Unsere Antwort an Norbert Hansen:
Der Mitgliedschaft reinen Wein einschenken und sie auf die großen und unvermeidlichen Auseinandersetzungen vorbereiten

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Lieber Norbert,

zugegeben, es war eine ziemlich "unkonventionelle" Form, in der wir unsere Standpunkte anhand Deiner Zitate dargestellt haben. Aber an den O-Tönen war absolut nichts gefälscht. Zwar hätten wir gedacht, dass Du als die unangefochtene Nr. 1 in unserer Gewerkschaft das Ganze etwas sportlicher und gelassener nimmst.

Auf jeden Fall aber zeigt Deine rasche Reaktion auf unser "Interview" eines: unsere Homepage www.bahnvonunten.de wird gelesen und bereichert die Diskussion in unserer Gewerkschaft. Und das ist auch gut so. Wir werden gerne weiterhin Briefe von Dir veröffentlichen und hoffen, dass die offiziellen Transnet-Medien unsere Initiative ebenso zu Wort kommen lassen werden.

Lass uns zum Kern der Sache vorstoßen, nämlich der Frage, ob Deine im "Interview" wiedergegebenen Zitate noch zeitgemäß sind und ob die von uns vertretenen Positionen durch die reale Entwicklung der letzten vier Jahre hinfällig geworden sind. Dazu werden wir die von Dir angesprochenen Fragen Punkt für Punkt aufgreifen.

Wem nützt eine "Spitzenposition" der DB im europaweiten Wettbewerb?

Dass der europaweite Wettbewerb auf der Schiene zunimmt, ist auch uns nicht entgangen. Dass Gewerkschaften dabei die erkämpften Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zäh verteidigen müssen, versteht sich von selbst.

Wenn die DB (und die sich immer mehr verselbstständigende Tochter Stinnes/Railion) sich jetzt immer mehr zum "Global Player" entwickelt, ist die für uns aber kein Grund zur Beruhigung. Denn alle Erfahrungen - von der privatisierten Post bis zu der jüngsten Übernahmeschlacht um Aventis - zeigen: das Streben nach einem Rang als "Global Player" geht in aller Regel einher mit einer "Konzentration auf das Kerngeschäft", einem Abhängen der Fläche und Angriffen auf soziale Errungenschaften und Einkommen der Beschäftigten. Für kleine Industrieanschlüsse etwa ist in Malmströms Konzern schon längst kein Platz mehr. Selbst wenn in zehn Jahren – nach der Fertigstellung der Bosporusuntertunnelung – die "Bagdadbahn" unter deutscher Führung verwirklicht werden sollte, selbst wenn Stinnes-Loks und eine neue ICE-Generation bis Sizilien, Gibraltar oder ans Nordkap durchfahren und selbst wenn DB-Töchter in ganz Europa sich mit anderen Privatbahnen um Ausschreibungen und "Slots" fetzen sollten, selbst in all diesen Fällen drohen unsere Interessen auf der Strecke zu bleiben. Je mehr die DB sich europaweit einkauft, umso mehr werden natürlich auch andere privatisierte Bahnen und Kapitalgruppen wie Connex (Veolia) auf deutschen Schienen um Marktanteile kämpfen und die jeweilige Belegschaft vor ihren Karren zu spannen versuchen. Was ist an all dem fortschrittlich?

Wettbewerb auf unserem Rücken

Im liberalisierten Logistikbereich zeigt sich heute schon, was uns auch im Schienenverkehrsbereich blüht. Hier liefern sich einige Giganten – etwa die Deutsche Post und TNT Express – einen gnadenlosen Konkurrenzkampf auf dem Rücken der Beschäftigten. Dabei ist die Deutsche Post noch mehrheitlich im Bundesbesitz und TNT-Express ein mit australischem Kapital durchdrungener Ableger der privatisierten niederländischen Post. Von ver.di-Kollegen wissen wir, dass TNT Express mit allen Mitteln darauf hinarbeitet, unbequeme Gewerkschafter und Betriebsräte loszuwerden. Von ver.di-Kollegen wissen wir auch, dass sich bei der Deutschen Post die Arbeitsbedingungen mit dem vor einigen Jahren vollzogenen Börsengang wesentlich verschlechtert haben und dort schon das praktiziert wird, was eifrige Bahn-Manager auch bei uns vorhaben: befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, Teilzeitjobs, kurzum: prekäre Arbeitsverhältnisse, die kein Mensch ein  Leben lang aushält und Einkommen, von denen kein Mensch eine Familie ernähren kann. Zunehmend setzen die Post-Manager seit dem Börsengang alles daran, die Beamten und "alten" Tarifkräfte rauszuekeln und durch jüngere, billigere und „gefügige“ Arbeitskräfte zu ersetzen. Und das beim „Global Player“ Deutsche Post, der sich so stark im internationalen Wettbewerb positioniert.

