Ein Hintergrundartikel:
Lohn- und Tarifdumping auf deutschen Schienen:
Stoppt die Spirale nach unten!
Opfern für den Börsengang?

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Mehr Wettbewerb auf den Schienen sieht der Koalitionsvertrag der alten und neuen Bundesregierung vor. Noch befindet sich die Deutsche Bahn im Bundesbesitz, doch Verkehrspolitiker und Bahn-Manager träumen vom Börsengang - als hätten sie aus dem Desaster der privatisierten Telekom nichts gelernt. Der insbesondere von grünen Verkehrspolitikern gepriesene Wettbewerb auf Schienen wird jetzt knallhart auf den Knochen und Nerven der Beschäftigten ausgetragen - vor allem der Eisenbahner im Betriebsdienst, der Lokführer und Zugbegleiter.

Das fahrende Personal ist aufgebracht. Ein neuer Ergänzungs-Tarifvertrag für die DB Regio (Bahn-Tochter für den Personennahverkehr) könnte jetzt das Fass zum Überlaufen bringen.

Der Beruf eines Lokführers oder Zugbegleiters ist vielleicht für Kinder oder praxisferne Bahnromantiker ein Traumjob. Der Alltag in diesen Berufen bedeutet: aufreibender Wechselschichtdienst, keine festen Schichtzeiten wie in Industrie oder Krankenhäusern, Anfang und Ende täglich zu unterschiedlichen Zeiten, ständig auf Achse. Darunter leiden auf Dauer Gesundheit, Privatleben und Familie ganz erheblich. Ein solcher Arbeits- oder besser gesagt Ausbeutungsalltag bringt für viele vorzeitigen gesundheitlichen Verschleiß und Verkümmerung der Persönlichkeit.

Eigentlich verdienen alle Menschen, die im Dienste der Allgemeinheit an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr im Einsatz sind, einen besonderen Dank der Allgemeinheit und Ausgleich in Form von Freizeit, Geld und vorgezogenem Ruhestand.

Doch der „Dank des Vaterlandes“ (in diesem Fall der DB Regio) sieht anders aus: Jetzt liegt ein neuer Ergänzungs-Tarifvertrag für DB Regio vor, der für die rund 9000 Lokführer und 5000 „KiN“ („Kundenbetreuer im Nahverkehr“ bzw. Zugbegleiter) in diesem Bereich erhebliche Verschlechterungen bringt: ihnen wird Zeit und Geld geklaut.

Kernpunkte des neuen Tarifvertrags:

Weniger Einkommen:
Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld werden um 25% gekürzt. Wer mehr will, muss bestimmte „Leistungskriterien“ erfüllen. Dies kann heißen: Wer sich mal krank meldet oder wenig Umsatz durch direkten Fahrscheinverkauf einbringt, hat Pech gehabt. Außerdem wird die Samstagszulage gestrichen.

Länger arbeiten:
Tätigkeitsunterbrechung innerhalb der Schicht (Zeit zwischen zwei Zügen) wird nur noch in den ersten 10 Minuten zu 100%, ansonsten zu 50% auf die Arbeitszeit angerechnet. Fahrgastfahrten (etwa Rückfahrt zum Einsatzort während der Dienstzeit, aber als Fahrgast) werden nur noch zu 50% auf die Arbeitszeit angerechnet. Der Freizeitausgleich für Arbeiten an Heiligabend und Silvester entfällt. Dienstbeginn und Dienstende (bisher am selben Einsatzort) sollen künftig an unterschiedlichen Orten innerhalb einer politischen Gemeinde möglich sein. In Großstädten kann dies erheblich mehr Zeitaufwand vor Dienstbeginn bzw. nach Dienstende bedeuten.

Weniger Urlaub:
Die Fort- und Weiterbildung soll künftig jährlich an drei Tagen erfolgen, die nicht mehr - wie bisher üblich - auf die Arbeitszeit angerechnet werden. Dafür sollen die Kolleg(inn)en lediglich eine Entschädigung von 25 Euro pro Ausbildungstag erhalten. Der Zusatzurlaub für Mitarbeiter im Schicht- und Wechseldienst - bisher bis zu 5 Tage jährlich - wird auf 2 Tage reduziert.

Fazit:
Je nach Schichtplan müssen die betroffenen Lokführer und Zugbegleiter 10-16 zusätzliche Schichten im Jahr arbeiten, und sie verlieren an Einkommen in der Größenordnung von bis zu einem Monatseinkommen jährlich. Allein durch die geänderten tariflichen Arbeitszeitregelungen sind jetzt bis zu 1400 Arbeitsplätze gefährdet - und dies vorgeblich im Namen der Sicherung der Konkurrenzfähigkeit und der Arbeitsplätze.

