Profit contra
Sicherheit: Zugunglück in Großbritannien offenbart die |
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In London-Paddington
kamen am 6. Oktober 40 Menschen bei einem der schwersten Zugunglücke des Landes ums
Leben, Hunderte wurden verletzt. In Großbritannien löste es eine breite Diskussion nicht
nur über den katastrophalen Zustand des Eisenbahnnetzes, sondern auch über Sinn und
Unsinn der Privatisierung aus. Hat die
Privatisierung die Sicherheit des Eisenbahnnetzes aufs Spiel gesetzt? Mit dieser
Frage endete am 7. Oktober ein Leitartikel im Guardian. Die Eisenbahnaufsicht hatte schon
vorher die Industrie scharf dafür angegriffen, daß die Zahl der Züge, die auf Rot
gestellten Signale mißachteten, im letzten Jahr massiv zugenommen hat (um 8 Prozent auf
643). In einem nicht veröffentlichten Bericht über gefährliche
Signalübertretungen machte die Aufsicht die (private) Eisenbahngesellschaft
Railtrack (Eigentümerin von Signalanlagen und Gleisen) und die ebenfalls privaten
Betreiber der Züge für diesen Anstieg verantwortlich und warf ihnen vor, sie schafften
keine angemessene Abhilfe. Es besteht daher die Möglichkeit, daß eine solche
Signalübertretung zu einem Unfall mit ernsten Folgen führt, heißt es in den
Bericht. Anders ausgedrückt: die Tragödie war vorhergesagt, aber wegen ein paar lumpiger
Pfund ist nichts passiert, sie zu verhindern. Die Katastrophe von
Paddington passierte nur zwei Jahre nach dem schrecklichen Zusammenstoß von Southall, bei
dem sieben Passagiere getötet und 150 verletzt wurden. Sie geschah auf derselben
Gleisstrecke! Kosten senken Mord begleitet die
privaten Eisenbahngesellschaften. Im Anschluß an den Zusammenstoß von Southall wurde
Anklage wegen geschäftsmäßiger Tötung gegen die Betreibergesellschaft Great Western
Trains erhoben; die Anklagen wurden niedergeschlagen, weil sich angeblich niemand fand,
gegen die sie hätten gerichtet werden können. Das britische
Eisenbahnsystem ist gegenüber dem in anderen europäischen Ländern hoffnungslos
veraltet. Spaniens Eisenbahn (Renfe) hat Europas beste Sicherheitsanlage. Im vergangenen
Jahr gab es keinen einzigen Toten. Spanien gibt 1,4 Prozent des jährlichen
Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Pflege der Verkehrswege aus. Italiens Eisenbahnen,
ebenfalls in öffentlicher Hand, stehen hinsichtlich der Sicherheit an zweiter Stelle in
der EU. Zwei Lokführer sitzen im Führerhaus und haben ein elektronisches Display vor
sich, das sie über rote Signale, in der Nähe verkehrende Züge und deren Geschwindigkeit
informiert. In Frankreich sind die
Hochgeschwindigkeitszüge (TGV), die auf öffentlichen Gleisnetzen (SNCF) fahren, mit
Leuchtanlagen im Führerhaus ausgerüstet, die ihnen mitteilen, wie schnell sie fahren
dürfen. Überschreiten sie das Limit, greifen die Bremsen automatisch. Frankreich gibt
1,1 Prozent seines BIP für die Verkehrsinfrastruktur aus und plant, bis Ende dieses
Jahres weitere 5 Milliarden Francs zu investieren. Die noch staatseigene Deutsche Bahn AG
besitzt eine Sicherheitsanlage, die sich bei einem Rotsignal automatisch einschaltet und
den Zug zum Halten bringt. Deutschland gibt 1,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für
den Verkehr aus. Den britischen
Eisenbahnen mangelt es seit über zwanzig Jahren an Investitionen. Großbritannien gibt
nur 0,9 Prozent seines BIP für das Verkehrsnetz aus. Dies erklärt, warum das System
hoffnungslos veraltet ist. Das Sicherheitssystem
ATP wurde von den britischen Konservativen vor der Privatisierung der Bahn verhindert. Ein
Memorandum der Geschäftsleitung von Railtrack vom Februar 1995 warnte vor den Kosten der
Installation, und daß sie den Aktienkurs der gerade privatisierten Gesellscahft unter
Druck setzen würde. Neun Monate später schrieb Railtrack erneut in einem Brief an die
Regierung, die Kosten für die Installation von ATP seien zu hoch. Die Sicherheit mußte
geopfert werden, damit die Konservativen aus der Eisenbahn ein attraktives Angebot an ihre
Freunde in der Londonder City machen konnten. Gewaltige Subventionen Die Konservativen
haben die Privatisierung der Eisenbahn hoch subventioniert. Auch 1999 fließt insgesamt
eine Milliarde Pfund in die betroffenen Betriebe - die damit seit dem Ausverkauf 4,2
Milliarden Pfund eingesteckt haben. Die zwei Gesellschaften, die in den Unfall verwickelt
waren und Railtrack haben seit der Privatisierung mehr als 1,5 Milliarden Pfund kassiert.