Wer garantiert uns, dass die Bahn-Manager allen Verträgen und Lippenbekenntnissen zum Trotz nicht genauso verfahren werden? Wer glaubt denn wirklich, künftige Großaktionäre des DB-Konzerns würden uns schriftlich und verbindlich die derzeitigen Arbeitsplätze, Einkommen, Arbeitszeiten und Sozialleistungen für die nächsten sechs Jahre garantieren und sich noch daran halten, während rings herum überall die Dämme brechen? Und selbst wenn sie uns jetzt das Blaue vom Himmel versprechen, dann werden sie hinterher Mittel und Wege finden, um die "alten" Beschäftigten ganz schnell loszuwerden und durch neue, billigere und gefügigere Mitarbeiter zu ersetzen.

"Es gibt - das behaupte ich - kein Unternehmertum, das so brutal, so rücksichtslos um seinen Profit, um die Maximierung seines Profits in der Periode der Krise ringen wird wie das deutsche. Kein Mittel wird ihnen zu schäbig sein, wenn es gilt, den Weltmarkt zu behaupten. Und den Weltmarkt zu behaupten, das ist ein Wirtschaftskrieg." Diese warnenden Worte des verstorbenen legendären Gewerkschafters Willi Bleicher haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Für uns besteht nach wie vor kein Anlass, einen ungezügelten Wettbewerb auf Schienen zu loben und zu preisen. Wir wissen, dass die DB von Luftfahrtspezialisten geführt wird, die von Eisenbahnverkehr kaum Ahnung haben, dafür aber zunehmend die Grundsätze des Luftverkehrs auf Schienen anwenden möchten. Wenn uns das britische Privatisierungsdesaster aber eines lehrt, dann ist es die Erfahrung, dass der Schienenverkehr (d.h. vor allem Qualität, Sicherheit und Interessen der Eisenbahner) in einem dicht besiedelten Land und auf einem stark befahrenen Netz zwangsläufig darunter leidet, wenn sich miteinander konkurrierende Unternehmen auf einem Netz mit dichter Zugfolge tummeln. Und wenn jetzt auch noch DB-Töchter (mit „deutscher Gründlichkeit“?) den britischen Markt "aufrollen" sollen und damit das dortige Chaos unter Umständen vergrößern werden, lässt uns dies keineswegs ruhiger schlafen.

Schreckgespenst "Wiederverstaatlichung"?

Handfeste Erfahrungen übrigens, und nicht ideologisch geprägte "marxistische Vordenker", haben in Großbritannien bewirkt, dass nicht nur unsere Schwestergewerkschaften, sondern auch liberale Medien und über 70 Prozent der Bevölkerung nach 10 Jahren Privatisierungschaos die Wiederverstaatlichung der Bahnen fordern. Unsere britischen Kollegen haben dies auch auf der Transnet-Kundgebung am 14. März 2003 in Berlin deutlich ausgesprochen. Warum sollte nicht die gesamte Transnet-Mitgliedschaft an diesen Erfahrungen teilhaben und den vollen Standpunkt unserer britischen Kollegen erfahren können?

Dass auch die alte Deutsche Bundesbahn massiv Arbeitsplätze abgebaut hat und die Gewerkschaften sich derzeit gegen eine Arbeitszeitverlängerung im Öffentlichen Dienst wehren, ist noch kein hinreichender Beweis dafür, dass es uns Eisenbahnern nach einem Börsengang "auch nicht schlechter" gehen würde und dass wir in dieser Frage gleichgültig sein können. Im Gegenteil: dies wäre ein gefährlicher und verhängnisvoller Irrtum. Wir kämen vom Regen in die Traufe.

