Gedanken
eines Kollegen:
Eisenbahner(innen)
knallhart vor die Frage gestellt:
konzentrierter
und organisierter Widerstand oder wehrlos auf die Schlachtbank?
· Der jüngste Konflikt um die drohende
Schließung der Werke - insbesondere die Demo am 19. Juli und die vielen dezentralen
Einzelaktionen vor Ort - sind ein Ausdruck starker Kampfbereitschaft bei den unmittelbar
Betroffenen und weit darüber hinaus. Die örtliche Solidarität - von Eisenbahnern, aber
auch aus anderen Branchen, Betrieben und Gewerkschaften - ist eindrucksvoll. "Endlich
steht mal einer auf und wehrt sich", sagten etwa in Limburg Besucher, die sich mit
den dortigen Kollegen solidarisierten. In Nürnberg sind Metaller, in Opladen
Bayer-Kollegen mit aktiviert worden. Dies stellt aber die Frage: Haben Hauptvorstand und
Geschäftsführender Vorstand eine klare Strategie zur Ausweitung des Widerstands gegen
das Mehdorn-Management und seine Ausverkaufspolitik, oder wird dieser Kampf (hinter
vorgehaltenem Mund und verschlossenen Türen) bereits für verloren gehalten?
· Die positive Äußerung unserer
Gewerkschaftsspitze zur Übernahme des Interregio-Verkehrs durch Connex hat viele
Kolleg(inn)en irritiert. Dass ein französischer Privatkonzern sich jetzt plötzlich als
grosser Retter aufspielen darf und die Gewerkschaftsführung dazu noch ihren Segen gibt,
wirft einige Fragen auf:
· In Magdeburg hatten wir aus gutem Grund
beschlossen, für den Erhalt einer einheitlichen und bundeseigenen Bahn zu kämpfen. Wozu
gibt es Beschlüsse des Gewerkschaftstages, wenn sich der Vorstand nicht daran hält?
· Der DB-Konzern ist (noch) in Bundesbesitz,
die Bundesregierung steht uns (angeblich) nahe, wir sind im Aufsichtsrat stark vertreten -
und da soll das Ausschlachten eines zentralen Bereichs aus dem DB-Konzern für uns die
einzige Rettung sein? Sind wir denn wirklich schon mit unserem Latein so am Ende, daß wir
uns dem nächstbesten privaten Investor bereitwillig in die Arme werfen und hoffen, dass
er es gut mit uns meint?
· Wer glaubt denn wirklich daran, Connex
würde alle Beschäftigten im Interregioverkehr und in den Werken zu den gleichen
Bedingungen weiterbeschäftigten? Alle Erfahrung zeigt: Privatisierung und
Wettbewerbsfähigkeit haben vor allem mit Lohndumping zu tun. Wir können nicht
widerstandslos mit ansehen, wie die betroffenen Kolleg(inn)en jetzt vom Regen in die
Traufe kommen.
· Ist die Propagierung einer Connex-Lösung
schon das Eingeständnis, dass wir den Kampf gegen die Trennung von Fahrweg und Betrieb
schon verloren haben, ehe dieser richtig begonnen hat? Ehe zynische Kolleg(inn)en fragen ,
ob hinter verschlossenen Türen schon über Aufsichtsratsmandate bei Connex verhandelt
wird, sollten wir diese Irritationen aus der Welt schaffen und klar feststellen: wir
kämpfen gegen Ausgliederung und Zerschlagung und für den Erhalt einer einheitlichen
bundeseigenen DB!
· Die bisher größte Chance, mit einer
bundesweiten Streikbewegung Zeichen zu setzen und das Widerstandspotential der
Eisenbahner(innen) zu bündeln, wurde im März 2000 vertan, als bei den Kölner
Tarifverhandlungen in letzter Minute der von aller Welt erwartete bzw. erhoffte Warnstreik
abgeblasen wurde. Die seitherige Tarifpolitik dividiert die Belegschaft immer mehr
auseinander und bringt reale Verschlechterungen sowie für diejenigen, die "nicht
mehr gebraucht werden", mittelfristig den Weg in die Arbeitslosigkeit. Die vom
Widerstand gegen die Werksschließungen ausgehende derzeit vorhandene zweite Chance eines
bundesweiten Abwehrkampfes im ganzen DB-Konzern droht durch die aktuelle Politik (siehe
aktive Befürwortung der Connex-Übernahme) wieder vermasselt zu werden. Mit jedem Monat,
der verstreicht, schmilzt auch das Kampfpotential dahin. Wir werden nicht mehr sehr viele
Chancen erhalten, um durch aktiven Widerstand englische Verhältnisse zu verhindern.
· "Können wir denn überhaupt streiken?
