Als
vor 10 Jahren der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit das gigantische Projekt der
Privatisierung der Deutschen Bundespost und Umwandlung ihrer drei Säulen Post, Telekom
und Postbank in Aktiengesellschaften beschloß, wurde dies in der bürgerlichen
Öffentlichkeit als notwendiger Übergang von der verstaubten Behörde zum
modernen, kundenorientierten und flexiblen Dienstleistungsunternehmen gefeiert.
CDU/CSU
und FDP betrieben damals mit ihren Postministern Schwarz-Schilling (CDU) und Bötsch (CSU)
konsequent die Privatisierung und konnten sich für die zur Grundgesetzänderung
notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit auf die Mehrheit der (unter gewerkschaftlichem Druck in
dieser Frage gespaltenen) SPD-Fraktion stützen. Für die Post-Privatisierung stimmte 1994
auch der Pivatisierungskritiker und Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL
(im Deutschen Beamtenbund), Manfred Schell, der als Nachrücker und CDU-Abgeordneter ein
Jahr lang im Bundestag saß.
Die
Deutsche Postgewerkschaft (inzwischen in ver.di aufgegangen) und linke
Privatisierungskritiker warnten allerdings schon damals vor den Folgen, die die
Liberalisierung und das
Ende der flächendeckenden staatlichen Daseinsvorsorge und Gemeinwohlverpflichtung der
Post vor allem für Kleinkunden in Stadt und Land mit sich bringen würden. Doch es sollte
Jahre dauern, bis eine breitere Öffentlichkeit hautnah die unerträglich gewordenen
Folgen der Privatisierung zu spüren bekam und sich lautstark zu Wort meldete.
Ob
in Hamburg-Eimsbüttel, Berlin-Lübars, Erkrath im Rheinland, Rheinböllen im Hunsrück
oder Althengstett in Baden-Württemberg überall haben die vom Post-Management
vorangetriebene Demontage von Briefkästen (die Zahl bundesweit wurde von
140.000 auf 108.000 reduziert)
und die Schließung von Post-Filialen in den letzten Monaten einen Sturm der Entrüstung
mit Protestversammlungen, Unterschriftenlisten und anderen Aktivitäten ausgelöst und
Lokalpolitiker auf den Plan gerufen. Dabei
setzten sich desöfteren auch die Mittäter von damals wirkungsvoll als Anwalt der Opfer
in Szene so zum Beispiel der CDU-Politiker Hans-Joachim Fuchtel, der seit 1987 den
Wahlkreis Calw (Nordschwarzwald) im Bundestag vertritt, 1994 mit seinem Votum die
Privatisierung abgesegnet hatte und jetzt nach Hinweisen aus seinem Wahlkreis empört beim
Post-Management gegen die Demontage von Briefkästen intervenierte.
Als
der hessische Ministerpräsident Roland Koch (aus seinem CDU-Landesverband stammt der
frühere Postminister Schwarz-Schilling) im November 2003 mit einer massiven landesweiten
Protestbewegung gegen seine Politik des sozialen Kahlschlags konfrontiert war, versuchte
er es angesichts der Unzufriedenheit mit der Postversorgung im Lande mit einen Befreiungsschlag:
Seine Landesregierung griff publikumswirksam den Volkszorn über die Post auf und
kündigte eine Bundesratsinitiative an. Ziel dieser Initiative: Durch Änderungen an Postgesetz
und Post-Universaldienstleistungsverordnung sollen die Zahl der Briefkästen auf 100.000
festgeschrieben und eine Schließung von Postfilialen in Ortsteilen mit mehr als 2000
Einwohnern verhindert werden.
Einen
solchen Populismus seitens örtlicher CSU-Größen beklagt auch
niederbayerische Postler und Gewerkschafter Karsten Wettberg: Scheinheilig ist, wenn
konservative Mandatsträger JETZT über die Situation schimpfen. War es doch gerade die
CSU, die uns (der Deutschen Postgewerkschaft) die Unterstützung verweigert hatte, als wir
gegen die Postreform 1 und 2 demonstriert und auf die Folgen für die Bürger hingewiesen
haben. Jetzt ist es für die Betroffenen sichtbar und spürbar: Die Privatisierung der
Post bringt dem Flächen-Regierungsbezirk Niederbayern nur Nachteile. Die postalische
Versorgung auf dem Lande ist zunehmend gefährdet, außer es werden entsprechende Preise
bezahlt. Denn die früher sozialen Postgebühren werden der Firmenstrategie eines
"Global Players", der sich an der Börse behaupten muss, nicht mehr gerecht. Es
lebe die Börse - der brave, einfache Bürger ist der Leidtragende.