„Misere“ der alten Bundesbahn

Die "Misere" der alten Bundesbahn lag nicht darin begründet, dass sie sich in öffentlichem Besitz befand. Das Elend lag vielmehr darin, dass auch schon vor Jahrzehnten die Privatwirtschaft - und insbesondere die mächtige Straßenverkehrslobby - eben auch den staatlichen Sektor vor ihren Karren spannte und beherrschte. Kritik an der Privatisierung und Forderung nach Wiederverstaatlichung bedeutet übrigens nicht nostalgische Sehnsucht nach Wiederherstellung der Behördenbahn  eins zu eins. Aber ein endgültiger Ausverkauf der Bahn wäre nichts anderes als ein Endsieg des Kapitals und der mit der Bahn konkurrierenden Verkehrsträger und würde diesen den lange erstrebten direkten und ungehinderten Zugriff ermöglichen. Unsere ohnehin schon schwachen Einflussmöglichkeiten wären dann gänzlich verschwunden, wenn private Konzerne frei schalten und walten könnten.

Verzicht auf einen Abwehrkampf gegen Privatisierung und fahrlässiges Inkaufnehmen eines Börsengangs bzw. eines direkten Ausverkaufs entsprechen dem Todesmut eines Mannes, der sich in einem brennenden Hochhaus befindet, von der Rauchentwicklung desorientiert ist und, anstatt Hilfe anzufordern und seine Rettung zu organisieren, losspringt, weil er darauf hofft, dass unter dem Rauch da unten irgendwo die Feuerwehr mit dem Sprungtuch in Stellung gehen wird. Selbstmord aus Angst vor dem Tode? Nein danke!

Auch wenn manches an der alten Bundesbahn und Reichsbahn bürokratisch und verkrustet gewesen sein mag - so schlecht war die Leistung der guten alten Staatsbahnen rückblickend auch nicht. Das Intercity- und Eurocity-Netz, der IR, der ICE und der TGV sind bzw. waren Kinder der Staatsbahn. Nach dem Mauerfall 1989 zeigten sich Bundesbahn und Reichsbahn äußerst flexibel und innovativ, als es darum ging, quasi über Nacht den neuen Bedürfnissen entsprechend neue Fahrpläne aufzustellen und neue Verbindungen einzurichten. Das alles hat die gute alte Staatsbahn geschafft – und zwar mit viel weniger öffentlichen Geldern als heute. Es will uns nicht in der Kopf, warum es nicht möglich sein sollte, durch eine europaweite Kooperation demokratisierter und von den Beschäftigten kontrollierter Staatsbahnen den Schienenverkehr gewaltig zu fördern und auszubauen. Von Argentinien über Großbritannien bis Neuseeland zeigt sich: Privatisierung und Börsengang sind ein sicheres Rezept für eine Schrumpfbahn.

Haben wir wirklich schon alles versucht?

Aus Deinen Äußerungen lesen wir heraus: Niemand in unserer Gewerkschaft scheint wirklich davon überzeugt zu sein, dass es uns nach einem Börsengang der DB wirklich besser gehen wird. Niemand kann uns auch nur ein einziges Land nennen, das uns als Vorbild für Privatisierung und Börsengang im Interesse der Kollegen und der Allgemeinheit dienen könnte. Wenn dies so ist, warum setzen wir dann nicht alle Kraft daran, diesen Irrsinn zu verhindern? Haben wir das wirklich schon versucht? Keiner kann behaupten, unsere Gewerkschaft hätte alle Mittel und Kampfformen ausgereizt und müsse sich jetzt erschöpft und am Boden liegend geschlagen geben. Wo haben wir denn wirklich einen systematischen Kampf geführt? Wo haben wir jemals konsequent auf die Politiker, auf die Wahlkreisabgeordneten einzuwirken versucht, um sie vom Abnicken des Börsengangs abzubringen? Haben wir am 3. April nicht auch gemeinsam mit dem DGB demonstriert, um Einfluss auf die Politik zu nehmen und uns eben nicht mehr alles gefallen zu lassen, was von oben kommt? Aber wo haben wir jemals den praktischen Schulterschluss mit anderen Gewerkschaften und einen ernsthaften Widerstand gegen die Privatisierung versucht? Haben wir sie nicht eher alle im Regen stehen gelassen - die Postler Anfang der 90er, die französischen, italienischen und österreichischen Kollegen mit ihren eindrucksvollen Streiks in den letzten Jahren? Ist es nicht so, dass die Liberalisierung der Schienenverkehrs und anderer Bereiche in Frankreich viel langsamer vor sich geht, weil die Regierenden wissen, dass die dortigen Gewerkschaften nicht nur Papiertiger sind, sondern notfalls auch alles lahm legen können?

