Zehn Fragen – zehn Antworten


Schütze Deine Bahn …

… vor der Zerschlagung und Privatisierung

… vor „Heuschrecken“– Investoren

… vor privatisierungswütigen Managern und Aufsichtsräten

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1.        Zwingt uns „Europa“ zur Liberalisierung und Privatisierung des Schienenverkehrs? Sind wir dagegen machtlos?

 

Seit Anfang der 90er Jahre dienen EU-Richtlinien als Vorwand für die Liberalisierung und Privatisierung bisher staatlicher Betriebe und Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Dahinter steckt eine europaweit gut organisierte starke Wirtschaftslobby, die im Interesse der Großkonzerne und Kapitalbesitzer neue und möglichst risikolose Anlagemöglichkeiten erschließen soll. Ihre Vertreter verfassen Entwürfe für EU-Richtlinien und üben einen entsprechenden Einfluss auf die Europäische Kommission aus.

Doch mit unserer Ablehnung stehen wir nicht alleine da. Wir müssen nicht alles über uns ergehen lassen. Europaweit regt sich Widerstand gegen Privatisierung und Liberalisierung. Bei den Volksabstimmungen zur Europäischen Verfassung in Frankreich und Niederlanden im Frühjahr 2005 lehnte eine klare Mehrheit den vorliegenden Verfassungsentwurf ab. Entscheidend dafür war die Aufklärungsarbeit von Gewerkschaftern und sozial engagierten Menschen gegen das Diktat des Neoliberalismus, das im Verfassungsentwurf eine zentrale Rolle spielt. Europaweit wächst der Widerstand gegen diese Politik. Im Februar 2006 fanden in Berlin und Strasbourg europaweite Demonstrationen gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie statt. Schon dieser Druck erzwang einige Änderungen an der Richtlinie.

Noch erfolgreicher waren im Januar 2006 die europäischen Hafenarbeiter. Sie brachten durch koordinierte Streiks und Demonstrationen eine geplante Richtlinie zur Liberalisierung der Arbeit in den Seehäfen (Port Package II) zu Fall. Weil sie europaweit alle Kräne in den Häfen still stehen ließen, stimmte eine sehr breite Mehrheit des Europaparlaments, darunter auch zahlreiche konservative und rechte Abgeordnete, gegen die von der Europäischen Kommission eingebrachte Vorlage. Wenn 10.000 deutsche Hafenarbeiter durch kämpferische Aktionen politische Entscheidungen kippen können, dann können dies 200.000 Eisenbahner noch viel besser. Europaweit wehren sich Eisenbahner gegen eine Privatisierung oder fordern gar – wie die Briten – eine Widerverstaatlichung der Bahn. Es ist höchste Zeit, dass die Eisenbahner in Deutschland sich diesem Kampf anschließen. Wer in dieser Situation nicht kämpft, der hat schon verloren.

Europäische Regierungen und Politiker verstecken sich bei Entscheidungen gegen unsere Interessen gerne hinter „Europa“ und schieben es auf „die anderen“. Doch wenn sie sich unbeobachtet fühlen und keinem Druck von unten ausgesetzt sind, dann stimmen sie selbst im Interesse der Konzerne ab. Deutschland hat politisches Gewicht in Europa und könnte die Politik der EU entscheidend beeinflussen. Die Bundesregierung könnte solche Projekte stoppen, wenn sie nur wollte.

Nebenbei gesagt hat sich Deutschland in den letzten 15 Jahren international zu einem Musterknaben in Sachen Liberalisierung und Privatisierung entwickelt. Die Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs ist – abgesehen von England und Schweden – nirgendwo in Europa so weit fortgeschritten wie in Deutschland. Die Regierungen Kohl und Schröder waren Weltmeister im Privatisieren. Während die Aktien der Deutschen Post AG mehrheitlich nicht mehr in Bundesbesitz sind, ist interessanterweise ausgerechnet in zwei Ländern die Post bisher noch nicht privatisiert, von denen man es am wenigsten erwartet hätte: in Großbritannien und den USA. Ein Zwang zur materiellen Privatisierung der Deutschen Bahn ergibt sich übrigens weder aus dem Grundgesetz noch aus dem Europarecht.

