Die Privatisierer meinen es ernst Jetzt müssen wir uns wehren Einige Gedanken zur aktuellen Lage
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Die drohende Zerschlagung der Deutschen
Bahn AG setzt die Bahngewerkschaften unter Zugzwang. Nach neuesten Presseberichten drohten
Transnet und GDBA mit Streiks bei der Bahn auch während der Mitte 2006 in Deutschland
stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft. Na endlich, werden viele Kolleginnen und
Kollegen sagen. Hintergrund der Drohung ist das am letzten
Dienstag von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) vorgelegte Gutachten zur
Bahnprivatisierung, das unter Federführung der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton
ausgearbeitet worden war. In diesem Papier werden verschiedene Szenarien und Wege einer
Privatisierung der DB AG aufgezeigt. Die Bandbreite der Modelle reicht dabei von einer
völligen Loslösung des Schienennetzes von den Schienentransportgesellschaften im
Bahnkonzern bis hin zu einem integrierten Börsengang des gesamten DB-Konzerns
einschließlich Schieneninfrastruktur und Immobilien. Bahnchef Hartmut Mehdorn und die Vorstände
der drei Bahngewerkschaften Transnet, GDBA und GDL favorisieren dabei einen
"integrierten Börsengang" des Konzerns. Das Konzernmanagement orientiert seit
Jahren darauf, aus der bisherigen Staatsbahn einen internationalen Logistikkonzern zu
machen, der sich zu einem führenden Global Player entwickelt. Mehdorn hatte auf diesem
Wege auch den Aufkauf der Hamburger Hafenbetreibergesellschaft HHLA angestrebt, war dabei
aber erst letzte Woche von der Politik ausgebremst worden. Das Privatisierungsgutachten soll der
Politik als Entscheidungsgrundlage dienen, so dass bis zum Frühsommer mit einer
grundlegenden Weichenstellung zu rechnen ist. Die Große Koalition in Berlin will die Bahn
auf jeden Fall privatisieren. Dabei haben sich Verkehrspolitiker der CDU/CSU immer wieder
für eine Trennung von Fahrweg und Betrieb ausgesprochen. Hinter diesem Standpunkt, der
auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vertreten wird, steckt das Interesse
deutscher Konzerne, die mit Teilbereichen des Personen- und Güterverkehrs gerne eine hohe
Rendite erzielen würden. In diesem Sinne hat sich nach der Veröffentlichung des
Gutachtens durch Tiefensee auch der CDU-Verkehrspolitiker Dirk Fischer geäußert.
Demgegenüber ließ der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Uwe Karl Beckmeyer
Mitte dieser Woche offen, für welchen Weg sich seine Fraktion entscheiden würde.
Angesichts der Tatsache, daß nach dem Wirbel um die Hamburger Umzugs- und Aufkaufpläne
Mehdorns Stern in der Politik zu sinken beginnt, erscheint ein Votum der Politik für eine
Trennung von Netz und Betrieb als die wahrscheinlichste Variante. Damit stehen in
Deutschland über kurz oder lang Verhältnisse wie in Großbritannien ins Haus, wo der
Staat das (defizitäre) Netz betreibt und die Transportgesellschaften ansonsten zu 100
Prozent privatisiert sind. Auch die Grünen und die FDP tendieren in diese Richtung,
während der PDS-Parteitag im Oktober 2004 eine Bahnprivatisierung abgelehnt hatte und
auch der Fraktionschef der Linkspartei, Oskar Lafontaine, immer wieder eine Privatisierung
der Bahn kritisiert hat. Bei einer drohenden Zerschlagung der Bahn
kommen die Gewerkschaften in große Bedrängnis. Bei Transnet wurde den
innergewerkschaftlichen Privatisierungsgegnern um "Bahn von unten" immer wieder
vorgeworfen, mit ihrem grundsätzlichen "Nein" zur Privatisierung gefährdeten
sie einen "integrierten Börsengang" und damit die Einheit des Bahnkonzerns.