„Konstruktiv mitgestalten“?

Eine Gewerkschaft, die bei den jetzt anstehenden Weichenstellungen nicht mit aller Kraft gegen den Ausverkauf der Bahn Front macht, wird nachher - falls sie den Börsengang nicht verhindern kann - auch kaum die Kraft aufbringen, um innerbetrieblich die Interessen der Mitglieder wirksam zu verteidigen.

Du meinst, eine Gewerkschaft, die jetzt nicht "konstruktiv" mitwirkt, gefährde ihre Existenz. Wir kennen Gegenbeispiele. Die traditionsreiche IG Bergbau und Energie zum Beispiel hat jahrzehntelang das Zechensterben an Ruhr und Saar "konstruktiv" mitgestaltet, die spontanen Kämpfe der Kumpel 1997 rasch wieder abgewürgt – und sich selbst überflüssig gemacht. Die IG CPK bzw. IG BCE hat konstruktiv die Zerschlagung von Chemiekonzernen wie Hoechst mitgestaltet und dadurch massiv Mitglieder verloren.

Übrigens: Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre, als Du mit Gerhard Schröder und anderen noch im Juso-Bundesvorstand warst, da war die Forderung nach Vergesellschaftung und Demokratisierung gerade auch der Automobil- und Mineralölindustrie noch offizielle Juso-Position. Dem lag auch die Einsicht zu Grunde, dass nur dadurch eine fortschrittliche Verkehrspolitik im Interesse von Mensch und Umwelt möglich ist. Ein durchaus überlegenswerter und konsequenter Standpunkt. Mit einer Privatisierungsdiskussion wäre man damals nicht ernst genommen worden. Keiner von Euch hätte damals nur 5 Pfennig darauf verwettet oder gar prophezeit, dass Ihr im reiferen Alter als Protagonisten und Mitgestalter der gigantischsten Privatisierung aller Zeiten auftreten würdet. "Niemals werden wir privatisieren" - hättet Ihr damals entrüstet gesagt.

Diese Erfahrung lehrt: Man sage nie "niemals" – gerade auch zur Forderung nach Wiederverstaatlichung. Das Desaster mit der Privatisierung in (fast) allen Ländern und Bereichen hinterlässt Spuren und ändert - wie jetzt schon in Großbritannien - auch die öffentliche Meinung. In Deiner Heimatstadt Hamburg haben im Februar 2004 76,8% der Wähler gegen die Privatisierung der Kliniken gestimmt. Dies ist ein deutliches Anzeichen für einen beginnenden Stimmungsumschwung auch hierzulande. Und gerade deshalb sollte unsere Gewerkschaft nicht im Bremserhäuschen sitzen, sondern auf dem Führerstand, wenn es darum geht, die längerfristigen Interessen der Mitglieder und der Mehrheit der Bevölkerung zu formulieren.

Wir bleiben dabei: die Kalkulation, durch aktives Herbeiführen eines Börsengangs der gesamten DB Holding ließe sich eine Zerschlagung des DB-Konzerns verhindern, halten wir für eine gefährliche Illusion. Sobald wir einmal Spielball mächtiger Kapitalgruppen sind, werden die bisher erfolgten "Umstrukturierungen" im Konzern rückblickend wie ein Kinderspiel wirken und werden sie uns in alle Himmelsrichtungen auseinander reißen. Daher müssen wir ab sofort unserer Mitgliedschaft reinen Wein einschenken und sie auf die großen und unvermeidlichen Auseinandersetzungen vorbereiten. Wenn wir uns jetzt nicht bewegen, werden sie uns die Butter vom Brot nehmen. Jetzt die Kollegen beruhigen und damit trösten, dass wir irgendwann einmal notfalls auch die Kraft aufbringen würden, um einen Börsengang zu verhindern, wäre verhängnisvoll. Wenn wir jetzt nicht mit dem Krafttraining beginnen, werden wir es niemals schaffen. Um noch einmal den längst verstorbenen Metaller und Antifaschisten Willi Bleicher zu zitieren:

„Das Bewußtsein der Mitglieder entwickelt sich nicht unabhängig von der Praxis der Organisation. Einerseits muß die Aktionsbereitschaft der Mitgliedschaft den verantwortlichen Gremien der Organisation ausreichende Impulse geben, andererseits muß deren Politik geeignet sein, die Aktionsbereitschaft der Basis weiterzuentwickeln und im Rahmen der erarbeiteten Strategie zu koordinieren."
“Was ist nötig, um Bewußtsein, um Einsatzbereitschaft zu entwickeln? Vor allem Information. Dazu gehört aber nicht nur Information über die jeweils anstehende Tarifordnung und über den Verhandlungsstand. Nein, man muß den Kollegen sagen, um welche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung es sich handelt, auf welche Ursachen es beispielsweise zurückgeht, daß Arbeitsplätze, Einkommen und Berufe in Gefahr geraten."

