1. Die Absage des Börsengangs 2006 bietet die
Gelegenheit, jetzt in Ruhe und nicht in der Hektik eines künstlich entfachten
Börsenfiebers über die Zukunft der Bahn nachzudenken", heißt es im aktuellen
TRANSNET THEMEN TELEGRAMM (13/2004). Wir wollen diese Gelegenheit gerne nutzen und für
eine fortschrittliche Alternative zu jeder Form von Privatisierung und Zerschlagung der DB
werben.
2. In den letzten 10-20 Jahren sind weltweit zahlreiche
öffentliche Betriebe, Einrichtungen und Institutionen der Daseinsvorsorge und
Liberalisierung an private Kapitalbesitzer verkauft worden. Es wird immer behauptet, dass
ein Unternehmen in Privathänden die Aufgabe angeblich besser und auch kostengünstiger
wahrnehmen könne. Doch den Privatisierungen liegen handfeste materielle Interessen zu
Grunde. Besitzer großer Kapitalvermögen suchen neue, profitable Anlagemöglichkeiten und
scheuen allzu großes unternehmerisches Risiko. Am liebsten setzen sie sich in ein
gemachtes Nest, das sofort Dividenden erbringt. Daher sind Stadtwerke, Müllabfuhr,
Krankenhäuser und eben auch öffentliche Verkehrsbetriebe mit ihrem festen Kundenstamm
für sie eine Goldgrube".
3. Jede Form von Privatisierung bringt unter den
herrschenden Bedingungen in aller Regel Nachteile für die Beschäftigten mit sich.
Konkret bedeutet das einen Abbau von Arbeitnehmerrechten, eine Verschlechterung von
Tarifverträgen, Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen und eine Schwächung der
gewerkschaftlichen Kampfkraft. Daher lehnen wir Privatisierungen ab.
4. Jeder Versuch, aus dem Schienenverkehr möglichst
kurzfristig privaten Profit zu ziehen, geht zwangsläufig zu Lasten der Beschäftigten,
der Sicherheit, der Qualität, der langfristigen Investitionen und der auf den
Schienenverkehr angewiesenen Allgemeinheit. Daher sagen wir uneingeschränkt NEIN zu
jeglicher Form von Börsengang, Ausverkauf und Privatisierung"
(TRANSNET-Bundesbetriebsrätekonferenz 1. April 2004).
5. Bei dem heftig ausgetragenen Kampf zwischen den zwei
Linien der Privatisierung (integrierter Börsengang contra Filetierung) geht es um
unterschiedliche materielle Interessen. Mehdorn und der Bahnvorstand wollen die DB AG als
europaweiten und weltweiten Global Player" und Logistikriesen ausbauen und sich
dafür die staatliche Protektion sichern und die Kontrolle über das Eisenbahnnetz
behalten.
6. Das von BDI, CDU/CSU, FDP und zunehmend auch Grünen und
SPD favorisierte Modell Zukunft Bahn" orientiert sich hingegen an der völligen
Zerschlagung der British Rail", will aber das (defizitäre) Netz in Staatshand
belassen. Dahinter steckt das Interesse einflussreicher deutscher Kapitalgruppen und
Privatbahnen wie Connex und Arriva. Sie möchten die starke Position der DB im Personen-
und Güterfernverkehr auf Schienen zerschlagen und durch Rosinenpickerei und Filetierung
rasch Gewinne machen. Sie verfahren nach dem Motto Gewinne werden privatisiert,
Verluste sozialisiert."
7. Aus der Sicht einer konsequenten Interessenvertretung
ist der Konflikt zwischen dem integrierten Börsengang" und der BDI-Linie ein
Konflikt zwischen zwei Wegen von Privatisierung, die uns beide nur erhebliche Nachteile
bringen. Beide Seiten bringen (demagogisch) nachvollziehbare und (isoliert betrachtet)
richtige Einzelargumente. Als Eisenbahner und engagierte Gewerkschafter sind wir gut
beraten, wenn wir eine unabhängige Position einnehmen, die nur unseren ureigenen
Interessen entspricht.
