Belegschaften als
Spielball von Kapitalgruppen
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Erfahrungen anderer Belegschaften können bei der Beurteilung möglicher Folgen eines Börsengang der Deutschen Bahn AG hilfreich sein. Wir sprachen mit Hans-Werner Krauß. Er ist sein kurzem Rentner und hat über Jahrzehnte kontinuierlich oppositionelle Betriebsarbeit bei den Farbwerken Hoechst, Hoechst Marion Roussel und Aventis geleistet. Er wurde 1975 aus der IG Chemie-Papier-Keramik ausgeschlossen und war über viele Jahre Betriebsratsmitglied.
Sie blicken auf über 30 Jahre oppositioneller Betriebs(rats)arbeit zurück und kennen die Umstände bei Aventis sehr gut. Kam die jüngste Übernahmeschlacht um Aventis für Sie überraschend? Überhaupt nicht. Schon in den 80ern wurde die strategische Entscheidung gefällt, dass Chemie-Konzerne wie die Hoechst AG zu Holdung-Unternehmen werden sollten, die mit Chemiefirmen handeln. 1989 haben wir Oppositionellen auf einer Betriebsversammlung vor den Absichten des Managements gewarnt, den Konzern Hoechst AG zu zerlegen und dann massiv Kosten und Personal einzusparen. Der Personalvorstand Mische bezeichnete damals unsere Warnungen als "Blödsinn" und beteuerte, man plane für die nächsten 10 Jahre keine Finanzholding ... ... doch wenige Jahre später setzte die Zerschlagung von Hoechst und die Bildung der Holding ein. Schon Anfang der 90er Jahre wurden unter dem Vorstandsvorsitzenden Hilger umfangreiche Umstrukturierungen in Angriff genommen mit dem Ziel, "unprofitable Bereiche" abzustoßen und das Personal stark abzubauen. Die Abteilungen wurden gezwungen, die Kosten des massiven Personalabbaus aus den laufenden Geschäften zu finanzieren. Dies ging so weit, dass Hoechst hausgemacht "rote Zahlen" schrieb. Da aus der Sicht der Großaktionäre Hilger jedoch die Reorganisation nicht so rücksichtslos durchzog, wie sie es erwartet hatten, wurde er nach einem spektakulären Betriebsunfall – Stichwort "Gelber Regen" – als „Sündenbock“ geopfert und durch Jürgen Dormann ersetzt... ... der dann die Umstrukturierung und Zerschlagung der Hoechst AG durchführte. Dormann, der erste Nicht-Naturwissenschaftler auf diesem Posten, vermittelte den Eindruck eines Sprüche klopfenden "dynamischen" Managers, der den Konzern "von Grund auf umkrempeln" und bis 1999 zum "Global Player Nr. 1" machen wollte. Er wurde 1995 zum „Manager des Jahres“ gekürt. Seine Losung für den Konzern lautete: Konzentration auf das Kerngeschäft statt Gemischtwarenladen. Das Problem war nur: es wurde nie positiv definiert, was „Kerngeschäft“ ist, sondern nur gesagt, was nicht dazu gehört. Und diese Unternehmensteile wurden dann auch konsequent abgestoßen. Schließlich kristallisierte sich dann die „Life Science“ mit den Schwerpunkten Pharma, Tier und Pflanzen heraus. Unter Dormann wurden französische Beteiligungen und vor allem für 11 Milliarden DM der US-Konzern Merryl Dow aufgekauft, der als Türöffner nach Nordamerika dienen sollte. Doch selbst damit war der Konzern noch nicht unangefochtener Weltmarktführer ... ... und daher fädelte Dormann mit dem Chef der französischen Rhône Poulenc, Fortou, eine „Fusion unter gleichen“ ein, aus der 1999 Aventis entstand. 