 

2.        Aber geht es mir nicht nur dann gut, wenn unser DB-Konzern an die Börse geht, Investoren mit frischem Kapital ins Boot holt, dicke Gewinne erwirtschaftet und zu einem „Global Player“ der Logistikbranche wird?

 

Schön wär’s. Die Erfahrung mit anderen privatisierten und börsennotierten ehemaligen Staatsbetrieben spricht aber eine andere Sprache. Deutsche Post und Deutsche Telekom sind mehrheitlich nicht mehr im Bundesbesitz und fahren seit Jahren in aller Welt als „Global Players“ eine aggressive Expansionsstrategie. Gleichzeitig gehen der Abbau von existenzsichernden Arbeitsplätzen und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen im Inland mit aller Kraft weiter. Auf der Jagd nach profitablen Schnäppchen in aller Welt zieht sich der „Global Player“ Deutsche Post immer mehr aus der Versorgung der Fläche mit guten und erschwinglichen Postdiensten zurück, schließt Filialen in Dörfern und Stadtteilen und montiert Briefkästen ab.

Die Deutsche Telekom verbuchte 2005 einen Überschuss von rund fünf Milliarden Euro und hält – trotz eines 2004 mit Lohnopfern abgeschlossenen „Beschäftigungsbündnisses“ zur Sicherung von 10.000 Arbeitsplätzen – seit Herbst 2005 stur am Ziel der Vernichtung von weiteren 32.000 Arbeitsplätzen im Konzern bis Ende 2007 fest. Vor allem Beschäftigte mit Beamtenstatus und längerer Betriebszugehörigkeit sind den Managern ein Dorn im Auge und sollen gehen. Dabei hat jeder Beschäftigte allein 2004 im Durchschnitt mit 46.000 Euro zum Schuldenabbau des Konzerns beigetragen.

Warum betreibt der Telekom-Vorstand trotz glänzender Ertragslage überhaupt diese Arbeitsplatzvernichtung? „Früher hat ein Kapitalist einen Arbeiter eingestellt, wenn dessen Arbeitsleistung mehr an Wert brachte als der Arbeiter selbst kostete und dieser Wert über dem nationalen Kapitalzins lag“, erläuterte Conrad Schuhler vom Münchner ISW-Institut auf einer Telekom-Betriebsversammlung in Limburg: „Dies ist längst vorbei. Der Diskontsatz in Deutschland liegt derzeit bei 2%. Die Telekom verlangt eine Verzinsung von 8%, einen auch im globalen Maßstab hohen Zins. Wenn dieser Maximalzins durch die Arbeitsleistung der Beschäftigten nicht hereinkommt, wird entlassen bzw. nicht eingestellt.“

Sobald auch nur ein Teil der Aktien der Deutschen Bahn AG an private Investoren verkauft ist, werden diese im DB-Konzern ähnlichen Druck auf Einkommen und Arbeitsplätze ausüben. Auf der Jagd nach maximalen Renditen wird – noch mehr als bisher – jeder Betriebsteil, jeder Beschäftigte und jeder Meter Schiene gnadenlos abgestoßen, der nicht den hohen Renditeansprüchen der Investoren genügt. Dieser Druck des Kapitalmarktes wäre auch dann spürbar, wenn der Bund noch eine Mehrheit der DB-Aktien besäße. Hierzu sagt das PRIMON-Gutachten:

„Der Bund kann unter anderen über den Aufsichtsrat Einfluss auf das Unternehmen ausüben. Wie die Beispiele Deutsche Telekom und Deutsche Post zeigen, agiert der Bund nach einer Privatisierung jedoch im Interesse aller Aktionäre. Dies wäre auch im Fall der DB AG zu unterstellen. Mit Blick auf die im Aktiengesetz zur Verfügung stehenden Mittel sind darüber hinaus die Interessen anderer Aktionäre geschützt. Der Kapitalmarkt erwartet diese Zurückhaltung auch im Hinblick auf externe politische Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen.“

