"Wer nicht kämpft, hat schon verloren" |
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Lieber Norbert, ich wende mich in dieser für mich ungewöhnlichen Form an Dich. Anlass ist Dein Artikel in der Juni-Ausgabe der Transnet-inform, in dem Du Stellung beziehst zu der in den Gewerkschaften äußerst umstrittenen Agenda 2010 der Bundesregierung. Dein Artikel fordert meinen entschiedenen Widerspruch heraus. Als Sprecher der Vertrauenspersonen im DB Cargo KundenServiceZentrum Duisburg habe ich täglich Gelegenheit mit Kolleginnen und Kollegen unter anderem über den geplanten Sozialabbau der SPD-geführten Regierung zu reden und mein Standpunkt, meine Meinung als aktiver Gewerkschafter wird gefordert. Du beklagst in Deinem Artikel völlig zu Recht, dass die massiven Angriffe gegen die Gewerkschaften in der letzten Zeit nicht nur zugenommen haben, sondern immer bedrohlichere Ausmaße annehmen. Du nennst in diesem Zusammenhang Teile der CDU / CSU und die FDP. Du nennst nicht - und das verwundert - die Arbeitgeberorganisationen und klammerst auch die Bundesregierung unter Kanzler Schröder aus, der ja gerade in den letzten Tagen sich unglaublich einseitig eingemischt hat in den Streik der IG Metall um die 35-Stunden-Woche. IG-Metaller schätzen meiner Meinung nach völlig zu Recht ein, dass diese Parteinahme für die Positionen der Arbeitgeberseite in erheblichem Umfang dazu beigetragen hat, dass der Streik der IG Metall ohne Ergebnis abgebrochen wurde. An den Folgen dieser katastrophalen Niederlage wird nicht nur die IG Metall, sondern die gesamte Gewerkschaftsbewegung unseres Landes - also auch wir - noch zu leiden haben.Ich bin seit über 30 Jahren aktiv in der politischen und Gewerkschaftsbewegung tätig.Meine Erfahrungen sagen mir, dass es, wo auch immer in der Welt, mit den Menschenrechten schlecht bestellt ist (u.a. ist auch das Recht auf Arbeit ein Menschenrecht), wenn Gewerkschaftsrechte eingeschränkt werden sollen. Immer geht ein solcher Kurs einher mit Verschlechterungen für die abhängig Beschäftigten, für die Arbeitslosen, Kranken und sozial Schwachen. Angriffe auf Gewerkschaften nehmen immer dann an Schärfe zu, wenn eine agressive Außenpolitik vorbereitet bzw. umgesetzt wird (u.a Balkankrieg, Out of Area Einsätze der Bundeswehr entgegen dem Verfassungsauftrag, Erhöhung der Militär-Ausgaben). Angriffe auf die Gewerkschaften haben immer Demokratieabbau zur Folge. Ich komme zurück auf die Agenda 2010.Du möchtest mit soviel Gesprächen wie möglich und soviel Protest wie nötig die Sozialreformen so mitgestalten, dass die Zielsetzung, mehr Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit, deutlich bleiben. Soll nur die Zielsetzung deutlich bleiben oder wollen wir jetzt, hier und heute, wirkliche soziale Gerechtigkeit durchsetzn und für mehr gut bezahlte und existenzsichernde Arbeitsplätze kämpfen - und nicht nebulös für mehr Beschäftigung ? Deine Argumente sind in diesem Zusammenhang diffus und schwammig. Du schreibst zu Recht, dass die Gewerkschaften alle jene in unserem Lande vertreten, die mit ihrer Arbeit den gesellschaftlichen Reichtum vermehren. Aber wenn du fortfährst, dass nur verteilt werden kann, was auch vorher erwirtschaftet worden ist, näherst Du Dich dem neoliberalen mainstream an, anstatt zu hinterfragen, wer denn in diesem Lande von unserer Arbeit profitiert und wer die Früchte unserer Arbeit einsackt. Warum schreibst Du nicht, dass es gesamtwirtschaftlich gar keinen Grund zum Sparen gibt, geschweige denn den größten Sozialraub in der Geschichte unseres Landes zu