|
Will die Autoindustrie die Bahn kaputtsanieren? |
|
Dr. Hans-Ulrich Hill aus
Wiesbaden ist regelmäßiger Bahnfahrer und hat uns zwei Leserbriefe an die Lokalpresse
zur Verfüguung gestellt. Er macht sich zur Misere der Bahn seine eigenen Gedanken. |
Wie
in der Presse am 20.1. gemeldet, erwägt die deutsche Bahn bis 2004 einen Abbau von bis zu
70000 der noch 240000 Arbeitsplätze und Kürzungen beim Personenverkehr. Allein im
Fernverkehr sollen 41 Millionen Zugkilometer gestrichen werden. Hintergrund: Der neue
Bahnchef Mehdorn will das Unternehmen bis 2004 kapitalmarktfähig machen. Die
Bahn wolle sich im Fernverkehr nur noch auf ein profitables Kernnetz konzentrieren und
nicht länger Leistungen für den allgemeinen Fernverkehr erbringen - z.B. für
Interregios oder die vorwiegend von Pendlern genutzten IC oder EC. Dazu sollen 8
Knoten für den ICE-Fernverkehr eingerichtet werden, von denen die ICE im
Halbstundentakt fahren.
Mein
Kommentar: Ein Schickimicki-Service für zahlungskräftige Kunden auf ausgesuchten
Luxusstrecken soll den Service der Bahn für die breite Bevölkerung ersetzen. Der
rigorose Personalabbau erweckt den Eindruck, dass der Service für die einfachen,
nicht-privilegierten Kunden systematisch abgebaut
werden soll, um sie von der Bahn ins Auto und damit in den Dauerstau zu drängen. Wenn
dann die Kundenzahlen der Bahn im Normalverkehr weiter sinken, fordern die
Besitzer des shareholder value dann schließlich die Stillegung dieses gesamten
Normalverkehrs. Ist der neue Bahnchef Mehdorn vielleicht ein verkappter Manager der
Auto-Industrie, der die lästige Konkurrenz der Bahn kaputtsanieren soll?
Wenn
das Service-Personal weiter zusammengestrichen wird, dann werden die Pendler sich in den
wenigen, noch gnädigerweise übriggelassenen Nahverkehrszügen mit verringertem
Sicherheitsstandard und verschlossenen Toiletten drängen, wie es schon jetzt oft der Fall
ist, ganz abgesehen von den nicht in den Griff bekommenen Verspätungen. Bleibt nur noch das
Auto, um morgens vor der Arbeit stundenlang im Stau zu stehen. Das Volk wird
in 2 Teile geteilt: den Profiteuren des shareholder value, die im ICE von Knoten zu
Knoten brausen können, und den leider immer Benachteiligten, die die Schikanen der
Planer da oben gefälligst zu tragen haben.
· Weitere Katastrophen sind vorprogrammiert Alte Systeme degenerieren -
bis die Degeneration ein Maß erreicht hat, wo das System seine Anpassungsfähigkeit an
die veränderten Umweltbedingungen verloren hat. Dann ist der Zeitpunkt der irreversiblen
Vernichtung des Systems absehbar, so der Soziologe und System-Theoretiker Niklas Luhmann.
Das Bahnsystem gibt hierfür ein gutes Beispiel: frustrierte Mitarbeiter, genervte Kunden,
verlotterte Gleise und Bahnhöfe, alles eine Folge jahrzehntelanger Untätigkeit beim
Management, möglicherweise sogar gewollt. Angeblich um Kundenwünsche zu
berücksichtigen, wurde ein auch für das Fachpersonal undurchsichtiger Tarifwirrwarr
geschaffen, der erst recht die Kunden ratlos die Schalter blockieren lässt. Dazu kommt
noch der Wust von Sonderangeboten (Twen-Ticket, Guten Abend-Ticket). Nun, Anfang 2000,
auch noch das finanzielle Desaster, obwohl aus Bonn reichlich die Finanzen flossen. Der
Bimbes versickerte in Luxus- und Prestigeobjekten, anstatt in die marode Infrastruktur
investiert zu werden. Bahnsteige in Dresden wurden mit Granit belegt, der Fußboden des
Bahnhofs in Cottbus beheizt, am Frankfurter Flughafen-Bahnhof eine Glaskuppel erreichtet,
die 1 Jahr später wieder abgerissen wird, und ein für Milliarden errichteter moderner
Container-Bahnhof wurde nach 1 Betriebsjahr wieder geschlossen und abgebaut. Eine
Neubaustrecke von Nürnberg nach Erfurt verlängert die Verbindung von München nach
Berlin um 40 Minuten, dafür mussten wertvolle Landschaften und Biotope geopfert werden.
Es gibt noch viele weitere Beispiele für derartig absurde Fehlentscheidungen. Man fragt
sich, ob diese offenbare Unfähigkeit des Bahn-Managements auf einer Ansammlung von
Schwachsinnigen im Vorstand oder - eher wahrscheinlich - auf einer wohldurchdachten
zielorientierten Strategie beruht. Wenn Bahnchef Mehdorn nun
1/3 der Bahn-Mitarbeiter auch noch in den sicherheitsrelevanten Funktionen der Lokführer,
Zugbegleiter und Stellwerker einsparen will, sind Katastrophen von der Größenordnung
Eschede vorprogrammiert. Sparen in einem maroden, aber gesellschaftlich notwendigen
Dienstleistungs-System - auch das "hat System" und lässt nur eine
Schlussfolgerung zu: es ist beabsichtigt, die Bahn soll zerstört werden. Warum? Hier muss
man spekulieren: Im Zeitalter der Degeneration des politischen Systems der
"Bimbesrepublik Deutschland" bestimmen die Spender der Schwarzen Koffer in der
Lobby des Bundestages und der EU-Institutionen in Brüssel, wo es lang geht. Die Lobby der
Auto-Industrie ist eine der mächtigsten, und die Bahn ist für sie ein zu beseitigender
Störfaktor. Wer weiß denn, ob und wann Herr Mehdorn für sein Zerstörungswerk schwarze
Koffer erhalten hat? Was spielt da noch eine Rolle, dass Millionen von Arbeitnehmern auf
ein öffentliches Verkehrsmittel wie die Bahn angewiesen sind? |
|