Was geht derzeit in der IG Metall vor sich?
Interview mit Alfred Matejka

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Wie kam es zur Niederlage im ostdeutschen Metallerstreik für die 35 Stunden-Woche und was geht derzeit in der IG Metall ab?

Wir befragten hierzu Alfred Matejka, Betriebsratsvorsitzender bei Federal Mogul (ehemals Glyco) in Wiesbaden. Der Betrieb ist Zulieferer der Automobilindustrie, Europas größter Hersteller für Gleitlager und Buchsen und hat derzeit rund 2100 Beschäftigte.


Wie kam es zur Niederlage der IG Metall im Streik um die 35 Stunden-Woche?

Der Kampf für die 35-Stunden-Woche im Osten ist im ersten Ansatz verloren worden. Meine Hauptkritik: diesen Kampf hätte man unter keinen Umständen nur im Osten führen dürfen, sondern nur gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen im Westen und möglichst in Verbindung mit der Lohnrunde und anderen weitergehenden Forderungen.

Wir im Westen haben den Einstieg in die 35-Stunden-Woche 1984 erst nach mehrwöchigen Auseinandersetzungen durchgesetzt. Als es nun um den Aufgang der Sonne im Osten ging, waren wir hier im Westen mehr Zuschauer als Akteure.

Nach dem Abschluß eines Stufenplans zur Einführung der 35 Stunden-Woche für rund 9000 Beschäftigte der Stahlindustrie Anfang Juni wurde klar: die sächsischen Metallarbeitgeber wollen keinen Kompromiß. Nur mit aktiver bundesweiter Rückendeckung wäre ein Sieg der IG Metall möglich gewesen.

Die Medien zogen über die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung her wie schon lange nicht mehr ...

Arbeitszeitverkürzung dient grundsätzlich dazu, Arbeitslose von der Straße zu holen und in die Produktion zu integrieren. Betriebsräte müssen bei der konkreten Umsetzung im Betrieb dafür sorgen, daß die tarifvertragliche Arbeitszeitverkürzung nicht durch Mehrarbeit kompensiert wird. In unserem Werk wurden seit Mitte der 80er Jahre durch Arbeitszeitverkürzung rund 200 neue Arbeitsplätze für bisher arbeitslose Menschen geschaffen.

Unsere Kolleginnen und Kollegen im Osten haben auch für uns hier im Westen gekämpft. Die Forderung von Unternehmern und Politikern nach Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche sollte für uns eine Warnung sein.

Wieder gab es massive Propaganda gegen die IG Metall, die angeblich den „Standort“ und die Arbeitsplätze gefährde und eine Abwanderung der Betriebe nach Polen oder Tschechien provoziere.

Viele US-amerikanische Manager wissen gar nicht, wo Ostdeutschland, Polen oder Tschechien liegen. Wenn sie eine strategische Entscheidung treffen, in ein Billiglohnland zu gehen, dann ist dies längerfristig und grundsätzlich und unabhängig von der gültigen Wochenarbeitszeit. Mit einer hohen Produktivität, hoch qualifizierten Arbeitern  und sehr guter Infrastruktur bei vernünftigen Schichtmodellen ist der Wiesbadener Betrieb selbst bei einer 35 Stunden-Woche durchaus wettbewerbsfähig.

Weltweit fragen sich aktive Gewerkschafter: Worüber wird denn in der IG Metall gestritten?

Die Niederlage der IG Metall im ostdeutschen Streik war nur der Auslöser für die Diskussion in IG Metall und Öffentlichkeit. Schröder, der Mann der Autokonzerne, hat der SPD seinen bzw. den Willen dieser Konzerne aufgedrückt. Jetzt soll sich die IG Metall ebenfalls nach deren Willen ausrichten. Es geht um viel mehr als um Personen, es geht um die Grundausrichtung der größten Industriegewerkschaft Europas. Die Frage lautet: wird sich die IGM künftig in Wort und Tat als Gegenmacht zum Kapital bzw. zu der herrschenden Klasse darstellen, oder wird sie zum Bittsteller degenerieren. Um diese zwei Grundlinien geht es. Hier muß der Gewerkschaftstag eine Weichenstellung bringen.