All dies ist keine Boshaftigkeit sadistischer Manager (obwohl es auch das gibt), sondern der Wahnsinn hat Methode und heißt Privatisierung und Zerschlagung der Deutschen Bahn, Kapitalmarktfähigkeit und Börsengang. Im Zuge der vor 10 Jahren eingeleiteten „Regionalisierung“ des Schienenverkehrs entscheiden die Länder in langfristig angelegten Auftragsvergaben, welches Unternehmen den Schienenpersonenverkehr in der Region betreibt. Zunehmend machen neue Billiganbieter mit schlechteren Einkommens- und Arbeitsbedingungen, darunter nicht wenige landeseigene Bahnen, der DB Regio Konkurrenz auf Schienen. Dieser Unterbietungswettlauf im gesamten öffentlichen Nahverkehr ist von Landes- und Kommunalpolitikern durchaus gewollt. Erst vor wenigen Tagen hat die Politik entschieden, nicht mehr die DB Regio, sondern eine andere Bahn mit den Nahverkehrsleistungen im Raum Limburg/Westerwald zu beauftragen.

Der Konflikt um den neuen Tarifvertrag ist nicht das Happy End - sondern nur ein Glied in einer langen  Kette. Wer denkt, jetzt durch ein weiteres Zugeständnis an der Tariffront das Schlimmste abgewendet und die Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze endgültig gerettet zu haben und Ruhe zu bekommen, der täuscht sich. Eine Öffnungsklausel im Ergänzungstarifvertrag sieht „für Leistungen, die der Vergabe mit Ausschreibung unterliegen“ vor:

„Auf Antrag einer Tarifpartei verpflichten sich die Tarifparteien, zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit im Zusammenhang mit der Vergabe von Verkehrsleistungen umgehend in Verhandlungen einzutreten.“ Anders ausgedrückt: beim nächsten Vergabeverfahren lassen wir unter dem Druck von Billiganbietern wieder in dem betroffenen Bereich die Tarife weiter sinken. Eine Abwärtsspirale ohne Ende, an der einige Funktionsträger und Vorstandsmitglieder der DB-AG offenbar ein eigenes finanzielles Interesse haben.

Viele betroffene Kolleginnen und Kollegen sind außer sich. So fanden sich auf den Internet-Diskussionsseiten der größten Bahn-Gewerkschaft Transnet (früher GdED) in den letzten Wochen zahlreiche Zuschriften empörter Mitglieder. Hier drei Kollegen im O-Ton:

  • Lieber Transnet-Hauptvorstand, überdenkt euren Tarifabschluss!!!
    Durch diesen Tarifvertrag wird Arbeitszeit abgekauft. Betroffen sind die Kollegen des Fahrdienstes (Lokfahrdienst/Zugbegleitdienst), die durch ihre ungünstigen Dienstzeiten eh schon schwierige Familien- und Freizeitbedingungen haben.
    Nun nimmt man uns sogar Arbeitszeit weg, damit wir noch öfter zum Dienst erscheinen können. In keinem anderen Bereich wird die Arbeitszeit so detailliert erfasst wie im Fahrdienst, oder muss der Mitarbeiter im Büro - wenn er eine Tätigkeitsunterbrechung hat - jetzt auch seine Stempelkarte durchziehen und bekommt Arbeitszeitabzug?
    Als aktiver Gewerkschafter kann ich meinen Kollegen diesen Tarifvertrag nicht als Erfolg verkaufen, egal wie schwierig die Verhandlungen waren.

  • Warum hat uns keiner gefragt? Streik!!!!

  • Den Ergänzungstarifvertrag hier als Erfolg zu verkaufen, ist eine bodenlose Frechheit!!!

Dabei soll kein(e) Eisenbahner(in) in anderen Geschäftsbereichen denken: das trifft nur die Regio-Kolleg(inn)en und nicht mich. Dieser neuerliche Tarifvertrag bei DB Regio ist nur ein Vorreiter. Die zunehmende Konkurrenzsituation wird bald auch die anderen Kernbereiche treffen - den Güterverkehr (Cargo) wie auch den Personenfernverkehr (Reise & Touristik).

An der Tariffront haben die drei Bahn-Gewerkschaften (die größere DGB-Gewerkschaft Transnet sowie die beiden kleineren traditionellen Beamtengewerkschaften GDBA und GDL, die dem Deutschen Beamtenbund angehören) bisher an einem Strang gezogen und gemeinsam tarifliche Verschlechterungen und Zugeständnisse an die Arbeitgeberseite mitgetragen. Nun ist die kleinste Gewerkschaft (GDL) aus der gemeinsamen Linie ausgeschert und weigert sich, den Ergänzungstarifvertrag zu unterschreiben. Unter dem Druck ihrer Mitglieder und Funktionäre droht sie jetzt für Anfang 2003 - nach Ablauf der Friedenspflicht - mit Streik. Die Spitzen von Transnet und GDBA beharren dagegen darauf, durch den Ergänzungstarifvertrag die Wettbewerbsfähigkeit von DB Regio verteidigt und somit das Schlimmste verhindert zu haben. In den letzten Wochen sind etliche verärgerte Mitglieder aus Transnet und GDBA ausgetreten. Segnet der Transnet-Hauptvorstand in seiner Sitzung am 9. und 10. Dezember 2002 den Ergänzungstraifvertrag ab, dann drohen noch mehr Austritte.

Hans-Gerd Öfinger

Zum offenen Brief der Initiative "Bahn von unten"

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