(Zitate aus: Willi Bleicher, Ein Leben für die Gewerkschaften, Frankfurt a. Main, 1983.)

Warum fordert ver.di nicht auch die Wiederverstaatlichung der Post?

Diese Frage können natürlich nur die betroffenen Kollegen selbst beantworten. Was nicht ist, kann noch werden. Vielleicht macht unser Beispiel Schule und entsteht auch mal eine "Post von unten". Wir haben uns aber auf jeden Fall die Mühe gemacht und einige Post-Kollegen gefragt, wie sie ihre Erfahrung mit Privatisierung und Börsengang sehen. Unser Eindruck: Kein Post-Gewerkschafter sieht die letzten 10 Jahre wirklich positiv. Vor allem weisen sie darauf hin, dass der Börsengang noch einmal qualitative Verschlechterungen für die Beschäftigten und Kunden mit sich gebracht hat – auch wenn sich die Mehrheit der Aktien noch vorläufig im Bundesbesitz befindet. Niemand konnte in uns Hoffnungen und Vorfreude auf einen Börsengang der DB wecken.

Dass es auch bei den betroffenen Kolleg(inn)en in ver.di gärt und brodelt, zeigen zwei aktuelle Beispiele aus den letzten Tagen.

Erstes Beispiel: Am 3. Mai 2004 fand in Frankfurt (Main) eine ver.di-Protestaktion im Vorfeld des geplanten Börsengangs der Postbank statt. Zu Lasten regionaler Postfilialen wurden Beschäftigte zwangsweise nach Frankfurt versetzt. Am Samstag, 24. April 2004, wurden Postbeschäftigte in Nord-, Mittel- und Osthessen per Einschreiben darüber informiert, dass sie ab dem 26. April 2004 für drei Monate in Frankfurt am Main arbeiten müssen. Der Betriebsrat wurde wenige Stunden vorher von der Entscheidung informiert. Begründet wird dies vom Arbeitgeber damit, dass aufgrund des Börsenganges der Postbank dringende betriebliche Gründe solche personellen Maßnahmen notwendig machen.
Der zuständige ver.di-Sekretär Detlev Borowsky erklärte hierzu: „Die Arbeitgeber wollen aus Profilierungsgründen zeigen, wer Herr im Hause ist. Dies wird wohl nur der Anfang einer Aktion der Post AG sein. Was hier passiert, gibt den Blick frei, welchen Stellenwert Arbeitnehmerrechte künftig haben sollen.“

Zweites Beispiel: Auf einer Betriebsrätekonferenz am 10. Mai 2004 in Dresden übten Betriebsräte der deutschen Verkehrsflughäfen heftige Kritik an der arbeitnehmerfeindlichen Politik der EU-Kommission. Sie kritisieren vor allem die erneute Absicht der Eurokraten, weitere Wettbewerber auf den Abfertigungsvorfeldern der Verkehrsflughäfen zuzulassen. Bereits jetzt gibt es ruinösen Wettbewerb, ausgelöst auch durch die Preiskämpfe der Airlines. Es kann nicht angehen, kommentiert der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Fraport AG, Edgar Stejskal, dass bisher gut abgesicherte Arbeitsplätze zu Gunsten von Lohndumping und der Herstellung einseitiger Wettbewerbsziele geopfert werden und damit unter die Räder der EU-Bürokratie geraten. Stejskal: „Beispiele für die so genannte `Liberalisierung´ wie z.B. bei der Telekom haben gezeigt: Tausende von Arbeitsplätzen werden vernichtet. Bezahlt wird diese Zeche von den deutschen Sozialversicherungsbeitrags- und Steuerzahlern. Die sozialen Folgekosten gehen einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer in den betroffenen Betreichen. Darüber hinaus gefährdet der zügellose Wettbewerb auch die Sicherheit auf
den Verkehrsflughäfen. Die Betriebsräte der deutschen Verkehrsflughäfen fordern die Europäische Kommission zur Abkehr von ihrer Politik des ungehinderten Wettbewerbs auf, die die sozialen Bedingungen der Arbeitnehmer ignoriert.“
Insbesondere der Kampf um die angestrebte Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank zeigt: Eine Veräußerung der Postbank – ob durch Börsengang oder 100-prozentigen Direktverkauf an die Deutsche Bank – liegt einzig und allein im Interesse der Privatbanken (konkret: der Deutschen Bank).