Während
Post-Bedienstete in früheren Jahrzehnten zwar keinen üppigen Lebensstandard, aber
wenigstens ein erträgliches Auskommen und soziale Absicherung hatten, kritisiert Karsten
Wettberg auch den Umgang der Post-Manager mit ihrem Personal: Auch die Gehalts- und
Lohnpolitik im Rahmen der neuen Strukturen der letzten Jahre bringt die Postlerinnen und
Postler immer mehr in die Nähe des Sozialhilfeniveaus. Ganz besonders dann, wenn die
körperliche Leistungsfähigkeit nach Jahrzehnten anstrengenden Postdienstes nachläßt.
Die
alte Bundespost in der alten BRD mit ihren Säulen Post, Telekom und Postbank war kein
maroder defizitärer Betrieb. Ende der 80er Jahre warf sie noch einen jährlichen
Überschuß in Höhe von rund fünf Milliarden DM ab, der dem Bundeshaushalt zugute kam.
Doch den Privatisierern ging es nicht um eine Senkung der Staatsdefizite und
flächendeckende Versorgung der Bürger mit erschwinglichen Postdiensten, sondern um
Rosinenpickerei um die Privatisierung der Gewinne und die Sozialisierung der
Verluste. Die Pensionen für die betriebsbedingt in Frühpension geschickten Postbeamten
und Angestellten wurden von der Bundesregierung ebenso übernommen wie die teuren
milliardenschweren Investitionen in Post und Telekom-Infrastruktur Anfang der 90er Jahre.
Unterdessen
treiben das SPD-geführte Bundesfinanziministerium und die Kreditanstalt für Wiederaufbau
(KfW) den Ausverkauf der Post mit Nachdruck voran. Wie Post-Chef Klaus Zumwinkel dem
Wirtschaftsmagazin Capital mitteilte, sollen noch
im Bundesbesitz befindliche Aktien des einstigen Staatsunternehmens so rasch am Markt
veräußert werden, daß der Bundesanteil bis zum Jahre 2007, wenn das noch bestehende
Post-Monopool für Briefe
bis 200 Gramm ausläuft, auf null sinkt.
Was
tun, wenn sich die Manager der privatisierten Post auf der Jagd nach Rendite starr und
gegenüber Bürgerprotesten uneinsichtig zeigen, aber andererseits Einwohnerschaft und
örtliche Gewerbebetriebe nicht auf eine funktionsfähige und vollwertige Postfiliale vor
Ort verzichten können und wollen? Vor dieser Frage standen in den letzten Wochen die
Kommunalpolitiker in Althengstett (Baden-Württemberg), einer Gemeinde im Wahlkreis des
Abgeordneten Fuchtel. Nachdem die Post-Manager trotz massiver Proteste aus der
Bevölkerung und örtlichen Geschäftswelt an ihrem Beschluß zur Schließung der bisher
gut frequentierten Postfiliale in der Kerngemeinde festhielten und andere von der Post
vorgeschlagene Lösungen sich als unbefriedigend erwiesen, griff die
Gemeindeverwaltung selbst ein. Die Kommunalpolitiker beschlossen, in den bisherigen
Räumen der Postfiliale ab dem 2. Januar 2004 selbst eine Postagentur zu betreiben.
Gleichzeitig konnte erreicht werden, dass die bisherige Leiterin der Postfiliale der
Gemeinde für diese Aufgabe überlassen und zunächst auf ein Jahr befristet
zur Gemeinde abgeordnet wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden hat Althengstett
damit auch weiterhin eine qualifizierte Poststelle zur Verfügung, und den meisten
Benutzern wird der Unterschied gar nicht ins Auge springen. Ob dieser Althengstetter
Anflug von Staatsinterventionismus allerdings nur auf ein Jahr beschränkt
bleibt oder auch anderswo oder gar bundesweit Schule macht, bleibt abzuwarten.
Hans-Gerd Öfinger