Erste
Einblicke: Mit dem Privatisierungsgutachten droht die Zerschlagung der Bahn |
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Die Drohung der Bahngewerkschaften Transnet
und GDBA, bei einem Bundestagsbeschluss über einen Börsengang der Bahn ohne die
Infrastruktur zeitgleich mit der Fußball-WM die Deutsche Bahn zu bestreiken, sorgt
weiterhin für Aufregung. So kritisierte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Fritz Kuhn,
mit dieser Androhung sei die Grenze des Erträglichen überschritten. Kuhn
sprach sich wie die Mehrheit der bürgerlichen Verkehrspolitiker gegen einen
vom Bahnvorstand favorisierten integrierten Börsengang und für eine Abtrennung der
Bahninfrastruktur von den DB-Transportgesellschaften aus. Dem hielt ein Sprecher der Bahngewerkschaft
Transnet entgegen, dass bei diesem Szenario ein massiver Verlust von 50.000
Arbeitsplätzen drohe. Hinzu komme, dass der erst kürzlich vereinbarte Tarifvertrag zur
Beschäftigungssicherung bei der Deutschen Bahn bei einer Auflösung des Konzernverbundes
wegfallen würde. Seit über einer Woche ist es amtlich: das
unter Federführung der Beraterfirma Booz Allen Hamilton erstellte Gutachten über
Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG. Schon ein Blick in die 44seitige
Managementfassung zeigt, wohin die Reise gehen soll und worauf sich
Eisenbahner einstellen müssen.. Alternativen sind nicht gefragt
Auf der Grundlage
des Gutachtens sollen nun die politischen Entscheidungsträger bis Frühsommer 2006 eine
grundlegende Weichenstellung über den weiteren Weg der Privatisierung vornehmen. Zwar
legt sich das Gutachten nicht auf eine Variante der Privatisierung fest. Doch der Trend
ist eindeutig. Nach dem Stand der Dinge ist zu befürchten, dass sich die Große Koalition
mit Hilfe von Grünen und FDP für eine Trennung von Fahrweg und Betrieb und
somit eine Zerschlagung der Deutschen Bahn AG einsetzen wird. In diesem Sinne äußerte sich nach der
Veröffentlichung des Gutachtens durch Tiefensee bereits der CDU-Verkehrspolitiker Dirk
Fischer. Demgegenüber ließen es Verkehrsminister Tiefensee und der verkehrspolitische
Sprecher der SPD-Fraktion, Uwe Karl Beckmeyer, offen, für welchen Weg sie sich
entscheiden würden. Verschiedene Interessen
Dass die
Befürworter einer Trennung von Fahrweg und Betrieb in dem Tauziehen um den Weg der
Privatisierung bessere Karten und die stärkere Lobby haben, ist kein Zufall. Hinter
diesem Standpunkt, der auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vertreten
wird, steckt das Interesse deutscher Konzerne, die mit Teilbereichen des Personen- und
Güterverkehrs gerne eine hohe Rendite erzielen würden, ohne ein allzu großes
unternehmerisches Risiko eingehen zu wollen. Somit droht einer Filetierung des Konzerns
und Rosinenpickerei. Demgegenüber will
das Konzernmanagement unter Hartmut Mehdorn aus der bisherigen Staatsbahn einen
internationalen Logistikkonzern und Global Player machen, der vor allem vom europaweiten
und weltweiten Güterverkehr profitiert und sich immer mehr vom heimischen Schienenverkehr
abkoppelt. Mehdorn möchte durch einen integrierten Börsengang so bald wie
möglich vollendete Tatsachen schaffen und durch eine offensive Vorwärts-Strategie frei
nach dem Motto Fressen oder gefressen werden das Heft des Handelns in der Hand
behalten. Daher der Aufkauf der US-Logistikers BAX Global für eine Milliarde Dollar und
der Versuch, die Hamburger Hafenbetreibergesellschaft HHLA zu erwerben. Bei einem
Börsengang à la Mehdorn würden aller Voraussicht nach milliardenschwere DB-Aktienpakete
in die Hände US-amerikanischer Investmentfonds gelangen. Dass Mehdorn auf diesem Wege
durch die Politik ausgebremst worden ist und auch Verkehrsminister Tiefensee den Termin
für einen Börsengang verschieben möchte, zeigt, dass Mehdorns Stern in der Politik
sinkt. Somit drohen uns Zustände wie in Großbritannien, wo sich das Schienennetz in
staatlicher Obhut befindet und die Transportgesellschaften zu 100 Prozent privatisiert
sind zum Nachteil der Beschäftigten und der Allgemeinheit. Von anderen Ländern lernen? Fehlanzeige! Das Privatisierungsgutachten ist durch und
durch ein neoliberales Machwerk. Für alternative Szenarien einer Bahn im öffentlichen
Besitz ist im Gutachten kein Platz. Die reale Erfahrung mit Privatbahnen und Staatsbahnen
in aller Welt und die negativen Erfahrungen für die Eisenbahner und die Allgemeinheit
spielen für die Vordenker der Privatisierungslobby keine Rolle. Dass die staatlich
betriebenen Schweizer Bahnen im Personen- und Güterverkehr weitaus besser genutzt werden
als die deutschen Bahnen ist für die Gutachter ebenso wenig ein Thema wie die negativen
Erfahrungen mit der Bahnprivatisierung in aller Welt von Großbritannien bis
Argentinien. Der argentinische Dokumentarfilm Chronik einer Plünderung
schildert eindrucksvoll auch den Niedergang der Eisenbahnen in diesem südamerikanischen
Land durch die dort seit 1988 betriebene Privatisierung. Von den einstmals über 35.000 km
Streckennetz sind seither über zwei Drittel stillgelegt worden. Weite Teile des Landes
sind inzwischen vom Schienenverkehr abgeschnitten. Doch all diese Erfahrungen sind für
die deutsche Politik ein Buch mit sieben Siegeln. Und wenn man wie im Gutachten
fast nur Privatisierungsbefürworter und bezahlte Lobbyisten und
Privatisierungspropagandisten interviewt, dann darf man sich über das Ergebnis nicht
wundern. Propaganda und Wirklichkeit Anfang der 90er Jahre versprachen
Protagonisten der Bahnprivatisierung wie der von Kanzler Kohl eingesetzte Bahnchef und
Industrie-Lobbyist Heinz Dürr eine Renaissance des Eisenbahnverkehrs nach
einer Bahn-Privatisierung. Wenn die Bahn nur von dem Korsett und
Prokrustes-Bett des öffentlichen Dienstrechts befreit würde und
unternehmerisch am Markt agieren dürfe und der Wettbewerb einkehre, so Dürr,
dann werde ein beispielloser Aufschwung der Bahn einsetzen. Das Privatisierungs-Gutachten
verweist Dürrs Propaganda-Visionen endgültig in das Reich der Utopie. Seit dem Beginn der formalen Privatisierung
1994 sind so viele öffentliche Gelder in den Schienenverkehr geflossen wie nie zuvor.