Wer die Übernahmeschlacht um Aventis, die Erfahrung der Bombardier-Belegschaft in Halle und den Kampf um die Postbank betrachtet, kann darauf nur einen vernünftigen Schluss ziehen: Hände weg von einem Börsengang der DB! Keine Öffnung für privates Kapital! Stoppt die Liberalisierung auf unserem Rücken! Die DB muss zu 100 Prozent beim Bund bleiben! Üben wir den Schulterschluss mit allen von Privatisierung und Liberalisierung betroffenen Kolleginnen und Kollegen!

Marxistische Vordenker, die ein anderes Staatssystem wollen?

Wir können beim besten Willen nicht nachvollziehen, weshalb Du so emotional auf vermeintlichen "ideologisch motivierten marxistischen Vordenkern" herum hackst. Wen meinst Du damit? Bei den Arbeitstreffen und in den Veröffentlichungen unserer Initiative wird nicht abstrakt über Marxismus und Weltrevolution diskutiert, sondern über konkrete Erfahrungen und konkrete Schlussfolgerungen. Im übrigen sind wir stolz darauf, einer DGB-Gewerkschaft anzugehören, in der bis auf Faschisten und Rassisten alle einen Platz haben - christliche Arbeitnehmer und Parteilose ebenso wie Sozialdemokraten und Marxisten. Gesinnungsschnüffelei und Ausgrenzungen nach dem Motto "Die wollen ein anderes Staatssystem" und "Das ist nicht das Ziel unserer Transnet" lehnen wir strikt ab.

Desweiteren enthalten weder das Grundgesetz noch die Satzung unserer Gewerkschaft noch die Grundsätze von DGB und ITF ein ausdrückliches Privatisierungsgebot oder die verbindliche Verpflichtung, die kapitalistische Marktwirtschaft für alle Zeiten als "heilige Kuh" anzusehen und alle Folgen passiv über sich ergehen zu lassen. Auch im gültigen Grundsatzprogramm Deiner Partei, der SPD, ist nach wie vor der Verweis auf das Ziel einer grundlegend anderen, demokratisch-sozialistischen Gesellschaftsordnung enthalten.

Wenn die von Dir abfällig als "marxistische Blätter" titulierten Medien weiterhin sachlich über unsere innergewerkschaftliche Diskussion berichten, dann soll uns das recht sein, denn es zeigt aller Welt: wir sind eine demokratische Gewerkschaft und keine GDL, die einen großen "Führer" und Vordenker braucht, der allein seine Meinung aufzwingt. Wir hätten natürlich auch nichts dagegen, wenn nicht nur "linke" Organe, sondern auch "bürgerliche" Medien über die diskutierten Fragen berichten würden. Dafür werden wir uns einsetzen. Aber Du weißt ja selbst, wie schwierig es angesichts des neoliberalen "Mainstreams" inzwischen geworden ist, deutliche gewerkschaftliche Standpunkte unverfälscht in den Medien zu verbreiten.

Wir freuen uns auf die weitere Diskussion und hoffen, dass der schriftlich gehaltene sachliche Dialog zwischen Dir und Bahn von unten auch in den offiziellen Transnet-Medien Erwähnung findet. Wir sind sicher, dass die Mitgliedschaft sich eine eigene Meinung bilden kann und wird.

Mit kollegialen Grüßen, für die Initiative „Bahn von unten“

Alfred Lange, 22.06.2004

 

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Dieser Brief an Norbert Hansen bezieht sich auf die folgenden Beiträge auf unserer Homepage:

Unser Beitrag zum 1. Mai:
"Wer nicht kämpft hat schon verloren"

"Interview" mit Norbert Hansen

Norbert Hansen meint dazu:
"Es geht ihnen um die Durchsetzung
eines anderen Staatssystems"
 
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