Hintergründe der Warnstreiks bei
der Bahn |
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Die Warnstreiks der vergangenen Woche und die
für den 14. März 2003 geplante Großkundgebung der Eisenbahnergewerkschaft Transnet
zeigen: die Stimmung der (ansonsten ruhigen und sehr leidensfähigen) Eisenbahner nähert
sich dem Siedepunkt. Eisenbahner
viele sind im Betriebsdienst rund um die Uhr tätig sind keine
Spitzenverdiener. Ein Lokführer kommt gerade mal auf 1257,76 Euro netto, einem Rangierer
wird die Knochenarbeit mit 1058,72 Euro monatlich vergütet (beide Beispiele bei 2 Kindern
und Steuerklasse 4 im Tarifgebiet Ost; im Tarifgebiet West liegt der entsprechende Betrag
nicht mal 100 Euro drüber). Der
Niedergang der Deutschen Bahn hat schon vor 50 Jahren eingesetzt, als die bundesdeutsche
Verkehrspolitik unter dem Einfluß der Automobil-, LKW-
und Mineralöllobby systematisch auf die Straße setzte und bis zum heutigen Tage
die Eisenbahn im Wettbewerb der Verkehrsträger in jeder Hinsicht benachteiligte.
Dem Bau von zigtausend Kilometer Straßen und Autobahnen stand bis 1990 ein Neubau von nur
wenigen hundert Kilometern Schienenstrecken gegenüber. Als Anfang der 90er Jahre der von
Kohl zum Bahnchef ernannte Heinz Dürr und die hinter ihm stehende (Auto-)Lobby auf
Liberalisierung der Verkehrsmärkte und Privatisierung der Bahn setzten, hatten sie weder
Wohl und Wehe der Eisenbahner noch die Interessen der Bahnkunden im Sinn. Mit der Bildung
der DB AG zum 1. 1. 1994, dem Einstieg in die Privatisierung, sollte, so die offizielle
Propaganda, die Bahn "unternehmerisch flexibler" gemacht werden und verlorene
Marktanteile zurückgewinnen. Die Bilanz ist ernüchternd. Während die Produktivität um 180% gesteigert und
die Personalkosten um 28% gesenkt worden
sind, hat der DB-Konzern seither rund 150.000 Arbeitsplätze abgebaut. Gleichzeitig
schoben gestreßte Eisenbahner alleine im Jahre 2002 einen Berg von 14 Millionen
Überstunden vor sich her. Ähnlich
wie bei der Post und privatisierten kommunalen Betrieben bedeutete bei der Bahn die
Privatisierung zunächst einmal deutlich höhere Managersaläre und gleichzeitig
schlechtere Einkommen und Sozialleistungen für die neu eingestellten Eisenbahner. Die
widersinnige Aufgliederung des DBAG-Konzerns in verschiedene Unternehmenssparten (rund 200
Töchter) hat nicht weniger, sondern mehr Bürokratie und
Koordinierungsmängel gebracht. Einige gewinnträchtige Bereiche wurden an Private
verhökert (so z.B. ging die bahninterne Telekommunikation an Arcor). Ein Teil der
Defizite ist hausgemacht und geht auf das Konto von Fehlplanungen praxisferner Manager,
überdimensionierten Bauprojekten etwa bei Schnellstrecken und horrenden Honoraren für
externe Unternehmensberater, die mit ihren Umstrukturierungsplänen die Eisenbahner(innen)
extrem verunsichern und ihnen die letzte Motivation rauben. Auch wenn bei der alten Bundesbahn und
Reichsbahn viel Bürokratismus herrschte: die meisten der früheren Führungskräfte waren
überwiegend selbst Eisenbahner mit Leib und Seele und kannten den Betrieb in- und
auswendig. Demgegenüber kommen viele der heutigen Manager (sie sehen die Bahn nur als
Durchgangsstadium ihrer Karriere an) aus der Luftfahrt- und Autoindustrie und betreiben
eine entsprechende Unternehmenspolitik (siehe neues Preissystem, Werbung für
DB-Carsharing an Bahnschaltern etc). In ihren Augen taugt die DB AG bestenfalls als
Zubringer für den Luftverkehr und Mietwagenfirmen. Bahnchef Mehdorn macht aus seiner
Philosophie keinen Hehl: über 400 km Entfernung werde Bahnfahren zur Tortur, erklärte
er, und auf längeren Strecken könne die Bahn sowieso keine Konkurrenz zum Flugzeug
darstellen. Mehdorn verfolgt konsequent sein Ziel
einer kleinen, feinen und börsenfähigen Fernbahn mit
ICE-Taktverkehr zwischen Knoten in den wichtigsten Ballungsgebieten und Flughäfen.