98% der bisherigen Hoechst-Aktien wurden eingetauscht, die restlichen 2 Prozent, mit einem Wert von mehrere hundert Millionen Euro, firmieren weiterhin als Hoechst AG – eine „Briefkasten-AG“ ohne operatives Geschäft. Nachdem nun selbst Aventis sich nicht als der Weltmarktführer etablieren konnte, betrieben die Manager weiter gezielt den Verkauf von solchen Unternehmensbereichen, die aus der Sicht der Shareholder zu viel „Ballast“ darstellten. So wurde etwa der Bereich „Crop Science“ – Saatgut und Pestizide – 2003 an Bayer verkauft. Ähnliches geschah auch auf der französischen Seite. Auf der Jagd nach maximaler Umsatzrendite wurden gnadenlos alle Unternehmensbereiche mit unterdurchschnittlichen Renditewerten abgestoßen. Wie kam es dann, dass der viel kleinere französische Sanofi-Konzern mit einem Kaufangebot an Aventis herantrat? Aventis hat schon durch das Abstoßen der „Crop Science“, Umstrukturierungen und die Ausgliederung der nicht mehr durch Patent geschützten Produkte potentiellen Übernehmen unausgesprochen signalisiert: Kauft uns doch endlich! Ohne diese Schritte hätte Sanofi kein Angebot gemacht. Sanofi ist selbst Produkt von Fusionen und hat dann bis Anfang 2004 Geldgeber gefunden, um den Kauf zu finanzieren. Geheime Fusionsgespräche zwischen Sanofi und Aventis hat es aber schon 2003 gegeben. Deutsche Manager scheinen nicht zu verstehen, dass Aventis in Frankreich unter dem Druck der Gewerkschaften und der staatlichen Industriepolitik keine so starke Rationalisierungswelle durchgezogen hat wie in Deutschland. In Frankreich bestehen noch 20 Standorte in den Regionen, während in Deutschland bis auf Frankfurt Hoechst und das benachbarte Bad Soden alles andere weitgehend abrasiert worden ist. Französische Kollegen von der Gewerkschaft SUD beschreiben den Sanofi-Vorstandsvorsitzenden Dehecq als alten Patriarchen, der nach dem Motto „Ihr braucht keine Gewerkschaft“ seinen Arbeitern bisher relativ hohe Löhne bezahlt hat. Er hatte in dem Spiel die besseren Karten. Die Übernahme durch Sanofi stand wohl schon spätestens Anfang April fest. Denn am 2. April wurde die Domain www.sanofi-aventis.de durch die französische Aventis Pharma S.A. registiert. Auch die „plötzliche“ Zustimmung der Fusion durch die europäische Kartellbehörde unter der Bedingung, dass Aventis Lizenzen für bestimmte Pharmapräparate abgibt, deutet darauf hin, dass hinter den Kulissen alles schon abgekaspert wurde. Wie bewerten Sie den Abwehrkampf von Aventis-Betriebsrat und IG BCE gegen die feindliche Übernahme? Die IG BCE und die Betriebsratsmehrheit haben sich wie in alten Zeiten von vornherein bereitwillig an die Seite der Manager gestellt, nationalistische Töne angeschlagen und gleichzeitig die französischen Gewerkschaften als „nationalistisch“ kritisiert. Protestveranstaltungen fanden unter der Regie des Managements statt, der Antrag der Betriebsratsopposition, nach einer solchen Versammlung eine eigenständige Demo von der Hoechster Jahrhunderthalle zum Werk zu veranstalten, wurde von der BCE-Mehrheitsfraktion abgelehnt. Während das bisherige Aventis-Management bezogen auf den Jahresumsatz 1,5 Mrd. Euro einsparen wollte, brachte Dehecq einen eigenen Einsparvorschlag von rund 1,6 Mrd. Euro ins Gespräch. Der Antrag, Dehecq zu seinem Konzept auch nur anzuhören, wurde im Betriebsrat als „Hochverrat“ abgelehnt. Uns war aber klar: ganz egal, ob Aventis eigenständig bleibt oder von Sanofi oder von dem als Interessenten auftretenden Schweizer