Anders ausgedrückt: Kommen erst einmal private Investoren zum Zuge, dann ist eine politische Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen der Bahn im Interesse der Allgemeinheit, der Umwelt und der Beschäftigten kaum noch möglich. Dann könnte es durchaus auch im Renditeinteresse des „Global Players“ liegen, etwa weitere Strecken stillzulegen und den Gütertransport innerhalb des Konzerns auf Schenker und damit auf die Straße zu verlagern.

Daher darf der Staat die Deutsche Bahn AG nicht verscherbeln. Keine einzige Aktie, kein einziger Betriebsteil darf in private Hände gelangen!

 

3.        Aber belebt nicht weniger Staat, mehr Wettbewerb und mehr Markt auch im Schienenverkehr das Geschäft und sichert dadurch unsere Arbeitsplätze?

 

Wo immer im Zuge der Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Unternehmern und Einrichtungen der Daseinsvorsorge bestehende „staatliche Monopole“ aufgelöst werden, geht es in erster Linie um eine Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. In aller Regel werden dabei massiv Arbeitsplätze vernichtet, Löhne gesenkt und Sozialleistungen abgebaut. Lohndumping greift auch bei den Verkehrsbetrieben – Bussen und Bahnen – immer mehr um sich. Auf deutschen Schienen sind bereits 300 verschiedene Bahngesellschaften unterwegs, die in aller Regel ihre Beschäftigten schlechter vergüten als die DB ihre „älteren Tarifkräfte“ und Beamten. Zumindest die Bahnen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) beziehen dabei übrigens einen Großteil ihrer Einkünfte aus staatlichen Töpfen, den „Regionalisierungsgeldern“. 

Wer als Unternehmer über „Monopole“ klagt, hätte am liebsten selbst eine Monopolstellung inne. Aus einer Zerschlagung des „Monopolisten“ Deutsche Bahn entstehen über kurz oder lang unweigerlich wieder neue Monopole. Dieser Prozess ist schon längst im Gange. Wenn die Länder bei der Ausschreibung im Personennahverkehr zunehmend die DB Regio vom Gleis werfen, dann bilden sich dabei nicht viele putzige und schnuckelige mittelständische Bähnchen heraus, sondern Töchtergesellschaften privater Konzerne wie Connex und Arriva oder auch neue Ableger bestehender Länderbahnen und kommunaler Verkehrsbetriebe. Wie jüngste Beispiele aus Hamburg, Niedersachsen oder Bayern zeigen, streben auch die Länder und Kommunen über kurz oder lang eine vollständige Privatisierung ihrer Bahngesellschaften an.

Auch im Bahnkonzern arbeiten in Folge der Zergliederung und Umstrukturierungen die verschiedenen Töchterunternehmen zunehmend gegeneinander und weniger miteinander. Das System Eisenbahn kann aber nur dann optimal betrieben werden, wenn die Kommunikation und Kooperation zwischen allen Beteiligten funktioniert und Konkurrenzdenken keine Rolle spielt. Zunehmender Verdrängungswettbewerb zwischen verschiedenen Bahngesellschaften schadet den betroffenen Beschäftigten und der Allgemeinheit. Verschärfte Konkurrenzsituation macht auch vor Betriebsräten und Belegschaften nicht halt.

Einen Vorgeschmack darauf bietet die Forderung des Betriebsrats der privaten Essener Güterbahngesellschaft rail4chem nach einer vollständigen Trennung von Netz und Betrieb der DB AG. Während TRANSNET und GDBA mit fundierten Argumenten gegen eine weitere Trennung von Netz und Betrieb eintreten und vor dem Verlust von 50.000 Arbeitsplätzen als Folge der Zerschlagung der DB AG warnen, sieht der rail4chem-Betriebsrat ausgerechnet in der „Trennung eine langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen“ und will die GDL für seine Position gewinnen. „Arbeitskampfmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Börsengang der Staatsbahn, wie sie die Gewerkschaften TRANSNET und GDBA in polemisierender Art und Weise fordern, lehnt der rail4chem-Betriebsrat im Zusammenhang mit der Aufteilung von Netz und Betrieb als schädlich für die Bahnunternehmen und ihre Mitarbeiter ab“, so die Presseerklärung des Betriebsrats.

