"Ich kann nicht akzeptieren, dass Du hinter der Agenda 2010 stehst"

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Lieber Norbert,
ich kann mir zwar erklären, warum Du hinter der Agenda 2010 stehst. Aber akzeptieren kann ich das nicht!
Wie Du weißt, bin ich Betriebsratsmitglied in der DB Vermittlung. Dort erlebe ich beinahe täglich, wenn Kolleginnen und Kollegen von unserem sozialen System abhängig werden: vorzeitig in Ruhestand, weil sie nicht mehr gebraucht äh vermittelt werden können.
Dies bedeutet, bis zu fünf Jahren mit 85% des bisherigen Entgelts (und die meisten bekommen mit 100% weniger als 2.000,- EUR), und in den Zeiten, wo das Arbeitsamt keine Leistung zahlt, müssen die Kolleginnen und Kollegen sich selber krankenversichern. Sie zahlen nicht nur von den 85% Krankenversicherungsbeitrag (12,6%) und Beitrag zur Pflegeversicherung (1,7%), sondern auch von der Abfindung und anderen Einkommen, sofern vorhanden.
Um die Abteilung B aufrecht zu erhalten, sind hier auch nochmal 1,41% fällig. Aber das rechnen sich die Kolleginnen und Kollegen ja vorher aus. Und wer sich dies nicht leisten kann?
Ja, der bleibt bei der Bahn. Solange das Beschäftigungsbündnis besteht. Und bekommt das zu spüren, was unsere Kommissionen (Hartz, Rürup) oder die Agenda 2010 für sie (uns) vorsieht.
Wenn Kolleginnen und Kollegen nach 40 Berufsjahren ihr privates Umfeld aufgeben müssen, weil sie einen Job fernab der Heimat angeboten bekommen. Nehmen sieh ihn nicht an, werden sie personenbedingt gekündigt. Und für vierzig Jahre Beitragszahlung erhalten sie dann 18 statt bisher bis zu 32 Monaten Arbeitslosengeld. Dafür bekommen sie aber ja wieder einen Job vom Arbeitsamt angeboten, vielleicht fernab der Heimat... Und damit statt Arbeitslosengeld Sozialhilfe. Und die Jobs, für die sie noch tauglich sind, gibt es ja nicht mehr.
Andere Fälle: für (fast) nix mehr zu gebrauchen, aber die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt. Mit der Resttauglichkeit zur BRG (DB Services), dort dann personenbedingt gekündigt. Viele dieser Kolleginnen und Kollegen fallen durch das soziale Netz, dessen Maschen durch die Agenda 2010 vergrößert werden.
Wer, wenn nicht unsere Gewerkschaft mit ihren vielen Mitgliedern und mit Dir an ihrer Spitze, soll für unsere Belange kämpfen, während das Kapital in unserem Land immer weiter an die verteilt wird, die eh genug haben.
Hierzu sieht die Agenda nichts vor. Statt die satten Gewinne an der Börse zu versteuern, statt Geldanlagen für diejenigen, denen es nicht weh tut, 50.000,- EUR Steuern zu bezahlen, weil sie nach wie vor 50.000,- EUR  Gewinn behalten, wird der Spitzensteursatz um 11% gesenkt.
Selbstverständlich habe ich auch gelesen, dass der Eingangssteuersatz um 11% von 25,9 auf 15% gesenkt werden soll: 10% weniger Steuern bei einem Jahreseinkommen von 20.000,- EUR sind 2.000,- EUR; und ich werde nichts dagegen haben, wenn auch der Großverdiener mit  50, 100 oder 500.000,-
EUR um jährlich 2.000,- EUR Steuern entlastet wird!
Unsere Regierung, nee, falsch, die SPD-Regierung würde z.Z. von 27 % der Bundesbürger gewählt. Die von der Bundesregierung z.Z. betriebene Politik lässt dieses Land direkt wieder in die Hände einer CDU-Regierung schliddern, die sie gerade erst nach 16 Jahren, abgelöst haben. Ich befürchte, das eine neue Ära einer konservativen Regierung heranbricht, in der wir abhängig Beschäftigten mehr Prügel beziehen, als wir uns das vorstellen können.
Dies müssen wir verhindern. Und da darfst Du nicht fehlen. Als Vorsitzender der TRANSNET solltest Du wie die anderen Vorsitzenden der großen Gewerkschaften auch (ver.di, IG Metall) Deiner Partei zeigen,
dass die Beschäftigten in dieser Bundesrepublik die Mehrheiten für eine SPD-Regierung beschaffen können.
Sonst wird Schröder sich die Agenda 2010, sonst wird die SPD sich die Regierungsbildung, sonst werden wir uns unsere Zukunft an die Backe schmieren können!
Mir ist bewusst, dass ich der von Schröder zitierte Neunmalkluge in einem Verband bin.
Aber wer beinahe täglich mit den Existenzkämpfen der Kolleginnen und
Kollegen konfrontiert wird,
   * die sich keine Bahnwohnung kaufen können,
   * die sich kein Kapitalpolster aneignen können, um ihre
     Altersfinanzierung zu sichern,
   * denen das Geld für eine Riesterrente fehlt, weil eine Familie zu
     verkötigen ist,
   * die kein Geld für eine private Krankenversicherung abzwacken können,
   * die nicht das Risiko, mit 55 Jahren arbeitslos zu werden und dann
     nach 18 Monaten von Sozialhilfe leben zu müssen, absichern können...
dem wird bewusst, wo die Politik ansetzen müsste.
Ich würde mich freuen, wenn Du meine Bedenken erkannt hast und Dich für uns einsetzt.Danke Dir!
Werner Balschun
, im Mai 2003

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