Wie nie zuvor sind in letzten Wochen Betriebsratsvorsitzende großer Autokonzerne als „Sprecher der Basis“ in den Medien zu Wort gekommen – sie haben mehrheitlich gegen Peters und den Streik im Osten gesprochen.

Bei einigen habe ich den Eindruck, sie benehmen sich wie ein Gockel auf dem Misthaufen und bilden sich ein, die Sonne würde nur ihretwegen aufgehen, wenn sie einen Artikel über sich in der Zeitung lesen. Manche Betriebsräte empören sich, wenn es hier im Westen zu Produktionsausfall kommt und „ihre“ Mitarbeiter in Kurzarbeit gehen müssen. Sind sie dann nicht mehr fähig, Zusammenhänge zu erklären, wenn ein Streik Wirkung zeigt?

Bei diesen Betriebsratsvorsitzenden frage ich mich: Sind sie noch Sprachrohr der Belegschaften, die vor 19 Jahren gegen den erklärten Willen der herrschenden Klasse den Einstieg in die 35-Stunden-Woche durchgesetzt haben, oder sind sie mittlerweile zum Sprachrohr der Geschäftsleitung in den Konzernen geworden? Wenn gefordert wird, diese Betriebsratsvorsitzenden mit ihrer „Basisnähe“ sollten in die IG Metall-Spitze aufrücken, dann frage ich mich: Was denkt ein Facharbeiter über einen Betriebsrat, der aus seinen Reihen „aufgestiegen“ ist und jetzt einen Porsche 911 als Dienstwagen fährt oder 8.000 bis 10.000 Euro monatlich verdient – also sehr weit über Tarif?

Dazu fällt mit nur ein: „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“, oder: „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing“.

Wie sieht man bei Federal Mogul im Westen die Probleme mit dem Streik bei Federal Mogul in Dresden? Medien berichteten über gezielte Hubschraubereinsätze, mit denen der Streik unterlaufen wurde.

In einem Kampf um Arbeitszeitverkürzung prallen die Interessen von Kapital und Arbeit aufeinander. Das Management war darauf vorbereitet, Belegschaft und IG Metall weniger gut. Das ist kein persönlicher Vorwurf, sondern hat auch mit den mangelhaften Möglichkeiten der Dresdener Kolleginnen und Kollegen zu tun, deren Arbeitskampf auch im Vergleich zu unseren früheren Streiks viel brutaler ausgefochten wurde. Bei der massiven Propaganda durch Geschäftsleitung und Medien hatte der Betriebsrat dort einen schweren Stand. Jeder Arbeitskampf ist auch ein Kampf um die Köpfe, bei dem die Gegenseite versucht, die Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Drohungen mit Produktionsverlagerung und dazu noch Unterwürfigkeit von vielen wie in früheren  Zeiten haben diesen Sieg der Kapitalseite möglich gemacht. Alte SED-Kader in Dresden arbeiten heute Hand in Hand mit den Vertretern der US-amerikanischen Aktionäre zusammen, während solche Kollegen, die früher nicht in die SED eintreten wollten, vor dem Tor Streikposten standen. Diesen Eindruck haben mir Kollegen bei einem Besuch in Dresden mitgeteilt.

Was ist überhaupt in Klaus Zwickel gefahren?

Zwickel ist unfähig, zu Millionenabfindungen für Mannesmann-Manager „Nein“ zu sagen und kritisiert auf der anderen Seite öffentlich die Streiktaktik der IG Metall, für die angeblich alle anderen verantwortlich sind, nur nicht er selbst. Wenn einer schnellstens seine Koffer packen und in Rente gehen sollte – dann ist es Klaus Zwickel.

Jürgen Peters ist jetzt der Prügelknabe der Medien und der „Reformer“ ...