Mit anderen Worten: Käme es tatsächlich zu einem Streikaufruf von TRANSNET und GDBA gegen die Zerschlagung des Bahnkonzerns, so würde sich der rail4chem-Betriebsrat geradezu als Streikbrecher anbieten und in seinem Schlepptau vielleicht sogar die GDL hinter sich herziehen. Wenn es den Bahngesellschaften weiter so gelingen sollte, Belegschaften, Betriebe und Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen und vor ihren Karren zu spannen, dann werden am Ende alle Eisenbahner verlieren und wird die Spirale immer weiter nach unten gehen. So wird ein Wettbewerb um die schlechtesten Beschäftigungsbedingungen zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen mit aller Macht vorangetrieben.

 

4.        Ist ein integrierter Börsengang des kompletten Bahnkonzerns angesichts einer drohenden völligen Zerschlagung des Bahnkonzerns nicht das kleinere Übel?

 

Der Vorstand der DB AG ist kein Garant für einen einheitlichen Bahnkonzern und die Wahrung der Eisenbahnerinteressen. In den letzten Jahren haben wir auf dem Altar der Börsenfähigkeit Lohnopfer gebracht, Arbeitszeitverlängerung und Urlaubsverkürzung geschluckt. Doch der massive Arbeitsplatzabbau geht weiter. Seit Beginn der Privatisierung 1994 ist im DB-Konzern jeder zweite Arbeitsplatz verschwunden.

Das Mehdorn-Management hat seit 2005 profitable Tochterunternehmen wie die Deutsche Touring GmbH, die DERG (Eisenbahnreklame) und die Ostseereederei Scandlines verkauft. Mehdorn will mit aller Macht sein Lebenswerk – den Börsengang – durchboxen und wird danach (altersbedingt) ausscheiden. Niemand kann garantieren, dass eine börsennotierte DB-Holding nicht doch hinterher Stück für Stück auseinander gerissen wird.

 

5.        Aber ist der Staat nicht pleite und brauchen wir nicht dringend frisches Kapital für Investitionen.?

 

Wie viel von den vielleicht acht oder 14 Milliarden Euro Verkaufserlös für die DB AG tatsächlich in den Kassen des DB-Konzerns landen würde, ist völlig unklar. Während Vorstandschef Mehdorn die Privatisierungserlöse für den Konzern beansprucht, möchten die Finanzpolitiker des Bundestags daraus vor allem Einnahmen für den Bundeshaushalt erzielen. 

Dieser Staat hat sich in den letzten Jahren durch Steuersenkungen für Wirtschaft und Superreiche selbst arm gemacht. Wenn Bundesfinanzminister Steinbrück für seinen Etat acht bis 14 Milliarden Euro auftreiben will, dann soll er dafür nicht die Bahn verscherbeln. Durch Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, die Rücknahme der Steuersenkungen für Konzerne und Superreiche und ähnliches könnte die Bundeskasse ein Vielfaches mehr einnehmen – und zwar Jahr für Jahr.

Seit Beginn der formalen Privatisierung hat der Bund rund 200 Milliarden Euro in die Modernisierung der Bahn und in Regionalisierungsgelder gesteckt – und damit viel mehr als in früheren Jahrzehnten. Davon käme in Form von Privatisierungserlösen nur ein kleiner Bruchteil wieder rein. Auch in Großbritannien flossen nach der Privatisierung mehr staatliche Gelder in die Kassen der privaten Bahnbetreiber als früher an die ehemalige staatliche British Rail.

