noch sicher fühlt. Doch
dazu müßten alle gleichzeitig die Arbeit ruhen lassen und klarmachen: Jetzt
reichts. In Frankreich hat Kampfbereitschaft bisher immerhin die Zerschlagung und
Privatisierung der Staatsbahn SNCF stärker abgebremst und das Schlimmste verhindert.
Übrigens:
Nach wie vor ist die Deutsche Bahn AG zu 100 Prozent in Bundesbesitz und geschieht all
dies unter einer rot-grünen Bundesregierung. Minister Kurt Bodewig, vor 15
Jahren noch Juso-Funktionär und Ökosozialist, läßt heute dem
Mehdorn-Management freie Hand.
Doch bevor wir endgültig in ein englisches Schienenchaos geraten, ist eine radikale
Umkehr angesagt. Daher: Die Privatisierung
stoppen und rückgängig machen. Der Schienenverkehr gehört in die öffentliche Hand und
muß von den Beschäftigten demokratisch kontrolliert und verwaltet werden.
Hans-Gerd Öfinger