8. Das System Bahn erfordert die Einheit bzw. den
Verbund von Fahrweg und Betrieb unter einem Dach", sagt der DB-Vorstand. Das
Eisenbahnnetz wird immer defizitär bleiben und muss daher unter staatliche
Verwaltung", erklären die BDI-Lobbyisten. Machen wir daraus eine Synthese, die den
wahren Kern der Argumente beider Seiten zusammenfasst: Fahrweg und Betrieb gehören
zusammen. Das Netz muss beim Staat bleiben und der ganze Betrieb gleich mit!
9. Es gibt kein (auf Deutschland übertragbares) Modell von
Privatisisierung und Börsengang, bei dem die Interessen der Eisenbahner, der
Allgemeinheit und der Umwelt besser aufgehoben wären. Daher: Hände weg von der
Staatsbahn! Wir bekräftigen des Beschluss des letzten Transnet-Gewerkschaftstags in
Magdeburg im November 2000:
"Für die Erhaltung einer einheitlichen, flächendeckenden und bundeseigenen Bahn im
Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden. Kein Börsengang! Kein Ausverkauf
- weder an ausländische noch an inländische Kapitalgruppen!"
10. Privatisierungskritiker wollen nicht zurück zu den
alten Zuständen bei Bundesbahn und Reichsbahn eins zu eins". An der alten
Bundesbahn und Reichsbahn war manches bürokratisch und verkrustet. Rückblickend ist aber
festzuhalten, dass die guten alten Staatsbahnen" auch enorm leistungsfähig und
innovativ waren. Flächendeckende Taktverkehre, das Intercity- und Eurocity-Netz, der IR,
der ICE und der TGV sind bzw. waren Kinder der Staatsbahn. Nach dem Mauerfall 1989 zeigten
sich Bundesbahn und Reichsbahn äußerst flexibel und kundenfreundlich, als es darum ging,
quasi über Nacht den neuen Bedürfnissen entsprechend neue Fahrpläne aufzustellen und
neue Verbindungen einzurichten. Das alles hat die gute alte Staatsbahn"
geschaffen.
11. Wir können das Argument, die öffentliche Finanznot
mache einen Börsengang der Bahn zwingend erforderlich, um an frisches Kapital"
heranzukommen, nicht akzeptieren. Leere öffentliche Kassen sind kein Naturereignis,
sondern von Menschenhand gemacht. Durch Steuersenkungen hat der Staat seit 2001 den
Kapitalgesellschaften und Wohlhabenden in diesem Lande zig Milliarden Euro geschenkt, ohne
dass diese damit neue Investitionen getätigt und neue Arbeitsplätze geschaffen hätten.
Was ist das für ein Staat, der zuerst dem privaten Kapital zig Milliarden Euro in den
Rachen wirft und ihm dann noch das Tafelsilber" hinterher wirft?
Außerdem hat sich auch unter Rot-Grün" an der politischen/steuerlichen
Benachteiligung des Schienenverkehrs gegenüber anderen Verkehrsträgern nichts geändert.
Die gesellschaftlichen Defizite des Straßen- und Luftverkehrs werden in der öffentlichen
Debatte völlig ausgeblendet. Würden die Unternehmenssteuersenkungen der letzten Jahre
wieder rückgängig gemacht und der höchst defizitäre Schwerlastverkehr stärker
belastet werden, so ließen sich daraus problemlos die für das Schienennetz
erforderlichen Milliarden aufbringen.
12. Die Verschiebung des Termins für einen Börsengang ist
kein Grund zur Beruhigung. Zum einen sammeln die BDI-Lobbyisten und Befürworter einer
völligen Zerschlagung der DB AG ihre Kräfte und unternehmen alles, um eine
Bundestagsmehrheit für ihr Modell zu gewinnen. Zum anderen geht die schleichende
Zerschlagung des DB-Konzerns tagtäglich weiter. Schon in den letzten 10 Jahren wurden
einzelne gewinnträchtige Bereiche für immer an Private verhökert. Immer öfter klagen
Kolleginnen und Kollegen, dass die einzelnen Unternehmensbereiche (UB) gegeneinander
arbeiten, also egoistisch nur noch auf die Ergebnisse des "eigenen" UB zu
schauen und nicht mehr die Bahn als ganzes im Blick haben. Dies ist die logische
Konsequenz aus der Zerschlagung der Bahn in Teilgesellschaften. Die Bahn ist wie ein
Organismus. Wenn einzelne Organe entnommen werden, ist der Kollaps vorprogrammiert.