Wenn es – wie das Gutachten fordert – „aus Investorensicht“ eine „berechenbare und stabile Entwicklung“ bei den staatlichen Zuwendungen geben müsse und auch nach einem Bahn-Börsengang weiterhin pro Jahr zwischen 8 und 12 Milliarden Euro an Steuergeldern in die Eisenbahnen fließen müssten, dann stellt sich hier die Frage: Wozu überhaupt die Bahn aus der Hand geben und damit Renditen von privaten Investoren subventionieren, die sich ohnehin nicht von der Politik reinreden lassen wollen?

Kein Kapitalfond aus Übersee oder woher auch immer wird Milliarden in die Deutsche Bahn investieren, weil er etwa ein Herz für den flächendeckenden und umweltfreundlichen Schienenverkehr in Europa, die Einheit von Fahrweg und Betrieb oder gar für sichere Arbeitsplätze im Rahmen des aktuellen Beschäftigungsbündnisses hätte. Solche Kapitalgruppen werden Unternehmensbereiche und Arbeitsplätze, die ihren Planziffern und Vorgaben nicht entsprechen, gnadenlos weghauen.

 

6.        Aber bringt eine Privatisierung der Bahn nicht mehr Verkehr auf die Schiene?

 

Eine vom Wiener Forba-Institut herausgegebene Studie über die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen und deren Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen macht deutlich, was Gewerkschafter in aller Welt bitter erfahren: Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen vernichtet Arbeitsplätze, verschlechtert Arbeitsbedingungen und verhindert keinen Ausverkauf der Unternehmen (siehe www.forba.at).

Die seit 1994 unter dem Etikett „Bahnreform“ eingeleitete formale Privatisierung und Aufgliederung des Bahnkonzerns sollte mehr Verkehr auf die Schiene bringen und eine „Renaissance“ des Schienenverkehrs einleiten. Anfang der 90er Jahre versprach DB-Chef Heinz Dürr eine „Renaissance“ des Eisenbahnverkehrs nach einer Bahn-Privatisierung. Wenn die Bahn von dem „Korsett des öffentlichen Dienstrechts“ befreit werde und „unternehmerisch am Markt agieren“ dürfe und der Wettbewerb einkehre, so Dürr, dann werde ein beispielloser Aufschwung der Bahn einsetzen. Das Privatisierungs-Gutachten verweist Dürrs Propaganda-Visionen endgültig in das Reich der Utopie.

Zwar flossen seit dem Beginn der formalen Privatisierung so viele öffentliche Gelder in den Schienenverkehr wie nie zuvor und zwar agierte das Management der Bahn AG zunehmend wie das Management jeden anderen privatkapitalistischen Konzerns. Doch auch das Privatisierungsgutachten kommt nicht an der Tatsache vorbei, dass die propagierte Zielsetzung, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, bislang nur im SPNV (Schienenpersonennahverkehr) erreicht wurde. Der Modal Split, so das Papier, also der Anteil der verschiedenen Verkehrsträger am gesamten Verkehrsaufkommen, „hat sich weiter zugunsten der Straße entwickelt“, heißt es wörtlich: „Das Ziel der Bahnreform, `mehr Verkehr auf die Schiene´ zu bringen, wurde im Sinne höherer Anteile der Schiene an der Gesamttransportleistung bisher nicht realisiert.“

