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Deutschland 2001:
„Wenn polnische oder rumänische Lokführer für 8 Mark die Stunde fahren und dabei auf dem Führerstand der Lok wohnen und schlafen....!“

 

Rede von Alfred Lange (Betriebsrat DB Cargo C.I.7 Niederlassung Frankfut) auf dem  Regionalen Bahngipfel in Wiesbaden am 27.03.2001

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Sehr geehrte Damen und Herren

Als in der Sylvesternacht 1993 die Bundeseisenbahnen, praktisch über Nacht, privatisiert wurden, sprach man zwar nicht mehr von blühenden Landschaften, aber dass es niemandem schlechter gehen sollte, das war schon die Devise.

Keinem Beschäftigten sollten Nachteile entstehen, aber, auch und vor allem der Öffentlichkeit wurde eine Bahn versprochen, die nur noch aus positiven Superlativen bestand:

billiger, schneller, weniger Behörde, mehr kundenorientiert, moderner, sauberer.

Mit einem Wort: besser.

Was hieß das nun für den Bereich, für den ich heute spreche, nämlich DB Cargo?

Damals hieß das noch Güterverkehr und den Kleingutbereich hat man als erstes mal direkt einer Spedition nachgeworfen. Der sollte damals noch mittels Containerverkehr  auf der Schiene stattfinden.

Heute stehen bei den Bahntrans-Terminals nur noch LKW´s. Abgehakt.

Wir wollten uns auf unsere Stärke, den Ladungsverkehr als sogenanntes Kerngeschäft, konzentrieren.

Weil aber 1994 der politische Auftrag nicht nur einfach privatisieren hieß, sondern damit eine Aufteilung in Geschäftsbereiche und ca. 200 Tochtergesellschaften einherging, war die Auseinandersetzung damit zunächst unsere Hauptbeschäftigung.

Wir lernten kaufmännische Verantwortung, hörten was von Controlling im allgemeinen und von Personalcontrolling im besonderen,

betrieben permanente Optimierungsprozesse und studierten SAP/R3.

Wir gründeten ein Kunden-Service-Zentrum und machten Kick-Off-Veranstaltungen, Workshops und Teambildungen.

Normten uns nach ISO 9000 und nannten uns AG.

Gründeten Railion und Raillog

Und weil damit die halbe Bahn beschäftigt war, hatten wir für so ganz alltägliche und banale Dinge wie Züge fahren kaum noch Zeit.

Geschweige denn, für ein monatelanges Eruieren, wer denn für das Gebäude zuständig ist, wo´s grade durchs Dach regnet.

So was hält uns nur auf in unserem Sprung hin zu einem jung-dynamischen, mit Charts und handputs gestyltem Börsenunternehmen.

Lediglich zwei Störfaktoren gilt es noch zu beseitigen:

Den Mitarbeiter und den Kunden.

Das tut man natürlich nicht einfach so, indem man es auch so benennt.

Nein, auch hier zeigt man Kreativität:

Für den Personalabbau benutzt man das Vehikel „Steigerung der Produktivität“. Beseitigung des Kostenfaktors Mensch.

Über 140.000 Menschen hat man so bei der Bahn in 7 Jahren wegrationalisiert. Natürlich sozialverträglich. Oder ins konzerneigene Arbeitsamt gesteckt.

Die Produktivität wurde um über 100 % gesteigert.

Sind wir deshalb dem Börsengang oder gar dem Kunden näher gekommen? Nein.

Also: Augen zu und weitermachen.

MORA C heißt die neue Wunderwaffe für den Kunden.

Marktorientiertes Angebot Cargo.

Damit werden Mitarbeiter und Kunden abgebaut. „Klein werden, um stark und groß zu werden“, lautet die neue Devise von DB Cargo.

Eine offizielle Reduzierung  von 5.700 Mitarbeitern

Die Schließung von über 1000 Güterverkehrsstellen

Die Reduzierung von Zugbildungsanlagen von 80 auf 44.

Eine Verringerung der Rangierloks von 950 auf 615

Und eine Reduzierung der Infrastruktur um durchschnittlich 35 %

Dies sind die gesetzten Meilensteine für die politischen Thesen von 1994, die da lauteten:

„Wir wollen den LKW-Verkehr auf den Strassen reduzieren. Wir wollen mehr Güter auf die Bahn“

„Wir wollen eine Wende hin zu einer ökologischen Verkehrspolitik“

Aber, meldete sich eine kleine Partei:

„Wir wollen auch einen liberalisierten Verkehrsmarkt“

Wie liberal wir jetzt schon sind, wissen wir,

·                     wenn polnische oder rumänische Lokführer für 8 Mark die Stunde fahren und dabei auf dem Führerstand der Lok wohnen und schlafen.