Doch der in Transnet jahrelang propagierte und praktizierte Schulterschluß mit
(Ex-)Kanzler Schröder und Bahnchef Mehdorn dürfte jetzt nicht die erhofften Früchte
tragen. Zur Unterstützung der "Börsenfähigkeit" der Bahn hatte haben die
Gewerkschaften auch zahlreiche tarifpolitische Rückschritte geschluckt. Auf dem Altar der
Börsenfähigkeit haben wir Lohnopfer gebracht und eine Arbeitszeitverlängerung sowie
Urlaubskürzung geschluckt. Jetzt drohen nach Transnet-Angaben bei einer Zerschlagung der
Bahn weitere 50.000 verloren zu gehen. Übrigens haben sich nicht nur Transnet-Sprecher,
sondern auch der GDL-Vorsitzende Schell und sein Stellvertreter Kinscher in
Zeitungsinterviews für einen Börsengang der Bahn ausgesprochen. Der Gewerkschaftsvorsitzende Norbert Hansen
hatte allerdings schon beim letzten Gewerkschaftstag im November 2004 mit Streiks gedroht,
falls das BDI-Modell einer Zerschlagung des Konzerns Wirklichkeit würde. Jetzt könnte
für die bisher sehr streikunfreudige Gewerkschaft bald die Stunde der Wahrheit kommen.
"Wir wollen nicht von vornherein die Weichen auf Streik stellen", relativierte
denn auch ein Transnet-Sprecher nach Medienberichten die Streikdrohung. Angesichts der
Fußball-WM im Frühsommer wäre Juni in der Tat ein passender Termin, um aller Welt zu
zeigen, dass wir uns gegen die Privatisierung wehren. Doch viele erinnern sich noch daran,
dass schon im Expo-Jahr 2000, als alle Welt nach Deutschland blickte, ein von den
Bahngewerkschaften angedrohter Streik in letzter Minute abgeblasen wurde. "Bahn von unten" weist darauf
hin, dass es bei solchen Streiks nicht darum gehen darf, nur eine Zerschlagung zu stoppen
und stattdessen einen (von Mehdorn angestrebten) Verkauf des Konzerns an US-amerikanische
"Heuschrecken" zu fördern. "Keine einzige Bahnaktie soll in private Hände
gelangen", hatte der Vertreter der britischen Bahngewerkschaft TSSA am Rande des
Transnet-Gewerkschaftstages gefordert. Darüber hinaus fordert "Bahn von unten"
die Bahngewerkschaften auf, vom erfolgreichen Widerstand der europäischen Hafenarbeiter
gegen das Port Package II zu lernen und europaweite Kampfmaßnahmen gegen die von der EU
bereits beschlossene Liberalisierung des Schienenverkehrs einzuleiten. Privatisierung und Liberalisierung sind
kein Naturereignis, das wir passiv über uns ergehen lassen müssen. Doch wir mussten uns
stets vorhalten lassen: Die Politik will nun mal privatisieren, da kann man nichts
machen. Daher sei es besser, die Privatisierung mitzugestalten, hieß es. Und
Norbert Hansen hat stets betont, Transnet wolle nicht unbedingt kämpferisch,
dafür aber lieber erfolgreich sein. Dass aber letztlich nur eine
kämpferische Gewerkschaftsstrategie erfolgreich sein und die Politik gewaltig unter Druck
setzen kann, das haben erst in den letzten Tagen wieder die europäischen Hafenarbeiter
mit ihrem Kampf gegen die europäische Hafenrichtlinie (Port Package II) unter Beweis
gestellt. Weil sie nicht nur vage mit Streiks drohten, sondern europaweit auch alle Kräne
still stehen ließen, entschied sich eine breite Mehrheit des Europaparlaments gegen die
Vorlage der EU-Kommission. Ohne diesen Druck hätte sich auch Bundesverkehrsminister
Tiefensee nicht so klar gegen das Port Package II geäußert. Demgegenüber wurde die
Liberalisierung der europäischen Eisenbahnen vom Europaparlament und den
Verkehrsministern Ende 2005 sang- und klanglos verabschiedet. Im Gegensatz zu den
Hafenstreiks wurde die Demo einiger tausend Eisenbahner in Brüssel auch von den Medien
und der Politik kaum wahrgenommen und beeindruckte auch Tiefensee kaum. Wenn 10.000 deutsche Hafenarbeiter durch
kämpferische Aktionen politische Entscheidungen kippen können, dann müssten 250.000
deutsche Eisenbahner dies noch viel besser schaffen. Bahn von unten 21. Januar 2006 Lest unsere Broschüre |
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