Die bescheidenen Zuwächse im Schienenpersonennahverkehr sind übrigens nicht die Folge mutiger und risikofreudiger privater Unternehmerinitiative, sondern Ergebnis milliardenschwerer staatlicher Investitionen etwa in den Ausbau von S-Bahn-Netzen in Ballungsgebieten, den Ausbau bestehender Verbindungen und die Wiedereröffnung einzelner stillgelegter Strecken. Hier, wo zunehmend Schienen- und Busstrecken von den Ländern ausgeschrieben werden und Jahr für Jahr milliardenschwere staatliche Gelder an die Anbieterfirmen zu vergeben sind, erwarten die Gutachter übrigens auch die stärksten Einbrüche für den heutigen Bahnkonzern. Je nach Privatisierungsvariante wird der DB-Tochter DB Regio, die derzeit noch rund 90 Prozent des Schienennahverkehrs betreibt, ein Absacken auf Marktanteile zwischen 60 und 50 Prozent im Jahre 2020 prophezeit. Im Klartext bedeutet dies für viele Lokführer, Zugbegleiter und andere Beschäftigte bei DB Regio Arbeitsplatzverlust und gnadenlosen Dumpingwettbewerb mit anderen Privatbahnen, die sich einen Teil der „Staatsknete“ sichern wollen und dies vor allem auf dem Rücken ihrer Beschäftigten versuchen werden.

 

7.        Gibt es überhaupt positive Beispiele für eine Bahnprivatisierung?

 

Die reale Erfahrung mit Privatbahnen und Staatsbahnen in aller Welt spielt für die Privatisierungslobby keine Rolle. Dass die staatlich betriebenen Schweizer Bahnen im Personen- und Güterverkehr weitaus besser genutzt werden als die deutschen Bahnen, ist für die Gutachter ebenso wenig ein Thema wie die negativen Erfahrungen mit der Bahnprivatisierung in aller Welt – von Großbritannien bis Neuseeland. Der argentinische Dokumentarfilm „Chronik einer Ausplünderung“ schildert eindrucksvoll auch den Niedergang der Eisenbahnen in diesem südamerikanischen Land durch die dort seit 1988 betriebene Privatisierung. Von den einstmals über 35.000 km Streckennetz sind nach einem Bericht auf der Website www.bahnvonunten.de seither über zwei Drittel stillgelegt worden. Weite Teile des Landes sind inzwischen vom Schienenverkehr abgeschnitten. Privatbahn bedeutet eben in aller Regel Schrumpfbahn.

In den USA spielen heute die privaten Eisenbahnen nur im Güterfernverkehr (zwischen den Küsten und Industriegebieten) eine Rolle. Der Schienenpersonenverkehr liegt fast vollständig am Boden.

„Das Eisenbahngeschäft ist kapitalintensiv und wenig dynamisch und bleibt dies auch in Privatisiserungsszenarien“, heißt es im Gutachten, das weiter zu bedenken gibt, dass „große Teile des Geschäfts staatlich beauftragt und bezuschusst werden“ und sich hieraus eine große Abhängigkeit der Marktattraktivität und Renditeaussichten vom Staat und „die Zögerlichkeit bezüglich Markteintritt großer Wettbewerber“ erkläre.

Als Warnung sollte auch der nachfolgende Hinweis im Gutachten dienen. „Die Entscheidung des Strukturmodells heute bestimmt die Spielregeln für den Wettbewerb und die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems Bahn für die nächsten drei bis fünf Jahrzehnte – Korrekturen eventuell fehlerhafter Entscheidungen können nur bedingt vorgenommen werden.“

Aus all dem kann es nur eine Konsequenz geben. Hände weg von der Staatsbahn!

 

8.        Ist der Zug nicht schon längst abgefahren? Gibt es überhaupt Alternativen?

 

Noch ist keine endgültige Entscheidung getroffen. Noch sind wir stark genug, um im Schulterschluss mit Eisenbahnern in ganz Europa und anderen Privatisierungsgegnern den Privatisierungszug zu stoppen. Aber je länger wir mit unserem Widerstand zögern, desto frecher wird die Privatisierungslobby und desto mehr von uns werden auf der Strecke bleiben.

Viele Jahre lang haben die Gewerkschaften die Politik der Privatisierung geduldet und „mitgestaltet“. Jetzt sind wir am Ende der Fahnenstange angekommen.

Wir müssen den politischen Entscheidungsträgern klarmachen: Wir sind gegen jede Form von Privatisierung und Zerschlagung der Bahn und für eine moderne demokratisierte Staatsbahn. Fahrweg und Betrieb gehören zusammen. Das Netz muss in staatlicher Hand bleiben – und der gesamte Betrieb dazu.