13. Auch die Regionalisierung des
Schienenpersonennahverkehrs ist eine Form der Zerschlagung des Organismus Bahn. Die
zunehmende Rückkehr zu einer Viezahl kleiner separater Länderbahnen im öffentlichen
oder Privatbesitz (wie Connex oder Arriva) dreht das Rad der Geschichte zurück. Diese
Entwicklung ist aus der Sicht eines einheitlichen und attraktiven Systems Bahn wie auch
insbesondere aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer rückschrittlich. Schon viele
Kolleginnen und Kollegen von DB Regio sahen sich dazu gezwungen, von sich aus zu kündigen
und zu weitaus schlechteren Bedingungen bei einer Privatbahn zu arbeiten. Zunehmende
Konkurrenz auf Schienen fördert einen Abbau einheitlicher Standards und von
Synergieeffekten, die historisch durch die Schaffung von Staatsbahnen erst mühsam
erreicht wurden.
14. Wenn BDI-Lobbyisten lautstark mehr
Wettbewerb" auf Schienen fordern und eine Monopolstellung" der DB AG
kritisieren, dann wollen sie gerne neue private Monopole bilden. Auf dem Strommarkt
erleben wir es jetzt schon: Übrig bleibt nach wenigen Jahren eine Handvoll neuer
Monopole, die ihre Marktmacht dann auch gegebenenfalls schamlos ausnutzen. Kunden und
Beschäftigte sind die Leidtragenden. Es ist abzusehen, dass auch im Verkehrsbereich
(Busse und Bahnen) in wenigen Jahren einige wenige Monopole bundesweit und europaweit den
Ton angeben werden. Der Schienenverkehr eignet sich aber nicht als Versuchskaninchen für
Renditejäger und Konkurrenzkämpfe. Er muss in öffentlicher Hand bleiben.
15. Das Problem der Bahn liegt nicht in ihrer staatlichen
Trägerschaft sondern in der seit Jahrzehnten unverminderten Benachteiligung der Bahn
gegenüber DB konkurrierenden Verkehrsträgern. Während bis in die 80er Jahre
überwiegend erfahrene Eisenbahner bei der Bahn den Ton angaben, fiel seit Anfang der 90er
Jahre das Management der Bahn zunehmend in die Hände von Führungskräften aus der
Automobil- und Luftfahrtindustrie. Diese haben nicht nur das Interesse konkurrierender
Verkehrsträger massiv in die Unternehmenspolitik einfließen lassen, sondern etwa auch
Methoden aus der Luftfahrt im Schienenverkehr durchgesetzt. Eine Zukunft kann die Bahn nur
haben, wenn sie wieder überzeugten und kompetenten Eisenbahnern zurückgegeben wird und
nicht mehr als Durchgangsstadium für Karrieren missbraucht wird.
16. Die Bahnreform" wurde mit der Notwendigkeit
begründet, Bürokratie" abzubauen. Heute haben wir im formal privatisierten
DB-Konzern wesentlich mehr Bürokratie" und Wasserkopf". Wirkliche
Effizienz erreichen wir aber nicht durch noch mehr praxis- und bahnferne Juristen und
Betriebswirtschaftler, sondern indem wir die Kompetenz aller Eisenbahnerinnen und
Eisenbahner ungehindert zum Einsatz bringen. Alle Umstrukturierungen, die im
DB-Konzern mit dem Ziel eines Börsengangs bzw. Verkaufs vorgenommen werden, Unsummen
verschlingen und die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner von ihren eigentlichen Aufgaben
ablenken, sind sofort zu stoppen bzw. rückgängig zu machen", so die Forderung
der TRANSNET-Bundesbetriebsrätekonferenz vom 1. April 2004.