Jürgen Peters steht für langjährige geradlinige Gewerkschaftsarbeit. Ihn als „Betonkopf“ zu bezeichnen ist absoluter Blödsinn. Zwickel konnte bei der Nominierung für den Vorsitz im Frühjahr seinen Favoriten Berthold Huber nicht durchsetzen und versucht jetzt die Revanche. Was sich der Noch-Vorsitzende Zwickel leistet, ist absolut unverantwortlich. Offensichtlich geht es in diesem „Machtkampf“ darum, durch welche Person für die nächsten Jahre die IG Metall politisch ausgerichtet wird.

Daß Verbandsvertreter der Gegenseite, Parteienvertreter und ihre Meinungsmacher in den Medien Front gegen uns machen, darf doch niemanden verwundern. Oder was sollen wir von ihnen erwarten? Jürgen Peters als nominierten Kandidaten für den Vorsitz abzuservieren, das wäre dann noch das Sahnehäubchen für die Herrschenden dieses Landes.

Wer mit „Reform“ oder „Modernisierung“ letztendlich die Unterordnung unter die Macht des Kapitals meint und politisch auf Kanzlerkurs geht, darf sich nicht wundern, daß die Gegenmacht IG Metall zum Bittsteller mutiert.

Die herrschende Meinung ist immer die Meinung der Herrschenden. Die Medien versuchen  mit aller Macht, Peters nieder zu machen. Damit soll erreicht werden, daß ein künftiger Vorsitzender der IG Metall „pflegeleicht“ wird und nicht mehr eine Gegenmachtposition zum Kapital bezieht. Wir brauchen aber an der Spitze unserer Gewerkschaft eine Person, die nicht im Gesäusel von Sozialpartnerschaft ertrinkt, sondern die gesellschaftlichen Machtverhältnisse klar erkennt. Wenn Peters verliert, dann setzt sich immer mehr ein Schmusekurs mit Kapital und Regierung und ein Kurs à la IG BCE durch. Daher empfehle ich: klar für Peters, aber ohne Blankoscheck. Wir brauchen in der IG Metall einen viel stärkeren Einfluß kämpferischer Kolleginnen und Kollegen auf allen Ebenen.

Die Belegschaft und IG Metall-Vertrauensleute von Federal Mogul Wiesbaden war stark bei der regionalen DGB-Demo in Kassel gegen die Agenda 2010 vertreten – und mit einem unübersehbaren Transparent und der Parole „Heute Generalprobe – morgen Generalstreik – wir sind bereit“.

Das Mitgliedermagazin „Metall“ bringt in der aktuellen Ausgabe einen gelungenen Titelbericht zum Thema „Europa streikt“. In Gewerkschaftsschulen wird nach wie vor der Grundsatz gelehrt „nicht für, sondern nur mit den Kollegen kämpfen“.  Demokratie hat nur eine Überlebenschance, wenn die Gewerkschaft ihre Mitglieder in soziale Kämpfe einbezieht, sonst wird die demoralisierte Masse wieder einigen Demagogen nachlaufen. Wir kritisieren, daß der DGB und die Einzelgewerkschaften den Kampf gegen die Agenda 2010 aufgegeben haben – ohne Not und ohne die Massen zu mobilisieren. Sie haben vor Schröder gekuscht.

Was für Konsequenzen ergeben sich jetzt aus dem verlorenen Streik und der Krise der IG Metall?

In unserem Betrieb spielt diese Niederlage keine Rolle. Austritte gab es keine. Alle aufrichtigen Kämpfer für unsere Sache sollten sich jetzt sagen: auch nach der Niederlage besteht erst recht Anlaß, die Arbeit weiter fortzuführen.

Vor dem außerordentlichen Gewerkschaftstag sollten vor Ort in der Verwaltungsstellen außerordentliche Delegiertenversammlungen laufen, damit die Delegierten bei der Wahl den Auftrag ihrer Basis kennen.

Grundsätzlich gilt: Solidarität muß immer spürbar sein – persönlich und gesellschaftlich. Wir werden die Geschichte weiter in unserem Sinne beeinflussen. Millionen stärker als Millionäre – heute wie vor 150 Jahren.


Das Interview führte Hans-Gerd Öfinger

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