Papiertiger werden jedoch von Politik und Management nicht ernst genommen. Darum müssen die Ankündigungen von TRANSNET und GDBA, während der Fußball-WM bei der Bahn befristet und bundesweit alle Räder stillstehen zu lassen, wahr gemacht werden. Wo ein Wille ist, das ist auch ein Weg.

Aller Welt muss signalisiert werden: Wir lassen uns die Bahn nicht durch „Heuschrecken“ zerstören. Ab sofort müssen alle gewerkschaftlichen Kräfte auf die Vorbereitung und Durchführung eines unvermeidlichen Arbeitskampfs konzentriert werden.

 

 

9.        Warum nur über verschiedene Varianten der Privatisierung entscheiden? Das PRIMON-Gutachten ist extrem einseitig und blendet unsere Interessen aus. Ein neues Gutachten muss her!

 

Wir fordern die Bundesregierung, das Präsidium und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und insbesondere die Mitglieder des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf, den eingeleiteten Prozess der Beratung und Beschlussfassung über eine materielle Privatisierung der Deutschen Bahn auszusetzen und das vorliegende PRIMON-Gutachten ad acta zu legen. Das vorliegende PRIMON-Gutachten blendet die Zielsetzung einer umweltfreundlichen Mobilität und die Interessen der Beschäftigten und Masse der Bahnkunden weitgehend aus. Für das PRIMON-Gutachten wurden fast nur ausschließlich solche Personen interviewt, die überzeugte Privatisierungsbefürworter sind bzw. ein materielles Interesse an Privatisierung haben könnten (siehe Auflistung der Interviewpartner auf S. 540-541). Ebenso wurden überwiegend privatisierungsfreundliche Quellen herangezogen (siehe S. 542-547). Eine solche Auswahl ist extrem einseitig und liegt nicht in unserem Interesse.

Zur Klärung der Zukunft des Schienenverkehrs in Deutschland ist ein neues Gutachten in Auftrag zu geben. Dieses Gutachten soll verschiedene Varianten und Gestaltungsmöglichkeiten einer modernen und demokratisierten Bahn im öffentlichen Besitz aufzeigen. Dabei sind insbesondere die Interessen einer breiten Öffentlichkeit an einem flächendeckenden und integrierten Schienennetz und umweltfreundlicher Mobilität sowie die Interessen der bei der Deutschen Bahn beschäftigten Männer und Frauen an Existenz sichernden und krisenfesten Arbeitsplätzen zu berücksichtigen.

Für die Ausarbeitung eines solchen Gutachtens sind Beschäftigte und Gewerkschafter aus allen Bereichen des Bahnkonzerns, Fachleute und ausgewiesene Privatisierungskritiker aus dem In- und Ausland hinzuzuziehen. Positive Erfahrungen mit einem Eisenbahnbetrieb in öffentlichem Besitz (wie in der Schweiz) sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie negative Erfahrungen mit bereits erfolgten Varianten einer Privatisierung in Großbritannien, Argentinien und Neuseeland.

 „Niemand schreibt einen Börsengang vor“, stellte auch der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der DB AG und Vorsitzende der Bahngewerkschaft TRANSNET, Norbert Hansen, fest. Hansen forderte bei einer Pressekonferenz am 17. Februar 2006, anstatt nur über verschiedene Varianten der Privatisierung zu reden, müsse nun auch über einen „Plan B“, also einen „Plan Bund“ diskutiert und somit untersucht werden, ob der Bahnkonzern nicht im vollständigen Eigentum des Bundes bleiben sollte: "Eigentlich haben wir zur Zeit einen Plan B, also ein Unternehmen in Bundeshand, und es funktioniert", so Norbert Hansen wörtlich. „Börsengang ist nicht der Weisheit letzter Schluss“, stellt auch das TRANSNET-Mitgliedermagazin inform fest.

