Privatisierungsgutachten begründet Angriffe auf Eisenbahnerinteressen ... und liefert Argumente gegen Privatisierung
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Mitte Januar
stellte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee dem Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags ein 560 Seiten starkes, von
der Beraterfirma Booz Allen Hamilton erstelltes Gutachten über Privatisierungsvarianten
der Deutschen Bahn AG vor. Das Dokument war im April 2005 von der alten Bundesregierung in
Auftrag gegeben worden. Regierende und Opposition mit Ausnahme der Linkspartei sind sich
einig, dass privatisiert werden soll. Die Frage ist nur noch: Soll die Bahn mit oder ohne
Netz an die Börse? Die Gutachter sehen
in einer anstehenden Entscheidung der Politik über eines der aufgeführten
Privatisierungsszenarien eine Weichenstellung für die nächsten 30 bis 50 Jahre: Korrekturen
eventuell fehlerhafter Entscheidungen können nur bedingt vorgenommen werden, so das
Gutachten im O-Ton. Der 1994 durch
Zusammenschluss von Bundesbahn und Reichsbahn eingeleitete Prozess der Bahnprivatisierung
sollte der neu gebildeten Bahn AG ermöglichen, sich unternehmerisch am Markt
zu betätigen und im Wettbewerb zu behaupten. Dadurch werde ein beispielloser Aufschwung
der Bahn in Deutschland einsetzen, versprach der damalige Bahnchef Heinz Dürr. Seither
hat der Bund so viel Geld in die Bahn gesteckt wie
nie zuvor und agiert das Bahn-Management im Sinne einer Privatisierung. Der Wettbewerb ist
in Deutschland mit 300 zugelassenen Bahngesellschaften weiter fortgeschritten als anderswo
in Europa. Doch auch das Gutachten stellt fest, dass sich der Anteil der verschiedenen
Verkehrsträger am gesamten Verkehrsaufkommen inzwischen weiter zugunsten der
Straße entwickelt hat. Eisenbahner haben
von einer materiellen Privatisierung und weiteren Liberalisierung keine Vorteile zu
erwarten. So erklärt das Gutachten, dass die Kostenvorteile der Wettbewerber
gegenüber DB-Töchtern auf 20 Prozent geschätzt würden in erster Linie durch
niedrigere Lohnkosten und höhere Arbeitsproduktivität. Bei zunehmender Liberalisierung
des Schienenverkehrs ist somit ein gnadenloser Dumpingwettbewerb vorprogrammiert. Das
Gutachten erwartet je nach Variante für die Nahverkehrssparte DB Regio ein Absenken des
Marktanteils im Schienenpersonennahverkehr von heute über 90 Prozent auf 50 oder 60
Prozent. Bei der öffentlichen Ausschreibung von Nahverkehrsleistungen bewerben sich
zunehmend Privatbahnen, weil hier milliardenschwere staatliche Regionalisierungsmittel
fließen. CDU/CSU, FDP und
Grüne streben nun eine komplette Zerschlagung des Bahnkonzerns an und wollen die
Transportgesellschaften zu 100 Prozent privatisieren, während die (tendenziell
defizitäre) Infrastruktur eher beim Bund bleiben sollte. Sollte diese Trennung nun
Wirklichkeit werden, so wäre dem Beschäftigungssicherungstarifvertrag der
Boden entzogen. Der konzernweite Arbeitsmarkt, der noch viele Eisenbahner
auffängt und umschult und die Rutsche in die Arbeitslosigkeit abbremst, wäre hinfällig.
Gewerkschafter fürchten dann gar den Verlust von 50.000 Arbeitsplätzen. Aber auch bei einem
integrierten Börsengang und Verkauf von nur 49,9 Prozent der
DB-Aktien blieben die Interessen der Eisenbahner auf der Strecke. Das Gutachten stellt
fest, dass auch bei einer Teilprivatisierung der Bund stets im Interesse aller
Aktionäre handeln würde: Der Kapitalmarkt erwartet diese Zurückhaltung auch
im Hinblick auf externe politische Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen.
Auch dann würden die Privataktionäre schnell auf Kostensenkung drängen und verlangen,
dass sich der Konzern von dem kostspieligen Job Service und von den mehreren
zehntausend Eisenbahnern trennt, die noch als Bundesbahner den Beamtenstatus erworben
haben. Das
Eisenbahngeschäft ist kapitalintensiv und wenig dynamisch und bleibt dies auch in
Privatisierungsszenarien, heißt es im Gutachten, das weiter zu bedenken gibt, dass
große Teile des Geschäfts staatlich beauftragt und bezuschusst werden und
sich hieraus eine große Abhängigkeit der Marktattraktivität und Renditeaussichten vom
Staat und die Zögerlichkeit bezüglich Markteintritt großer Wettbewerber
erkläre. Ein lesender
Eisenbahner wird sich fragen: Wozu dann überhaupt privatisieren? Jedenfalls nicht, um
nachhaltig mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Eine Verbesserung des
Marktanteils des Schienenverkehrs, wie er in Deutschland explizit angestrebt wird, stand
in den meisten Beispielfällen nicht auf der politischen Tagesordnung und wurde in der
Regel nicht erreicht. So stellt es jedenfalls das Gutachten nüchtern fest. Schienenpersonenverkehr
ist gesellschaftlich notwendig, kann aber insgesamt betriebswirtschaftlich nicht
profitabel sein, meint auch der US-amerikanische Professor Fred Gamst, der als
gelernter Lokführer den nordamerikanischen Eisenbahnverkehr hervorragend kennt und als
Gutachter für Gewerkschaften und Bahnen tätig ist. Kritische Fachleute wie er wurden von
Booz Allen Hamilton nicht berücksichtigt. Gamst warnt die deutschen Bahner und ihre
Gewerkschaften. Ich würde empfehlen, dass die DB die von den Eisenbahnern
erarbeiteten und von deutschen Steuerzahlern eingebrachten Mittel nicht dafür verwenden
sollte, die Taschen künftiger privater Aktionäre zu füllen. Hans-Gerd Öfinger,
1.2.06 Weitere
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