In Kontrast dazu steht, daß das derzeit eingesetzte Warnsystem in den 20er Jahren
eingeführt wurde. Es ist überaltert und für die heutigen Hochgeschwindigkeitszüge
nicht zu gebrauchen. Das System ist auf den Zügen der Great Western allein in den neun
Monaten seit dem Zusammenstoß von Southall 63mal ausgefallen. Railtrack hat acht
Unfälle in den letzten sechs Jahren aufgezeichnet, bei denen Züge ein auf Rot stehendes
Signal überfahren haben. Das Unternehmen hatte vor dem Unfall einen Termin angesetzt, auf
dem die Verlegung des Signals besprochen werden sollte. Das Signal war bereits im November
1995 Ursache eines Zusammenstoßes gewesen, bei dem neun Passagiere verletzt worden waren.
Trotz der Empfehlung, das Signal an einem anderen Ort aufzustellen, unternahm Railtrack
nichts. ASLEF hat jetzt eine
Kampagne begonnen, das Sicherheitssystem ATP in kürzerster Zeit auf allen Zügen in
Betrieb zu nehmen, andernfalls droht sie mit ihren 15.000 Mitgliedern mit Streik. Der Skandal wird noch
größer, wenn man sich die Einkommen der Direktoren und Manager dieser Gesellschaften vor
Augen führt. Der Vorsitzende von Railtrack, Gerald Corbeit, verdient 409.000
Pfund pro Jahr - einschließlich einer Prämie von 61.000 Pfund. Die kumulierten Profite
der Firma seit der Privatisierung belaufen sich auf 1,37 Millionen Pfund. Der
geschäftsführende Direktor von Thameslink, Martin Ballinger, verdient
206.000 Pfund im Jahr, einschließlich einer Prämie von 31.000 Pfund. Thameslink hat
insgesamt seit der Privatisierung 29,9 Millionen Pfund Gewinn gemacht. Der Vorsitzende von
Great Western, Trevor Smallwood, verdient 262.000 Pfund, darunter eine Prämie
von 70.000 Pfund. Seit der Privatisierung hat Great Western 52,7 Millionen Pfund Profite
kassiert. An diesem Geld klebt Blut. Zur selben Zeit wurden den Beschäftigten bei der
Bahn die Löhne gekürzt. Jetzt behaupten die Bahnbosse, sie hätten kein Geld für die
Sicherheit. Die Labour-Regierung
hat jetzt mit Verspätung bekanntgegeben, daß Railtrack erfolgreich wegen der
Privatisierung der Londoner U-Bahn bei ihr vorgesprochen hat. Diese Pläne müssen nach
dem Unglück von Paddington sofort gestoppt werden. Die U-Bahn ist sowieso ein
gefährlicher Ort. Jeden Tag sind die Bahnsteige überfüllt und die Leute quetschen sich
in vollgepackte Züge. Wenn dieses Netz von denselben Profithaien betrieben wird, die
schon für die oberirdischen Tragödien verantwortlich sind, sind die Folgen nicht
auszumalen. In drei
Jahren, schrieb der Guardian am 7. Oktober, droht durch die Privatisierung zu
gelingen, was Labour in zwanzig Jahren Opposition nicht gelungen ist: die Rehabilitierung
des Konzepts der Verstaatlichung. Von Rob Sewell |