Seither agierte das Management der Bahn AG zunehmend wie das Management jedes anderen
privatkapitalistischen Konzerns. Inzwischen sind auf deutschen Schienen Loks und Züge von
über 300 verschiedenen Bahngesellschaften unterwegs und ist damit der Wettbewerb im
Schienenverkehr hierzulande weiter fortgeschritten als in fast allen anderen europäischen
Ländern. Doch auch das Privatisierungsgutachten kann sich nicht um die Tatsache drücken,
dass die propagierte Zielsetzung, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, bislang nur im
SPNV (Schienenpersonennahverkehr) erreicht wurde. Der Modal Split, so das Papier, also der
Anteil der verschiedenen Verkehrsträger am gesamten Verkehrsaufkommen, hat sich
weiter zugunsten der Straße entwickelt, heißt es wörtlich. Die Hand aufhalten für
Staatsknete Dabei sind die Zuwächse im
Schienenpersonennahverkehr nicht die Folge mutiger und risikofreudiger privater
Unternehmerinitiative, sondern Ergebnis milliardenschwerer staatlicher Investitionen etwa
in den Ausbau von S-Bahn-Netzen in Ballungsgebieten und in neues Rollmaterial. In diesem
Bereich, wo zunehmend Nahverkehrsverbindungen von den Ländern ausgeschrieben werden und
Jahr für Jahr milliardenschwere staatliche Gelder an die Anbieterfirmen zu vergeben sind,
erwarten die Gutachter übrigens auch die stärksten Einbrüche für den heutigen
Bahnkonzern. Je nach Privatisierungsvariante wird der Bahn-Tochter DB Regio, die derzeit
noch rund 90 Prozent des Schienenpersonennahverkehrs betreibt, ein Absacken auf
Marktanteile zwischen 60 und 50 Prozent im Jahre 2020 prophezeit. Im Klartext droht damit
für viele Lokführer, Zugbegleiter und andere Beschäftigte bei DB Regio
Arbeitsplatzverlust. Der gnadenlose Dumpingwettbewerb mit anderen Privatbahnen, die sich
ihren Teil an der Staatsknete sichern wollen, wird vor allem auf dem Rücken
der Beschäftigten ausgetragen. Viel bescheidener sind hingegen die Prognosen für die
DB-Konkurrenten im Schienenpersonenfernverkehr, für den keine staatlichen
Regionalisierungsmittel bereit stehen. Deren Marktanteile 2020 sehen die Gutachter nur
irgendwo zwischen 1 und 5,8 Prozent. Für den Güterverkehr werden Werte zwischen 18 und
27 Prozent genannt. Das Eisenbahngeschäft ist
kapitalintensiv und wenig dynamisch und bleibt dies auch in
Privatisierungsszenarien, heißt es im Gutachten, das weiter zu bedenken gibt, dass
große Teile des Geschäfts staatlich beauftragt und bezuschusst werden und
sich hieraus eine große Abhängigkeit der Marktattraktivität und Renditeaussichten vom
Staat und die Zögerlichkeit bezüglich Markteintritt großer Wettbewerber
erkläre.
Die Gewerkschaften hätten also gute Gründe,
um mit allen Mitteln gegen eine Trennung von Netz und Betrieb und gegen jede Form der
Privatisierung und für eine demokratisierte Staatsbahn zu kämpfen. Dass Politiker durch
gezielte Streiks im Verkehrsbereich durchaus unter Zugzwang gesetzt werden können, zeigt
die jüngste Ablehnung der Hafen-Richtlinie Port Package II durch das Europaparlament.
Doch dazu müssen die deutschen Bahngewerkschaften im Juni mehr Mut und Entschlossenheit
und weniger Vaterlandsliebe aufbringen werden als die italienischen
Gewerkschaftsführer. Denn die haben in den letzten Tagen mit der Regierung Berlusconi
eine Aussetzung aller Streiks und damit eine Art Burgfrieden für die Dauer
der Olympischen Winterspiele und der Paraolympics in Turin vereinbart. Hans-Gerd Öfinger |
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