Novartis-Konzern übernommen wird – die Einsparungen werden immer auf unsere Knochen gehen! Der zeitweilige Flirt mit Novartis hat vor allem den Kaufpreis in die Höhe getrieben. Durch die Kredite kommt auf Sanofi jetzt eine jährliche Zinslast von über einer Milliarde Euro zu. Dieses Geld werden sie aus den Beschäftigten herauspressen. Welche Stimmung herrscht jetzt in der Belegschaft, nachdem der Aufsichtsrat grünes Licht gegeben hat und die Übernahme nicht mehr aufzuhalten scheint? Viele Beschäftigte fühlen sich betrogen, verschaukelt und ohnmächtig. Nach dem Aufsichtsratsbeschluss von 25. April wurde Aventis-Personalvorstand Heinz-Werner Meier, der noch im Februar für seine antifranzösischen Sprüche mit Ovationen gefeiert wurde, von der Belegschaft ausgepfiffen, weil er sich mit Sanofi geeinigt hatte. Doch die Demos und Versammlungen dienten nur noch dazu, Dampf abzulassen. Schon als das erste Übernahmeangebot im Raum stand, untersagte der Aventis-Gesamtbetriebsratsvorsitzende den Betriebsratsmitgliedern öffentliche Äußerungen. Es rächt sich, dass Gewerkschaft und Betriebsratsmehrheit über Jahre nicht darüber aufklärten, dass es um handfeste materielle Interessen und nicht um Moral oder nationale Sentimentalitäten geht. Die Kritik von Betriebsrat und Managern am „mangelnde Engagement“ von Bundeswirtschaftsminister Clement greift ins Leere. Genau genommen war Aventis schon längst kein deutsches Unternehmen mehr. Die Aktien befanden sich in weltweitem Streubesitz, allein 24,9% gehörten Kuwait. Nur 8% des Aktienkapitals waren zuletzt an deutschen Börsen notiert. Mit ihrem Traum vom „deutschen Pharmakonzern“ lebt die IG BCE noch in der Welt der 80er Jahre. Es ist zu befürchten, dass die Ausgliederung von Unternehmensteilen weiter geht. Schon Aventis wurde vor geraumer Zeit als Unternehmen zur Forschung, Entwicklung und Vertrieb von Pharmaprodukten definiert. Das Wort „Produktion“ taucht in diesen Projektionen nicht mehr auf. Wie sehen Sie im Rückblick die Behauptung der IG BCE-Führung, durch Co-Management würden die Interessen der Gewerkschaft am besten vertreten? 30 Jahre Sozialpartnerschaft waren für die betriebliche Gewerkschaftsarbeit tödlich. Wo alles „einvernehmlich“ zwischen Managern und Betriebsräten abgekaspert wird, ist eine Gewerkschaft überflüssig. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist stetig gesunken. „Sozialpartnerschaft“ hat nur einem kleinen Personenkreis – Betriebsräten und Aufsichtsratsmitgliedern – Privilegien gebracht, aber der Gewerkschaft die Basis entzogen. Jürgen Dormann war – wie schon gesagt – kein Naturwissenschaftler, sondern Volkswirt. Als er vor 10 Jahren seinen Vorstandsposten antrat, machte er unverblümt klar: Er war mit der Leitung des Konzerns überfordert. Daher begann er alles zu zerschlagen, um es angeblich besser in den Griff zu bekommen – obwohl das so genannte „Warenhaus“ Hoechst über 100 Jahre funktioniert hat. Die Hoechst AG wurde in über 80 Einzelfirmen zerschlagen. Das ist Filetierung, um die gewinnträchtigsten Bereiche zu verhökern, aber keine Managementleistung. Die Hoechst AG hat eine feindliche Übernahme von innen heraus erlebt – durch die eigenen Manager. Das Verhältnis zwischen einem Durchschnittseinkommen eines Beschäftigten und einem Managersalär betrug früher 1:20 und liegt jetzt bei 1:100. © Hans-Gerd Öfinger |