In Großbritannien, Fahrweg und Betrieb getrennt sind und eine vollständige Privatisierung der Transportgesellschaften erfolgt ist, fordern zwei Drittel der Bürger zehn Jahre nach der Bahnprivatisierung eine Wiederverstaatlichung der Bahn.

Der komplette Schienenverkehr gehört in die öffentliche Hand und unter die Kontrolle der Beschäftigten. Wir brauchen keine Bevormundung durch inkompetente und nur auf Dividenden ausgerichtete teure Manager und ebenso praxisferne wie „teure“ Berater. Die Interessen und Vertretung der Beschäftigten, Gewerkschaften,  sozial Schwachen, Allgemeinheit, gesellschaftlichen Organisationen und Umweltverbände müssen in den Leitungs- und Kontrollgremien (Vorstand, Aufsichtsrat, Beirat) den Ton angeben. Die Bahn darf nicht mehr für ein kurzes Zwischenspiel auf der Karriereleiter für bahn- und technikferne Nachwuchsmanager missbraucht werden. Das seit den 90er Jahren stark vergrößerte Einkommensgefälle zwischen Vorstandsmitgliedern und Spitzenmanagern einerseits und der Masse der Eisenbahner andererseits muss wieder radikal abgebaut werden.

 

10.    „Aber macht die Politik nicht sowieso, was sie will, und ist fest entschlossen, die Deutsche Bahn zu privatisieren.“

Wenn wir die Flinte ins Korn werfen und uns dem Schicksal ergeben, dann hat die Privatisierungslobby in der Tat ein leichtes Spiel. Mit dieser Einstellung hätten die französischen Gewerkschafter und Jugendlichen im Frühjahr 2006 der Regierung grünes Licht gegeben, um ihr Gesetz zur Abschaffung des Kündigungsschutzes bei der Erstanstellung durchzuboxen. Glücklicherweise haben sie sich gewehrt – nach der Devise: Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Die Regierung musste kurz vor Ostern einen Rückzieher machen. Daher: Lernen wir „Französisch“.

Auch die Entscheidungen der Großen Koalition in Berlin sind nicht unumstößlich und können und müssen beeinflusst werden. TRANSNET hat gute Verbindungen zur SPD. Das SPD-Parteibuch gehört in TRANSNET schon beinahe zum guten Ton. In der SPD-Bundestagsfraktion sitzen seit Oktober 2005 drei Eisenbahner(innen) und TRANSNET-Mitglieder. Warum sollten diese drei Kolleg(inn)en nicht in der Lage sein, als kompetente Eisenbahner(innen) in der eigenen Fraktion die neoliberalen Wortführer zurückzudrängen und eine Ablehnung der Privatisierung durchzusetzen? Dabei könnten TRANSNET-Mitglieder landauf landab behilflich sein und den Abgeordneten in ihrer Region mit guten Argumenten klarmachen, warum sie die Finger von jeglicher Form der Privatisierung lassen sollen.

Vor einem Jahr stieß der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering eine „Heuschrecken“-Debatte an, die zumindest eine kritischere Betrachtung des Gebahrens von Investmentfonds und Besitzern großer Kapitalvermögen beim Aufkauf und der Abwicklung von Betrieben mit sich brachte. Soll jetzt ausgerechnet unter einem Vize-Kanzler Müntefering die Deutsche Bahn irgendwelchen institutionellen Heuschrecken-Anlegern zum Fraß geworfen werden?

Ohne die Zustimmung der SPD wäre eine Privatisierung der Deutschen Bahn kaum vorstellbar. Ob die CDU/CSU in einem solchen Fall gegen den Koalitionspartner SPD zusammen mit FDP und Grünen eine Privatisierung und Zerschlagung der Bahn durchboxen würde, ist fraglich. Vor allem dann, wenn der TRANSNET-Vorstand seine Androhung vom Februar wahr machen und einen bundesweiten Streik gegen die Privatisierung organisieren würde.

 

www.bahnvonunten.de

17. April 2006