·                     Das wissen wir, wenn die heutige Jahresvignette für einen LKW mit 2500 DM grade mal so teuer ist, wie der Trassenpreis für eine einzige Güterzugfahrt von Frankfurt nach München.

·                     Das wissen wir, wenn wir die Mängelliste in der Zeitung nachlesen, die eine Sicherheitskontrolle von LKWs auf einer Autobahn ergeben hat, wo die liberalisierten Kräfte des freien Marktes ja schon Gang und gäbe sind.

·                     Das wissen wir auch, wenn wir uns den jährlichen Schaden des Straßenverkehrs von über 200 Mrd. DM betrachten.

Und dieser Trend, in Verbindung mit MORA C, bedeutet für die Cargo-Niederlassung Frankfurt:

·                     Schließung der Zugbildungsanlagen Gießen und Darmstadt-Kranichstein

·                     Bedeutet in der Niederlassung Frankfurt, die Schließung von ca. 100 von zurzeit 200 Güterverkehrsstellen

·                     Bedeutet, dass ganze Bedienäste wie z.b. Ober Ramstadt – Reinheim/Odenw. mit mind. 3000 beladenen Güterwagen in 2001 oder

·                     Kleinheubach – Miltenberg – Amorbach mit 2300 bel. Wagen geschlossen werden.

·                     Dass Güterverkehrsstellen wie Dietzenbach mit 1200 bel. Wagen oder Messel mit 700 bel. Wagen einfach verschwinden. 

Und früher in Bonn und heute in Berlin lehnt man sich zurück und stellt die Weichen.

Nachdem man die Bahn zerschlagen und die Filetstücke verscherbelt hat, betreibt man weiter Profitmaximierung für Wenige zu Lasten der Beschäftigten und der öffentlichen Allgemeinheit.

Im Namen von Marktfähigkeit und Liberalisierung betreibt man Lohn- und Sozialdumping.

Bahnwohnungen wurden verkauft, Branchentarifverträge müssen her.

Einige Erfolg versprechende Schienenwege für Geschäftsreisende werden gebaut und subventioniert.

Im Nah- und Güterverkehr werden zu Lasten der Allgemeinheit und der Umwelt Strecken stillgelegt.

Der Manager-Bahnhof Frankfurt-Flughafen wird futuristisch neugestylt, Mainz-Bischofsheim gammelt vor sich hin.

Der Frankfurter Hauptgüterbahnhof wird dem Messegelände geopfert, eine Verlagerung nach Frankfurt-Ost wird bei dem Abbautempo bald nicht mehr nötig sein.

Da ist in unserer Zugbildungsanlage Mainz Bischofsheim, also ganz in der Nähe, mal gerade über den Main, seit über 2 Jahren kein Geld für eine defekte Weiche vorhanden, die so den halben Bahnhof sabotiert, - und ebenfalls ganz in der Nähe, nur diesmal über den Rhein, da leistet sich die Cargo Zentrale für Mill. ganze Glaspaläste.

Da dürfen in eben diesen Glaspalästen ganze „Jugend-forscht- Abteilungen“ jahrelang das Rad neu erfinden ,-

und für die Ausbildung eines Lokführers erlauben wir uns gerade mal 7 Monate.

Da werden an Wochenenden auf der rechten Rheinseite ganze Güterzüge in Überholgleise gestellt,  weil kein Personal vorhanden ist, - aber bis 2004 sollen bei DB Cargo noch weitere 1800 Lokführer abgebaut werden.

Und das alles bei einer Verkehrsprognose die für die nächsten 15 Jahre eine Zuwachsrate von über 60 % im Güterverkehr erwartet.

Und was tut nun die Politik, also der Eigentümer, für seine und unser aller Bahn?

Mit dem Austauschen von Verkehrsministern und Bahnmanagern, gerade wie die Bremssohlen an einem Güterwagen, ist es nicht getan. Auch nicht mit einem neuen Experiment, den Fahrweg von der Bahn zu trennen.

Es muss endlich die Verkehrspolitik gewechselt werden.

Wir wollen keine Steuergeschenke wie manch andere Großkonzerne, die sich auch noch damit brüsten, keine Mark Steuern gezahlt zu haben.

Wir wollen, dass die Umverteilung von unten nach oben endlich gestoppt und umgekehrt wird.

Wir wollen keine Börsenbahn, damit sich einige wenige in der Schweiz, in Liechtenstein oder sonst wo, schwarze Kassen anlegen.

·                     Wir wollen eine Bahn für die Menschen und die Umwelt dieses Landes.

·                     Wir wollen endlich mindestens die gleichen Chancen wie der Straßenverkehr.

·                     Und wir wollen auch sichere Arbeitsplätze in einem sicheren Zukunftsunternehmen Bahn in dem die Menschen für ihre ordentliche Arbeit auch ordentliche Löhne erhalten.

Wir wollen endlich eine Zukunft für unsere Bahn.

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