17. Wir brauchen eine Transparenz der Unternehmenspolitik
und demokratische Kontrolle. Wir brauchen keine Bevormundung durch inkompetente und nur
auf Dividenden ausgerichtete teure Manager und ebenso praxisferne wie teure
Berater". Die Interessen und Vertretung der Beschäftigten, Gewerkschaften,
sozial Schwachen, Allgemeinheit, gesellschaftlichen Organisationen und Umweltverbände
müssen in den Leitungsgremien (Vorstand, Aufsichtsrat, Beirat) den Ton angeben. Statt
Autolobbyisten wie Porsche-Chef Wendelin Wiedeking (Mitglied im BahnBeirat) und
Luftfahrtmanagern wie dem DB AG-Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Frenzel gehören
Eisenbahner, ausgewiesene Eisenbahn-Experten und Vertrauenspersonen der Beschäftigten,
Gewerkschaften und Umwelt- und Sozialverbände in diese Gremien. Die Bahn darf nicht mehr
für ein kurzes Zwischenspiel auf der Karriereleiter für bahn- und technikferne
Nachwuchsmanager missbraucht werden. Das seit den 90er Jahren stark vergrößerte
Einkommensgefälle zwischen Vorstandsmitgliedern und Spitzenmanagern einerseits und der
Masse der Eisenbahner andererseits muss wieder radikal abgebaut werden.
18. Wettbewerb zwischen konkurrierenden
Schienenverkehrsunternehmen wird immer auf dem Rücken der Beschäftigten und der
Sicherheit ausgetragen. In einer modernen und demokratisierten öffentlichen Bahn brauchen
wir eine andere Art von Wettbewerb einen ungehemmten Wettbewerb der Ideen und
Verbessserungsvorschläge unter den Eisenbahnern, der uns allen zu Gute kommt. Wenn man
uns nur lässt, dann kann das Unternehmen Zukunft" für die Kunden nur besser
werden und den Eisenbahnern eine sichere Zukunft bieten. Wirkliche
Produktivitätsfortschritte sollen durch rasche Arbeitszeitverkürzung an die
Beschäftigten weitergegeben werden,
19. Ohne langfristige Ziele würden wir schnell die
Orientierung verlieren. Egal ob wir eine Forderung in 2 oder erst in 20 Jahren durchsetzen
können: Wir müssen klar formulieren und aussprechen, was notwendig ist und was unseren
Interessen dient. Privatisierung ist kein Naturereignis, das wir einfach über uns ergehen
lassen müssen. Sie kann und muss wieder rückgängig gemacht werden.
20. Der Widerstand gegen Privatisierung und Börsengang
erfordert viel Kraft und Ausdauer. Doch dabei haben wir auch zahlreiche natürliche
Verbündete:
- Eisenbahner und Transportarbeiter in aller Welt. Sie haben
ähnliche Probleme und teilweise schon mehr Erfahrungen in Abwehrkämpfen gesammelt als
wir.
Andere Privatisierungsopfer
Kolleg(innen) bei Post, Stadtwerken und in vielen anderen privatisierten Betrieben und
Einrichtungen der Daseinsvorsorge und ihre Gewerkschaften.
Engagierte Bahnfahrer und eine auf die
Einrichtungen der Daseinsvorsorge angewiesene Allgemeinheit, die zunehmend erkennt, was
für ein Schaden mit der Privatisierung und Deregulierung angerichtet wird. Jugendliche,
Alte, Behinderte, Pendler und andere Menschen ohne Auto sind auf ein integriertes und
erschwingliches Verkehrsangebot angewiesen und haben von einer profitorientierten Bahn nur
Nachteile zu befürchten.
Eine andere, eine bessere Bahn ist möglich
und nötig.
Für die Vision einer
demokratisierten Bahn in öffentlichem Besitz lohnt es sich zu kämpfen.
Oktober 2004