betreiben. Es ist kein Geheimnis, dass unsere Wirtschaft heute pro Kopf 3 mal soviel produziert wie 1960. Es ist auch nicht unbekannt, dass in denletzten 10 Jahren das reale Volkseigentum um 16 % gewachsen ist. Die deutschen Privathaushalte verfügen über ein Geldvermögen von sage und schreibe 3,6 Billionen Euro. Warum verschweigst Du, dass allein die reichsten 0,5 % der Bevölkerung zusammen 900 Milliarden Euro Geldvermögen besitzen ! Grundbesitz, Luxusvillen, Jachten und Nobelautos nicht eingerechnet. Warum verschweigst du, dass diese 0,5 % nie und nimmer diesen unfassbaren Reichtum durch ehrliche Arbeit anhäufeln konnten. Durch Arbeit kann man in diesem Lande nicht reich werden ! Soviel zum Argument, dass nur verteilt werden kann, was vorher erarbeitet worden ist. Wir haben ein massives Verteilungsproblem! Es ist allerhöchste Zeit, dass wir sagen, dass durch verstärkte Ausbeutung (also durch gestiegene Produktivität), aus Geld immer mehr Geld werden kann. Aber wer erhält den Profit ? Während unsere Arbeitseinkommen bestenfalls seit Jahren stagnieren, haben die Einkommen aus Vermögensbesitz seit 1990 um über 60 % zugelegt. Jährlich können wir immer mehr Millionäre unter uns begrüßen - der Reichtum ist in unserem Lande so ungerecht verteilt, dass es zum Himmel schreit. Ich habe, wie viele andere Gewerkschafter in diesem Land von dieser Bundesregierung erwartet, dass sie zumindest ihre Wahlversprechen umsetzen wird, denn dafür haben viele von unseren Kolleginnen und Kollegen ihr die Stimmen gegeben. Dass wir nun aber mit Entsetzen feststellen müssen, dass unter Kanzler Schröder die uralten Arbeitgeberforderung 1:1 umgesetzt werden und das Wahlprogramm der alles andere als arbeitnehmerfreundlichen FDP zur Handlungsmaxime der SPD erklärt wird, muss uns erschüttern. Für Konzerne, Großverdiener und reiche Privatiers hat sich unser Land - auch und gerade unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung - zu einer Steueroase entwickelt, sie zahlen fast nichts mehr. Kann es eine größére Ungerechtigkeit geben? Ist es nicht Aufgabe von uns Gewerkschaftern, die Finger in diese Wunden zu legen und diesen unhaltbaren Zustand zum täglichen Thema zu machen ? Wer soll es denn tun, wenn nicht wir ? Wann - wenn nicht jetzt ? Wo - wenn nicht hier ? Es gibt noch viele Argumente gegen den geplanten Sozialraub: Wer wie diese Bundesregierung darauf verzichtet, die Vermögenssteuer wieder einzuführen (versprochen im Wahlprogramm 1998), wer die Körperschaftssteuer der Kapitalgesellschaften senkt, wer die Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften betreibt, wer die Senkung des Spitzensteuersatzes für Großverdiener befürwortet usw. usf., der begünstigt die Vermögenden, die Spitzen-Verdiener, die Banken und Konzerne, und nur sie, weil er sie vorsichtig geschätzt mit mehr als 50 Mrd. Euro jährlich entlastet. Es gibt auf der anderen Seite viele Vorschläge (angefangen vom DGB über ver.di bis hin zur Memorandumgruppe der alternativen Wirtschaftswissenschaftler), die seriös errechnen wie sich auch ohne Agenda 2010 Mehreinnahmen von rund 100 Mrd. Euro jährlich einnehmen lassen würden - wenn man es denn politisch wollte ! Du schreibst eingangs Deines Artikels, dass es in unseren Nachbarländern harte innenpolitische Konflikte gegeben hat und gibt - bis hin zu politischen bzw. Generalstreiks. Ich bin nicht so vermessen zu behaupten, dass wir das auch hier und heute auf die Tagesordnung setzen können - soweit sind wir noch nicht, da fehlt es uns an Mobilisierungskraft. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass die Diskussion darüber, wie wir uns zur Wehr setzen können heute beginnen muss - sonst ist es morgen womöglich schon zu spät. Wir müssen meiner Meinung nach erkennen, dass wir viel zulange auf das falsche Pferd gesetzt haben: Unter dem Motto "Sozialpartnerschaft" ging es, koste es was es wolle, stets um die vermeindliche Erhaltung von Arbeitsplätzen und die Stärkung der nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit. All das hat aber nichts Zählbares für die Beschäftigten und die Erwerbslosen gebracht. Wenn man alleine schaut , wieviel Arbeitsplätze in den letzten Jahren in unserem Konzern abgebaut worden sind (Arbeitsplätze werden vernichtet und gehen nicht einfach "verloren"), wird einem schwindelig. Auch trotz Bündnisgespräche ist der Druck auf die Beschäftigten in den Betrieben enorm gewachsen - und ein Ende ist nicht abzusehen. Unsere jahrzehntelange Erfahrung, dass mit Lohnzurückhaltung und immer neuen Zugeständnissen bei Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit, Überstunden, tariflichen Standards usw. keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden, ist von den Gewerkschaften , auch nicht von unserer, nie aufgearbeitet worden. Wir dürfen uns darum nicht beklagen, dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen nicht genügend mobilisieren können, wenn wir nicht darüber und auch nicht über die Folgen des verheerenden Sozialabbaus für jede und jeden von uns informiern. Wir können uns nicht wirklich wundern, dass wir die Mitglieder unserer Gewerkschaft und die vielen Kolleginnen und Kollegen in unseren Betrieben nicht massenhaft auf die Strassen bringen, wenn wir die Meinungshoheit der Arbeitgeberverbände, der CDU/CSU, FDP und Regierung anerkennen und eben zum Teil auch noch unterstützen. Ich meine, es ist allerhöchste Zeit, dass wir in unserer Transnet darüber anfangen zu diskutieren, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. Das ist unser Thema und das sollten wir niemandem stellvertretend für uns überlassen. Um uns selber müssen wir uns selber kümmern. Ich habe in all den Jahren der Kämpfe und Auseinandersetzungen eines gelernt: Gespräche und Verhandlungen sind unverzichtbar - aber Appelle und Drohungen an die andere Seite haben noch nie etwas bewirkt - es reicht nicht nur tief Luft zu holen, wir müssen auch kräftig pusten! Die Arbeitgeber und die sie stützenden Parteien und Verbände verstehen nur eine Sprache besonders gut - die der gewerkschaftlichen Kämpfe. Auch wenn sich vieles ändert, der Grundwiderspruch dieses kapitalistischen Wirtschaftssystems hat sich nicht verändert, der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Was für das Kapital gut ist, ist eben nicht gut für die überwältigende Mehrheit der Menschen unseres Landes. Gerade wir Gewerkschafter sind verpflichtet unsere ganze Kraft einzusetzen - noch sind wir stark, das haben auch unsere Gegner erkannt - dass das, was unsere Mütter und Väter erkämpft haben, zu erhalten und auszubauen. Wir werden unser Land, unsere Demokratie bald nicht mehr wieder erkennen, wenn uns das nicht gelingt. Ich bin sicher, dass diese Regierung diesen unternehmerfreundlichen Kurs politisch nicht überleben wird, der Wähler wird sie abstrafen, völlig zu Recht. Die Konservativen in diesem Land werden aber ihr Werk fortsetzen und daran anknüpfend einen noch brutaleren Sozialabbau durchzuführen versuchen. Dieser Bundesregierung kommt der zweifelhafte Verdienst zu, den Weg für diese Entwicklung geebnet zu haben. Mit kollegialen Grüßen Michael Dubielczyk |