In Deutschland sind Generalstreiks illegal. Gefährden wir denn nicht die
Gewerkschaftskasse, wenn wir "illegale" Maßnahmen befürworten?". So und
ähnlich wird immer wieder argumentiert. Dazu folgende Gedanken:
·
Jahrelang ist auf Lehrgängen von
DGB-Gewerkschaften gelehrt worden: Neues Recht wird immer auch durch Infragestellung,
Bruch oder Übertretung bestehenden Rechts geschaffen. Wann und wie bestehende Gesetze
gegen Arbeitnehmer und Gewerkschaften ausgelegt und vollstreckt werden, ist immer auch
eine Frage des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses. So gab es in den letzten
Jahrzehnten in diesem Lande etliche (formal illegale) Betriebsbesetzungen und
Blockadeaktionen, die trotz Wehgeschreis aus dem Unternehmerlager eben kein juristisches
Nachspiel hatten, weil sie sehr populär waren und exemplarische Strafen nur Öl ins Feuer
gegossen hätten. Um ein anderes Beispiel anzuführen: Kirchenasyl (wie in Guben im August
2001 erfolgreich durchgeführt) ist ebenfalls strenggenommen illegal - aber niemand denkt
daran, gegen die Kirchen gerichtlich ins Feld zu ziehen. Die Arbeitsniederlegungen in
vielen Betrieben gegen das von der CDU/CSU angestrengte Mißtrauensvotum zum Sturz von
Kanzler Brandt im April 1972 waren auch politische Streiks - ohne gerichtliches Nachspiel!
·
Schließlich sind engagierte
gewerkschaftsnahe Juristen nicht nur dazu da, um uns zu sagen, was "nicht geht",
sondern aufzuzeigen, wie es doch geht. Wie man gezielt Tarifforderungen aufstellt, die
Verhandlungen scheitern läßt und dadurch die Möglichkeit legaler Kampfmaßnahmen hat.
Wo ein Wille ist, das ist ein Weg.
· Schon vor einiger Zeit wurde uns die
Hoffnung auf mehr Schlagkraft durch die Schaffung einer "europäischen
Bahngewerkschaft" gemacht. Was ist aus diesem Projekt geworden? Wie sieht es
überhaupt mit dem Informationsfluss zwischen den Eisenbahner(innen) in Europa aus?
· Kürzlich erfuhren wir über Umwege, dass
in den Niederlanden in den letzten Monaten spontane Eisenbahnerstreiks stattgefunden
haben. Hintergrund: die gleichen Probleme wie hier und in allen anderen eiuropäischen
Ländern auch. Warum erfahren wir darüber nichts in den gewerkschaftseigenen Medien?
Warum werden die Erfahrungen der britischen und französischen Kolleg(inn)en nicht
systematisch ausgewertet und allen Kolleg(inn)en zur Verfügung gestellt. Warum versuchen
wir nicht, europaweit Widerstand gegen die Privatisierung und Zerschlagung bisheriger
Staatsbahnen zu organisieren? Warum bringen
wir auf der im Dezember geplanten Demo in Brüssel anläßlich des EU-Gipfels nicht einen
machtvollen internationalen Eisenbahnerblock zustande? Warum lassen wir zu, dass wir
einzeln und isoliert voneinander zur Schlachtbank geführt werden? Warum nehmen wir
europäische Richtlinien als "gottgegeben" und "unveränderbar" hin,
während beispielsweise die deutsche Autoindustrie ihren Kanzler Schröder 1999 dazu
animiert hat, in Brüssel die Altautoverordnung vorläufig zu stoppen?
· Damit der Kampf gegen die
Werksschließungen nicht oberflächlich und nur rein symbolisch bleibt, ist eine
gründliche Diagnose notwendig. Sonst kämpfen wir nur gegen Symptome. Die Weichen für
all das, was wir jetzt ausbaden müssen, wurden Anfang der 90er Jahre gestellt. Als
"Reform" verkauft, wurde mit der formalen Privatisierung der Deutschen
Staatsbahnen 1994 die Grundlage für Zerschlagung, Ausverkauf, Rosinenpickerei und
Börsenbahn gelegt. Entgegen früherer Bekenntnisse hat sich die damalige Spitze unserer
Gewerkschaft leichtfertig die
Privatisierungsparolen zu eigen gemacht und ist den Dürrs Sirenenklängen (mehr Verkehr
auf der Schiene durch Wettbewerb, mehr Leistung ....) erlegen. Die Regisseure der
damaligen "Spätzle-Connection" sind nicht mehr im Amt und sind alle ebenso gut
versorgt wie die vielen Manager, die unser "Unternehmen Zukunft" nach einem
kurzen Gastspiel inzwischen wieder verlassen haben. Wäre es nicht ein Zeichen von
Stärke, wenn unsere Gewerkschaft jetzt endlich klar sagen würde: die Privatisierung war
ein Riesenfehler. Verhindern wir die endgültige Zerschlagung des Bahnkonzerns und
kämpfen wir für die Rückgängigmachung dieser fatalen Politik. Viele Postler und
Kolleg(inn)en aus inzwischen privatisierten kommunalen Einrichtungen und Eigenbetrieben
hierzulande und europaweit haben inzwischen ähnlich schlechte Erfahrungen gemacht. Suchen
wir mit ihnen den Schulterschluss - und kämpfen wir gemeinsam für eine Kehrtwende in der
Verkehrs- und Gesellschaftspolitik.
· Aus Opladen/Köln und Hannover wurde
berichtet, dass dort Kollegen von Bundesgrenzschutzkräften gewaltsam anb der Ausübung
ihrer demokratischen Grundrechte behindert wurden. In Hannover sollen am 19. Juli 2001
Eisenbahner(innen) vom BGS davon abgehalten worden sein, den Zug nach Berlin zu besteigen,
um an der Demo teilzunehmen. Solche Vorkommnisse müssen dokumentiert werden; wir dürfen
sie nicht stillschweigend hinnehmen, sondern müssen lautstark bei der Bundesregierung und
speziell dem BMI dagegen protestieren.
Ein besorgter Kollege