Insider weisen seit Jahren darauf hin, dass dabei der Nah- und Regionalverkehr und der
Güterverkehr unter die Räder kommen. Dabei nutzen rund 90% der Fahrgäste die Bahn im
Nahverkehr (Fahrten unter 50 km Entfernung) und bringt der Nahverkehr dem Bahnkonzern fast
50% des Umsatzes ein. Daß die
DB Regio (Tochter für den Nahverkehr) sich auf den städtischen S-Bahn-Verkehr
konzentriert und jetzt zunehmend Ausschreibungen für Nebenstrecken in der Fläche an
landeseigene Mini-Bahngesellschaften mit schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen
verliert, scheint den Bahn-Managern durchaus entgegenzukommen. Bietet dies doch einen
willkommenen Vorwand für weiteres Lohndumping und Rationalisierungen auf dem Rücken der
Eisenbahner notfalls lässt sich da auch durch eigene Ausgründungen und
Scheinfirmen unter der Regie der DB nachhelfen, die dann bestehende (und
ohnehin nicht sehr üppige) Einkommens- und Rahmentarife völlig untergraben. Daß
jetzt eine Vielzahl kleiner Bahngesellschaften wie Pilze aus dem Boden springt, erinnert
an längst vergangene Zeiten der Länderbahnen im vorletzten Jahrhundert und ist
keinesfalls fortschrittlich. Wir sind auf dem besten Wege zu britischen Verhältnissen.
Der vielgepriesene Konkurrenzkampf auf Schienen wird knallhart ausgetragen
durch Kostensenkung auf dem Rücken der Eisenbahner, der Sicherheit und letztlich
auch der Kunden. Schon jetzt driften Standards, Fahrzeugnormen und Tarife immer mehr
auseinander und werden Vergünstigungen (BahnCard, Wochenendticket) nicht mehr
flächendeckend anerkannt. In
Großbritannien, wo die Privatisierung unendlichen Schaden angerichtet und viele Menschen
wieder zum Autofahren gebracht hat, fordern Bahngewerkschaften und gut 70 Prozent der
Bevölkerung die Wiederverstaatlichung der Eisenbahnen. In der Tat: Eine Zukunft im
Interesse von Mensch und Umwelt hat die Bahn nur als einheitliches Ganzes und in
öffentlicher Trägerschaft. Statt Bevormundung durch praxis- und bahnferne Manager und
Unternehmensberater sollten die Beschäftigten selbst ihre Kompetenz zum Zuge bringen und
Kontrolle im eigenen Unternehmen ausüben. Die
Eisenbahner sind gut beraten, wenn sie in diesen Tagen die geballte Faust aus der Tasche
holen, sich weiter kampfbereit zeigen und nicht durch konkurrierende Gewerkschaftsapparate
auseinanderdividieren lassen. Sonst werden sie weiter unweigerlich wie Lämmer einzeln zur
Schlachtbank geführt. Nur wer streikt, wird letztlich auch gehört werden und seine
Interessen verteidigen können. Hans-Gerd
Öfinger |