Amarjit Singh
Keine einzige Bahnaktie soll in private Hände gelangen

 

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Amarjit Singh ist Vorstandsmitglied der Transportgewerkschaft TSSA im Bezirk London und hat seine Gewerkschaft auf dem jüngsten TRANSNET-Gewerkschaftstag in Berlin vertreten. Die TSSA hat 34.000 Mitglieder bei Eisenbahnen, Londoner U-Bahn, Fähren und Reiseveranstaltern. In diesem Interview spricht er über Lehren aus der Privatisierung in Großbritannien aus gewerkschaftlicher Sicht.


Die britischen Bahngewerkschaften fordern seit längerem die Wiederverstaatlichung der Bahnen. Was für ein Echo haben sie damit gefunden?

Im Gewerkschaftsdachverband TUC haben wir alle Gewerkschaften für diese Forderung gewonnen. Die Formulierung im Ergänzungsantrag für den Labour-Parteitag lautete „integriertes und rechenschaftspflichtiges öffentliches Verkehrswesen“, und jeder weiß: Das bedeutet Wiederverstaatlichung. Beim  Parteitag haben uns besonders auch die vier größten Gewerkschaften unterstützt. Unser TSSA-Generalsekretär Gerry Docherty brachte den Antrag ein, der dann schließlich von rund 64% des Parteitags unterstützt wurde. Jetzt stellt sich die Frage, ob dieser Beschluß in das Wahlprogramm aufgenommen wird.

Aber Labour-Chef und Premierminister Tony Blair ist aber offensichtlich strikt dagegen ....

Ehrlich gesagt hat Tony Blair zu dieser Frage öffentlich bisher keinen Ton gesagt. Sein Verkehrsminister Alistair Darling hat gesagt: Diese Forderung wird vermutlich nicht ins Programm kommen. Blair selbst hat noch keine offizielle Entscheidung gefällt. Derzeit wird hinter den Kulissen über die Frage verhandelt.

Was für Argumente führen Sie für eine Wiederverstaatlichung ins Feld?

Infolge der Privatisierung sind viele Arbeitsplätze verschwunden. Es gab mehr Unfälle, mehr Zugverspätungen und ging mit der Bahn bergab. Die Trassen wurden ja schon inzwischen wieder in staatliche Hand zurückgeführt.

Das Argument der Antragsgegner aus dem Regierungslager lautete: Wiederverstaatlichung ist zu teuer. Da wurden dann Summen von 10, dann 12, dann 20 und schließlich 22 Milliarden Pfund genannt, die das Ganze angeblich kosten würde. Gerry Docherty hat darauf ironisch geantwortet: bei der hohen Inflationsrate sollten wir am besten gleich zuschlagen, denn je länger wir warten, desto teurer wird es.

Unser Hauptargument auf dem Parteitag war aber: wenn die mehrjährigen Franchise-Verträge mit den Privatbahnen auslaufen, sollen sie einfach nicht verlängert werden, sondern soll der Transport wieder in staatliche Hand kommen. Das kostet keinen Penny mehr. Die Menschen haben gelernt: Privatisierung funktioniert nicht.

Welchen Eindruck haben Sie von der Debatte in der deutschen Eisenbahnergewerkschaft TRANSNET über die Privatisierung?

Ich stelle fest, dass es auch hier Ängste vor einer Privatisierung und Zerschlagung und Fragmentierung der Bahn und vor der Vernichtung vieler Arbeitsplätze gibt. Viele Probleme sind in Deutschland und England gleich. Ich bin froh, dass TRANSNET im September gesagt hat: so machen wir einen Börsengang nicht mit. Bei einer Bahn, die im öffentlichen Besitz verbleibt, können Gewerkschaft und Management gut zusammenarbeiten, wie man das ja auch in Deutschland sieht. So schlägt es auch Gerry Docherty vor.

Nun sind ja auch in Deutschland Privatbahnen wie Connex und Arriva auf dem Vormarsch. Welche Erfahrungen wurden in Großbritannien mit diesen Firmen gemacht?

Britische Beschäftigte von Connex und Arriva können ein Lied davon singen: Lohnsenkung, schlechterer Service, längere Arbeitszeiten. Ich kann aus unserer britischen Erfahrung und Sicht nur raten: Paßt auf damit. Ihr solltet nicht dafür sorgen, daß solche Konzerne den Betrieb übernehmen. Der Schienenverkehr muss in der Hand der Bevölkerung bleiben. Wir wollen nicht, dass sich Bedingungen, Sicherheit und Gesundheit verschlechtern. Die Sicherheit unserer Arbeiter ist vorrangig. Denen ist das aber gleichgültig. Die wollen nur billige Arbeitskräfte. Passt bloß auf! Laßt die nicht ran.

Aber Kanzler Schröder und Minister Stolpe haben auf dem Gewerkschaftstag bekräftigt, dass sie so bald wie möglich 20-25% der Aktien der bisher zu 100 Prozent bundeseigenen Deutschen Bahn AG an privates Kapital verkaufen wollen.

Ich würde aus unserer Erfahrung sagen: keine einzige Aktie soll in private Hände gelangen. Das öffentliche Verkehrswesen ist für die Bevölkerung und für die Öffentlichkeit da. Um alles in der Welt: haltet den öffentlichen Verkehr im öffentlichen Besitz - für und mit der Bevölkerung. Kein anderer sollte das in die Hand bekommen. Es ist eine Dienstleistung für das Volk und keine Geldmaschine. Auch Krankenhäuser und Schulen sollten für die Bevölkerung da sein und nicht für Private. Wehrt euch gegen die Kommerzialisierung des Schienenverkehrs. Denn sobald das geschieht, wird das Volk verlieren.

Interview: Hans-Gerd Öfinger
10.11.04

Dieses Interview erschien leicht gekürzt in der Tageszeitung “junge Welt“

http://www.jungewelt.de/2004/11-13/020.php

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Amarjit Singh von der britischen TSSA
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